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Die letzte CD-Aufnahme von Händels Oper Alcina mit Joyce DiDonato bei der DG erschien vor 15 Jahren, die Neueinspielung bei PENTATONE ist daher mehr als willkommen – umso mehr, da sie unter der Leitung von Marc Minkowski entstand, der mit seinem Ensemble Les Musiciens du Louvre eines der spannendsten Händel-Dokumente der letzten Zeit vorlegt. Das Album wurde im Februar 2023 in Bordeaux produziert und auf drei CDs mit einem mehrsprachigen Booklet veröffentlicht (11689581). Spektakulär ist die Besetzung, angeführt von Magdalena Kozená in der Titelrolle. Die tschechische Mezzosopranistin ist bei dem Label regelmäßig besetzt, sorgt aber hier für einen absoluten Höhepunkt ihrer Aufnahmetätigkeit. Die Intensität ihrer Interpretation ist überwältigend, das Spektrum der Emotionen und Farben schier unerschöpflich. Schon in ihrer zweiten Arie, „Sì, son quella!“, verdeutlicht sie mit umflorten Ton den Wechsel im Gefühlszustand der Figur. Bei ihrem „Ah, mio cor!“ im 2. Akt verstärkt sich die existentielle Situation noch und Kozená gelingt mit bebender Stimme und einem Ausdruck von höchster Intensität ein ergreifender Moment in ihrer Interpretation. In „Ombre pallide“ am Ende des 2. Aktes schafft sie einen Zustand von Trance und Verzweiflung, während sie bei „Ma quando tornerai“ im 3. Akt noch einmal ihr virtuoses Vermögen demonstrieren kann. Und ihr letzter Auftritt mit „Mi restano le lagrime“ ist ein ergreifendes Zeugnis ihres tragischen Scheiterns.
Die zweite Sopranpartie des Werkes, Morgana, nimmt Erin Morley wahr und überzeugt mit jugendlichem, süßem Timbre und hoher Sicherheit bei den exponierten Koloraturen. Ihr Bravourstück am Ende des 1. Aktes „Tornami a vagheggiar“ singt sie mit jubilierender Stimme und lässt die Koloraturen glitzern. Im lieblich von der Viuoline umspielten „Arna, sospira“ im 2. Akt bezaubert sie mit Tönen von anrührender Innigkeit, die beim „Credete al mio dolore“ im 3. Akt an Intensität noch gewinnen.
Die Partie des Ruggiero, komponiert für den namhaften Kastraten Giovanni Carestini, ist eine Herausforderung für jeden Interpreten, sei es ein Countertenor oder eine Mezzosopranistin. Hier sorgt Anna Bonitatibus für eine Sternstunde des Barockgesangs mit beglückender Stimme. Energisch trumpft sie in ihrer Auftrittsarie „Di te mi rido“ auf und demonstriert schon hier ihr virtuoses Vermögen. Im wiegenden „Mi lusinga il dolce affetto“ setzt sie einen intimen Gefühlsmoment und mit dem lyrischen Glanzstück der Partie, „Verdi prati“, das die Schönheit der Natur preist, krönt sie mit sublimen Tönen und feinsten Nuancen ihre Darbietung. Natürlich imponiert sie auch mit ihrem Bravourstück „Sta nell´ ircana pietrosa“ im letzten Akt, einem cavallo di battaglia aller Händel-Mezzosoprane, mit Verve, Geläufigkeit und Emphase.
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Version 1.0.0
Konkurrenz hat sie nur in Elizabeth DeShong, die als Ruggieros Braut Bradamante einen dunklen Mezzo von satter Fülle und phänomenaler Virtuosität hören lässt. Schon ihr Auftritt „È gelosia“ imponiert im energischen. Aplomb und der behänden Koloraturläufe. Höhepunkt ihrer Interpretation ist „Vorrei vendicarmi“ im 2. Akt, wo sie wie ein Wirbelsturm durch die Koloraturrouladen rast – ihr gebührt die Siegestrophäe im Wettstreit der Sängerinnen. Der Countertenor Alois Mühlbacher gibt den Knaben Oberto mit gebührend androgynem Timbre, doch steifen Tönen in der Höhe, der Tenor Valerio Contaldo den in Morgana verliebten Oronte, der in seiner Arie „Semplicetto! A donna credi?“ zwar resoluten Ausdruck, doch auch grobschlächtige Tongebung vernehmen lässt. Einen günstigeren Eindruck hinterlässt er mit dem auftrumpfenden „È un folle“ und vor allem dem kultivierten „Un momento di contento“ im letzten Akt, doch bleibt er der Schwachpunkt der sonst hochkarätigen Besetzung. Alex Rosen komplettiert sie als Melisso mit virilem Bass, der in der großen Arie im 2. Akt, „Penso a chi geme“, mit nobler Tongebung besticht.
Sie alle führt Minkowski mit erfahrener, kundiger Hand und lässt mit seinem Orchester Händels Musik mit ihrem Farbenreichtum und all ihren Affekten erstrahlen. Seine Tempovorgaben sind zuweilen höchst riskant und verlangen den Interpreten das Äußerste an Einsatz und Virtuosität ab. Aufregend sind die Kontraste, welche der Dirigent in seiner Deutung setzt – wenn er am Ende des 2. Aktes bei Alcinas ,,Ah, mio cor!“, das den Verlust ihrer Macht anzeigt, das Orchester geradezu einfriert und klirrende staccati hören lässt. Im Ballet am Ende des 2. Aktes differenziert er deutlich zwischen dem lieblichen Entrée des Songes agréables und dem bedrohlichen Entrée des Songes funestes, macht im Klangbild die beiden unterschiedlichen Welten deutlich. Mit dem Schlusschor „Dopo tante amare“ lässt er das Werk jubilierend ausklingen. Bernd Hoppe