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„Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!“ Der atemberaubende Beginn der Oper von Richard Strauss gehört bekanntlich Narraboth. Für den jungen Syrer, dessen Schönheit auch Herodes ins Auge gestochen hatte, ist der aus Norwegen stammende Bror Magnus Tødenes sehr gut gewählt. Er verzehrt sich nach Salome mit strahlendem an James King erinnernden Tenor, während die Polin Hanna Hipp als Page, der seinerseits für Narraboth entrannt ist, mit auffahrenden Klytämnestra-Tönen das Objekt ihrer Begierde vergeblich für sich zu gewinnen trachtet. Kennte man den Oscar-Wilde-Text in der Übersetzung von Hedwig Lachmann nicht auswendig, würde wenig zu verstehen sein. Für alle Fälle hält das Booklet das Libretto in deutscher Sprache bereit. Die Schwedin Malin Byström, die vor fünfundzwanzig Jahren in Lübeck mit Rossini begann, ist in hochdramatischen Sphären angelangt und sang die Salome auch an der Staatsoper in München. Diesmal ist sie im August 2022 beim Internationalen Festival in Edinburgh zu hören, welches in jenem Jahr sein 75. Jubiläum beging. Der erst jetzt bei Chandos veröffentlichte Mitschnitt der konzertanten Aufführung ist auf dem Cover als Hommage an dieses Ereignis ausgewiesen (CHSA 5356). Es spielte das Bergen Philharmonic Orchestra unter der Leitung des Engländers Edward Gardner. Seinerzeit war er noch Chefdirigent des norwegischen Orchesters und leitet inzwischen das London Philharmonic Orchestra.
Mitschnitte, die in akustischer Bearbeitung auf Tonträger gelangen, haben durchaus ihre Tücken. Nebengeräusche, die es in jedem Konzert gibt, sind weitestgehend eliminiert worden. Kein Publikum ist so gebannt, dass es nicht einen Mucks von sich geben würde. Der bereinigte Sound wirkt etwas trocken. Nicht immer ausgewogen scheint die Balance zwischen Solisten und Orchester. So lässt sich Jochanaan aus seiner Zisterne nicht wie aus geheimnisvoller Tiefe, sondern mehr von hinten oder von der Seite vernehmen. Der magischen Wirkung der Szene ist dies nicht zuträglich. Sänger bleiben – wie in einem Konzert üblich – immer an derselben Stelle stehen, bewegen sich also auch klanglich nicht. Bei Stereo fällt das umso mehr auf. Oft ist das gut studierte Orchester zu sehr im Vordergrund, was in den sinfonischen Passagen nicht stört, vielmehr zusätzlichen Eindruck macht. Auch beim Tanz der sieben Schleier, der hier allerdings wie ein Zwischenspiel wirkt und nicht wie eine zentrale theatralische Aktion. Geht es vielstimmig zu wie beim religiösen Streit über die Bedeutung des eingekerkerten Propheten, wird es laut und undeutlich. Johan Reuter aus Dänemark scheint als Jochanaan nicht seinen besten Tag erwischt zu haben. Er klingt in der Höhe unstet, angestrengt und herb, was man ihm im Zweifel als gestalterisches Mittel durchgehen lassen kann. Reif und üppig verbreitet sich die Schwedin Malin Byström in der titelgebenden Rolle. Bereits kurz nach ihrem ersten Auftreten findet sie Gelegenheit, ihren auch in der Tiefe erprobten Sopran zur Geltung zu bringen. Sie agiert immer mit hundert Prozent, spart auch für den kräftezehrenden Schlussgesang nichts auf und besteht ihn eindrucksvoll. Ihre Landsfrau Katarina Dalayman, einst weltweit im hochdramatischen Fach unterwegs, schenkt sich als Herodias ebenfalls nichts. Sie lässt stimmlich keinen Zweifel daran aufkommen, wer am Hofe des Tetrarchen Herodes, den der deutsche Tenor Gerhard Siegel überzeugend und stets deutlich singt, das Sagen hat. Eigentlich müsste das Ende der Aufführung in Beifallstürmen untergehen. Auf dem Konzertpodium läuft schließlich alles noch mehr darauf hinaus als im Opernhaus. Niemand braucht sich über die Inszenierung aufzuregen, die beim Publikum oft Stein des Anstoßes ist. Alle Bekundungen aus Parkett und von den Rängen gehören in der ersten Aufwallung den Sängern, die sich nicht beim Rollenspiel zu verausgaben brauchen sondern alles mit der Stimme geben können. Das haben sie – wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen – getan. Deshalb wirkt es befremdlich, wenn dieser Teil der Veranstaltung abgeschnitten ist. Diese Salome endet wie im Nichts. Rüdiger Winter