Von Jürgen Albrecht, u.a. Sprecher beim Deutschlandfunk, bis Rolf Zuckowski, Komponist vor allem von Kinderliedern, reicht die lange Reihe von durch Cornel Wachter Befragten zur ersten nachhaltigen Begegnung mit Musik, und zwischen diesen beiden sind auch viele Opernsänger und Dirigenten. Interessant ist dabei die Frage, ob der erste Eindruck so positiv prägend war, dass er das weitere musikalische Leben der Betroffenen bestimmte, oder ob es eher zu einer Art Trotzhaltung gegenüber den Eltern, die für die erste Begegnung mit Musik häufig verantwortlich sind, kommt und damit zu einer Hinwendung zu einer ganz anderen Form von Musik. Etwas irreführend ist erst einmal der Titel des Buches, in dem Cornel Wachter die Zeugnisse frühen Musikerlebens gesammelt hat. …als Paul McCartney mich anrief ist der Titel, darunter Mein erstes Musikerlebnis. Nun ist es aber gerade McCarthey, der ohne die Befragung auch der drei anderen Beatles sich nicht äußern will – und die ist im Jahre 2013, als das Buch entstand, bekanntlich nicht mehr möglich gewesen.
Relativ kurz ist die Reihe derjenigen, die durch die Oper zur Musik kamen, sie umfasst Biolek, Dagmar Koller, Loriot ( er ist mit einem etwas älteren Interview mit vertreten) und Julien Prégardien. Immerhin sehr schnell kühlte Anna Netrebkos Begeisterung für Abba, die auch Camilla Nylund teilte, zugunsten des Otello ab. Rossinis Oper Wilhelm Tell, d.h. die Ouvertüre dazu und Peter und der Wolf scheinen besonders Kinder zu beeindrucken. Für eine lange Reihe von Befragten ist die Klassik generell der Einstieg in ein von Musik erfülltes Leben gewesen, so für Péter Eötvös, Klaus Heymann, den Naxos-Begründer, Sir Peter Jonas, Christoph Poppen, Max Raabe und Johannes Strate. Einige Male taucht der Schlusschor von Beethovens Neunter als Auslöser von Musikbegeisterung auf. Thomas Hampson, Juliane Banse und Nikolaus Harnoncourt nennen neben vielen, die später nicht mehr aktiv in der klassischen Musik waren, die Hausmusik von Eltern und Geschwistern als Auslöser für Musikbegeisterung. „Klänge der Heimat“ könnte man für spätere Teilnahme am musikalischen Leben anführen, so bei Dalila Schaechter (Kibbuz), Janosch (Zigeuner), Deva Premal (indische Mantra) oder Palmitessa (Apulien). Waren früher Kirchenchöre die Brutstätten von zukünftigen Opernsängern, so sind es heute Popgruppen, aber der Einfluss geistlicher Musik kommt in den Interviews nicht zu kurz. Einsam auf weiter Flur bekennt Julia Biedermann, dass Ballettmusik der Auslöser für ihre Liebe zur Musik war, während Omer Meir Wellber ein der Interpretation bedürftiges Gedicht über das Thema verfasst hat. Elvis und die Beatles begeisterten viele, die auch später der U-Musik treu blieben. Anrührend ist die Schilderung des Kriegskindes Eberhard Schoener, der den Uniform tragenden Vater, als dieser „Leise rieselt der Schnee“ sang, als ganz neuen, anderen Menschen erlebte. Dass auch ein berühmter Musiker Auslöser für kindliche Musikbegeisterung sein kann, berichtet Daniel Hope, der bei Menuhins ein und ausgehen durfte. Über das Verfolgen der musikalischen Entwicklung von Individuen hinaus gibt das Buch Aufschluss darüber, welche frühmusikalischen Eindrücke zu welchem Bezug zur Musik bei Erwachsenen führen. Die hier genannten Beispiele sind nur einige aus der Fülle, die das Buch bereithält, und wurden besonders unter dem Gesichtspunkt „klassische Musik“ ausgewählt. Es bietet jedoch Lesestoff für alle an Musik in irgendeiner Form Interessierten (Seemann Verlag; ISBN 978 3 86502 320 :
Ingrid Wanja