Glanzpartie

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Ene neue Einspielung von Donizettis Lucia di Lammermoor muss dem Vergleich mit einer Reihe von Referenz-Aufnahmen standhalten. EuroArts hat sich dieser Herausforderung gestellt und eine Gesamtaufnahme herausgebracht, für die vor allem Lisette Oropesa in der Titelrolle der Anlass war (2011175, 2 CDs). Die amerikanische Sopranistin mit kubanischen Wurzeln führt derzeit die Riege der lyrischen Koloratursopranistinnen an, reüssiert weltweit in diesem Fach. An der Berliner Staatsoper hat sie soeben mit großem Erfolg die Violetta und Gounods Juliette gesungen. Auch die Lucia zählt zu ihren Glanzpartien.

2017 trat sie damit am  Royal Opera House Covent Garden London auf, ein Jahr später am Teatro Real in Madrid, 2022 an der Wiener Staatsoper und 2023 an der Mailänder Scala. Es war also an der Zeit, ihre Interpretation zu dokumentieren, wofür die Mikrofone im sizilianischen Catania, der Geburtsstadt Bellinis, installiert wurden. Und natürlich kam es auch zur Verpflichtung von Chor und Orchester des Teatro Massimo Bellini di Catania. Dirigent ist Fabrizio Maria Carminati, der als Spezialist für das Belcanto-Repertoire gilt. Nach seinem Wirken als Artistic Director bzw. Intendant am Teatro Regio Torino, am Teatro Donizetti Bergamo und in der Arena di Verona ist er seit 2020 Artistic Director am Teatro Massimo Bellini di Catania. Er sorgt für eine spannende, dramatisch aufgeheizte Interpretation, die im Finale des 2. Aktes zu Atem beraubender Intensität eskaliert. Auch das oft gestrichene Duett zwischen Edgardo und Enrico zu Beginn des 3. Aktes profitiert von seinem Impetus. Engagiert und klangvoll singt der Coro des Theaters in der Einstudierung von Luigi Petrozziello.

Die Aufnahme spiegelt die reiche Bühnenerfahrung von Lisette Oropesa wider. Schon in der Auftrittsszene nimmt sie gefangen mit ihrem individuell timbrierten Sopran, dem melancholischen Klang und der souveränen Technik. Die Cabaletta „Quando rapito in estasi“ zeigt ihre Kompetenz beim bravourösen Zierwerk der Partie, die später in der langen Wahnsinnsszene ihren Höhepunkt findet. Ungemein berührend ist die Melancholie im Auftritt („Il colce suono“), die sich dann bei „Spargi d´amaro pianto“ zu ekstatischem Koloraturtaumel steigert. Vorher gab es das anfangs heftige, dann schwelgerische Duett mit Edgardo („Ah! Verranno no a te“), die von wehmütiger Stimmung gezeichnete Auseinandersetzung mit ihrem Bruder Enrico und die fatale Konfrontation mit Edgardo bei der Hochzeitszeremonie mit Arturo, welche in das berühmte Sextett mündet, das auch hier einen dramatischen Höhepunkt der Oper markiert. In all diesen Szenen kann die Sopranistin ihre gestalterischen Fähigkeiten einbringen und die Stimme zwischen lyrischer Finesse und dramatischem Furor glänzen lassen.

Lisette Oropresa an der Scala als Lucia di Lammermoor/youtube RAI

Neben ihr singt der Rumäne Stefan Pop einen energischen Edgardo mit virilem Tenor, zupackend in der Emphase und mit metallischem Glanz in der exponierten Lage. Nur lyrische Eleganz ist seine Sache nicht. Der Italienische Bariton Mattia Olivieri gibt dem Enrico mit markiger, vehement auffahrender Stimme markantes Profil. Nicht ganz dieses Niveau besitzt der italienische Bass Riccardo Zanellato als Beichtvater Raimondo, dessen Stimme etwas verquollen und in der Tiefe matt klingt. Auch der zweite Tenor, Didier Pieri als Arturo, bleibt mit flacher Stimme zurück. Trotz dieser Einschränkungen reiht sich die Einspielung würdig in die Vielzahl der vorhandenen Dokumente ein und dürfte für viele Musikfreunde auch eine willkommene Überraschung auf dem Gabentisch sein. Bernd Hoppe