Musik aus einem Damenstift

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L´Ercole amante? Da denkt der Barockfreund sofort an den Komponisten Francesco Cavalli. Dessen Vertonung des Librettos von Francesco Buti nach den Metamorphosen des Ovid stammt von 1662. Nun hat cpo eine Oper mit diesem Titel herausgebracht, welche eine Komponistin 1707 schrieb: Antonia Bembo, die um 1640 in Venedig geboren wurde und vor ihrem gewalttätigen Ehemann nach Paris geflohen war, wo sie 1720 starb. In der französischen Hauptstadt genoss sie die Protektion von Ludwig XIV. Er gewährte ihr eine Pension und die Unterkunft in einem christlichen Damenstift. Dort komponierte sie Kantaten und Motetten, schließlich Butis Textvorlage, doch kam es nicht zu einer szenischen Aufführung. Die Uraufführung fand erst 2023 in der Stuttgarter Liederhalle statt und ist dem Dirigenten Jörg Halubek zu verdanken, der die Oper mit dem Ensemble il Gusto Barocco konzertant aufführte. cpo hat diese Produktion dankenswerterweise auf zwei CDs als Weltersteinspielung veröffentlicht (555 728-2).

Die bekannte Handlung kreist um Herkules und seine Liebe zu Iole, die aber seinem Sohn Hyllos versprochen ist, was den Zorn Junos, Göttin der Ehe, erweckt. Herkules´ verlassene Gattin Deianira übergibt ihm ein Gewand des Zentauren Nesso, mit dem sie seine Liebe zurückgewinnen will. Doch er stirbt qualvoll, wird auf den Olymp entrückt und dort mit La Bellezza vermählt. Da auch Iole ihren geliebten Hyllos heiraten kann, gibt es einmal mehr ein barockes lieto fine.

Bembos Musik weist eine gelungene Mischung aus französischen und italienischen Stilelementen auf, ist reich an Melodik und vokaler Bravour. Das Orchester musiziert sie unter der engagierten Leitung von Halubek mit Frische und differenziertem Duktus. Jeder der fünf Akte wird mit einem instrumentalen Entrée eingeleitet – Gelegenheit für die Musiker, mit orchestralen Finessen zu glänzen.

Wie bei Cavalli ist die Titelrolle einem Bariton anvertraut und Yannick Debus füllt sie mit viriler Stimme imponierend aus. Deianira wird von der bulgarischen Sopranistin Alena Dantcheva wahrgenommen. Ihr schmerzlicher Ton spiegelt das harte Schicksal der Gattin eindrücklich wider. Beider Sohn Hyllo ist mit dem französischen Tenor/Haute-Contre David Tricou besetzt. Iole, seine Geliebte, gibt die aus Osttirol stammende Sopranistin Anita Rosati. Beide führen sich zu Beginn des 2. Aktes mit einem innigen Duett ein („Amor ardor più rari“), in welchem sich die Stimmen leuchtend verblenden. Als Giunone ist die belgische Sopranistin Flore Van Meerssche mit klangreicher Stimme zu hören. In einer Doppelrolle als Venere und Grazie Pesithea entzückt Chelsea Marilyn Zurflüh mit zauberhaftem Sopran. Vor allem die sanfte Schlummerarie der Grazie, „Mormorate o fumicelli“, am Ende des 2. Aktes ist ein Genuss. Einziger Countertenor in der Besetzung ist der französische Altus Arnaud Gluck als Paggio mit gebührend buffoneskem Tonfall. Die Ausgabe ist die gelungene Wiederentdeckung eines vergessenen Meisterwerkes (Es ist kein Porträt von Antonia Padoani Bembo bekannt, das erhalten geblieben ist. Verwirrenderweise wird das Selbstporträt der französischen Malerin Élisabeth Sophie Chéron (1648–1711) regelmäßig in Schriften und auf CDs verwendet, die sich mit Antonias Leben und Werk befassen.). Bernd Hoppe