Neu entdeckter „Regenlied-Zyklus“

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Brahms geht immer. Zumal in prominenter Besetzung. Von dieser Überzeugung ließ sich wohl auch das in Glasgow ansässige Plattenlabel Linn Records leiten. Es ist auf Klassik, Jazz und schottische Musik spezialisiert und Teil von Linn Products, einer Firma, die sich mit innovativer Tontechnik für gehobene Ansprüche einen Namen gemacht hat. Unternehmerisch macht diese Mischung durchaus Sinn. Neue im Katalog sind zwei „Songbooks“ in ökologisch vorbildlichen Hüllen, die völlig ohne Plastik auskommen. Vol. 1 (CKD 693) wird von Thomas Oliemans bestritten, Vol. 2 (CKD 749) von Sarah Connolly und Hanno Müller-Brachmann. Beide Male begleitet am Flügel der aus Edinburgh stammende Pianist Malcolm Martineau, der vornehmlich als Liedbegleiter in Erscheinung tritt. Zugkräftig ist mit der Schönen Magelone der Einstieg in die Edition gewählt. Das Werk erfreut sich anhaltender Beliebtheit und wurde sehr oft eingespielt. Der niederländische Bariton Oliemans singt nur die fünfzehn Romanzen, was ursprünglich auch im Sinne des Komponisten gewesen ist. Dadurch geht aber der Bezug zur romantischen Erzählung selbst verloren. Nur wer Tiecks Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence kennt, kann folgen. Da nützt es auch wenig, dass die Verse im Booklet abgedruckt sind. In seiner Zeit konnte Brahms auf ein Publikum vertrauen, das seinen Tieck kannte. Davon kann heutzutage kaum mehr die die Rede sein. Obwohl sich Oliemans in Deutsch vergleichsweise sicher bewegt – schließlich tritt er auch in der Zauberflöte, im Ring des Nibelungen und in der Fledermaus auf – ist er keine geborener Vermittler und Deuter sprachlich verschlungener romantischer Verse. Wohl aber vermag er mit seinem etwas herben Bariton Stimmungen hervorzubringen, die dem Zyklus gerecht werden. Stimmungen, an denen der Mann am Klavier hier wie auch an den anderen Liederbüchern erheblichen Anteil hat.

Der eigentliche Mehrwert der CD ist der so genannte Regenlied-Zyklus, der aus vier Nummern besteht, die auf Gedichte von Klaus Groth (1819-1899) beruhen. Er führt keine eigene Opuszahl und ging später in der Sammlung Acht Lieder und Gesänge op. 59 auf, in die er sich thematisch einordnet und die umfangreichere Zusammenstellung inhaltlich erweitert. Brahms hielt viel von Groth, der wie Fritz Reuter zu den Begründern der niederdeutschen Literatur gehört. In Kiel, wo er wirkte, starb und begraben ist, finden sich gleich mehrere Gedenkorte. Auch in Berlin (Westend) und in anderen Städten zeugen Straßennamen von der einstigen Bedeutung dieses Literaten. Nicht nur die Regenlieder gehen auf ihn zurück. Groth lieferte die Verse für einige seiner schönsten Erfindungen. Zu nennen sind „O wüsst‘ ich doch den Weg zurück“ und „Wie Melodien zieht es mir leise durch den Sinn“. Die Online-Enzyklopädie Lieder.net weist zudem Vertonungen von Groth durch Goldmark, Flotow, Grieg, Nietzsche, Fibich, Jenner, Schönberg, Reger, Raff und Blech nach, die ihrer Wiederentdeckung harren.

Im Brahms-Handbuch (Metzler/Bärenreiter 2009, S. 224) wird der Komponist dahingehend zitiert, dass die meisten Sänger und Sängerinnen sich die Lieder ganz willkürlich zusammenstellen, wie sie gerade ihrer Stimme lägen und gar nicht beachteten“, dass er, Brahms, sich stets große Mühe gegeben habe, seine Liedkompositionen wie zu einem Bouquet zusammenzustellen. Diese Willkürlichkeit hat sich bekanntlich auch auf dem Musikmarkt eingenistet. Nicht in übler Absicht sondern meist aus ganz praktischen Erwägungen, wie sie auch schon von Brahms beargwöhnt worden sind. Er konnte nicht ahnen, dass auch in den ersten Plattenaufnahmen von Liedern, die deren Verbreibung ungemein förderlich gewesen sind, gar nicht daran zu denken war, in sich geschlossene Werkgruppen einzuspielen. Allein die Kapazitäten von Tonträgen gaben das nicht her. Der lockere Umgang mit den originalen Einteilungen hat sich schließlich mehr und mehr durchgesetzt. Deshalb sind Editionen wie diese Songbooks, die den Intentionen des Komponisten folgen, ein gutes Werk.

Gruppen mit den Opuszahlen 43, 48, 57, 72 und 105 sind auf der CD Vol. 2 versammelt. Opus 105 wird von “Wie Melodien zieht es“, dem bereits erwähnten Groth-Titel wirkungsvoll eingeleitet. Mit „Immer leiser wird mein Schlummer“ folgt ein weiteres Highlight, das jeder, der sich auch nur ganz nebenbei mit Liegesang beschäftigt hat, kennte. Kaum ein Liederabend mit einer Brahms-Gruppe kommt ohne diesen Titel aus. Einmal gehört, vergisst er sich nie wieder. Die englische Mezzosopranistin Connolly singt es mit aller gebotenen Schlichtheit, Innerlichkeit und Ruhe – Vorzüge, die auch bei ihrer Interpretation der Lieder Die Mainacht und Von ewige Liebe (beide op. 43) den Vergleich mit den besten Brahms-Interpreten nicht zu scheuen brauchen. Müller-Brachmann, ein auch im Liedgesang geschätzter Bassbariton, weiß in derselben Werkgruppe mit den balladesken Titeln „Ich schell mein Horn ins Jammertal“ und „Das Lied vom Herrn von Falkenstein“, die eine Nähe zu Carl Loewe erkennen lassen, aufregende Kontraste zu setzen, die einen starken Eindruck hinterlassen. Rüdiger Winter