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Wer einmal Lotte Lenya mit der Musik ihres Ehemanns Kurt Weill gehört hat, wird sie für alle Zeiten als Inbegriff des Weill-Gesangs im Gedächtnis gehalten haben, auch nicht durch die verdienstvollen Interpretationen von Gisela May, Milva oder Ute Lemper aus ihm zu vertreiben. Nun ist aus der insbesondere an Janáček und anderen Tschechen erprobten Zusammenarbeit von Simon Rattle und seiner Frau Magdalena Kožená eine CD mit Brecht/Weills Die sieben Todsünden hervorgegangen, ergänzt durch weitere Musik Weills, teils noch in Europa, teils bereits in den USA komponiert.
Wieder einmal war es ein liebender Gatte gewesen, der Engländer Edward James, der seiner Frau, der Tänzerin Tilly Losch, zu einem Auftritt auf der Bühne verhelfen wollte und deshalb ein Werk für sie in Auftrag gab. Sie war dann Anna II in dem Stück um ein Schwesternpaar, dass in den USA sein Glück versucht, um das nötige Geld für ein „kleines Haus in Louisiana“ zusammenzuverdienen, wobei Anna I, die Sängerin, die Antreibende, Anna II, die Tänzerin, die Ausführende ist, die Bewertung der Sieben Todsünden in ihr antireligiöses Gegenteil verkehrt wird, so wenn Anna II in Zorn über Tierquälerei gerät und dafür bestraft wird. In der CD-Aufnahme fällt naturgegeben die Tänzerinnenrolle weg, und Anna I übernimmt auch die wenigen gesprochenen Worte von Anna II und das sehr eindrucksvoll, wenn sie in ihnen die unausweichliche Entwicklung hin zu einer innerlich ausgebrannten , illusionslosen Frau hörbar macht. Gesanglich ist ihre, eine Opernsängerinnen- und keine Diseusenstimme, voller, runder, weicher, nuancenreicher mit einem Hauch Melancholie, weniger rotzig als die der Lenya und nur hin und wieder in scharfe Töne wechselnd.
Die „Familie“ der Schwestern oder besser der doppelgesichtigen einen Schwester besteht aus zwei Tenören, einem Bariton und einem Bass (ausgerechnet die Mutter), die Vier sind als vokale Individuen klar erkennbar und bilden zugleich ein ebensolches Ganzes. Das Orchester vermittelt einen Edelkaschemmensound, gibt sich angemessen grell, straff und temporeich, es ist das London Symphony Orchestra.
Fern aller Westernromantik bewegt sich Tod im Wald, wo es um das langsame Sterben eines von Lynchjustiz Heimgesuchten geht, dem Florian Boesch mit markantem Bassbariton ebenso eine Stimme gibt wie dem erzählenden Text. Unerbittlichkeit lässt sich vom Orchester vernehmen. Andrew Steples singt die Arie Lonely House aus Weills amerikanischer Oper Street Scene mit sehnsüchtig klingendem Tenor, und auch das auf Walt Whitmans Dirge fort two veterans komponierte Lied. Dem Bariton Ross Ramgobin gelingt mit Beat! Beat! Drums!, eigentlich für Paul Robeson bestimmt, eine eindrucksvolle Antwort wohl auf den Überfall auf Pearl Harbour.
Den Abschluss bildet die Kleine Dreigroschenmusik in schöner Ausgeglichenheit zwischen frechem Moritatensound und eleganter Barmusik, von einem Highlight zum nächsten gleitend (LSO Live 500880). Ingrid Wanja