Roberto Alagna und eine CD zum 60.

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Roberto Alagna (* 7. Juni 1963), gestehe ich unumwunden, gehört zu den Heroen meines Opernlebens. Ich bin ihm als – als begeistert-voreingenommener – Fan in seinen frühen  Jahren nachgereist, nachdem er nach seinem Scala-Debüt 1990 als Alfredo Karriere machte, habe ihn mehrfach in Montpellier gesehen (u. a. als Roberto Devereux neben Daniela Longhi), habe seinen ersten Radames in Kopenhagen erlebt, seinen Amico Fritz in Monte-Carlo bewundert und frenetisch beklatscht, natürlich seinen Donizetti-Edgardo und andere in Berlin, London (ah, sein Romeo neben der entzückenden Leontina Vaduva ebendort), Paris bestaunt, den ersten CD-Aufnahmen bei der EMI beigewohnt, seinen Werther in Turin aufgewühlt durchlebt und ihn überhaupt vor allem im angestammten französischen Repertoire bewundert, von dem er leider zu wenig auf der Bühne gesungen, aber doch einiges eingespielt hat. Immerhin gibt’s die französische Lucie de Lammermoor und den Werther mit ihm auf DVD und CD, Lalos Fiesque, Massenets Jongleur de Notre-Dame,  Vladimir Cosmas Marius et Fanny und von seinem Bruders David Alagna dessen Le dernier jour d’un condamné, von Bizets Carmen auf DVD und CD ganz abgesehen.

Zu meinen tiefen musikalischen Erlebnissen zähle ich seinen Berlioz-Enée in Marseille und Berlin, ebendort auch seinen grandiosen Vasco da Gama Meyerbeers.  Nicht vergessend seinen Rodrigue/Le Cid in Marseille und Paris. Vieles, wie seinen bizarren Orphée aus Bologna (in der Fassung und Produktion seiner Brüder), gibt es als Radio- und natürlich Privat-Mitschnitte. Zu seinen späteren, bemerkenswerten Partien zähle ich auch seinen hochidiomatischen Lohengrin in Berlin, nachdem aus seinem Bayreuth-Auftritt neben Anna Netrebko nichts wurde.

Ich habe einige Interviews mit ihm gemacht und ihn als außerordentlich charmanten, liebenswürdigen und gebildeten Mann erlebt, mit dem ich wunderbar über Musik und alte Sänger, über Gesangstechnik und -Stil fachsimpeln konnte. Rundherum ein wirklich bezaubernder Mensch.

Nun hat er sich bei Aparté eine CD zu seinem 60. Geburtstag (bereits 2023) gegönnt – ein sehr breites Repertoire von Pergolesi über Flotow, Wagner bis zu Drigo und Alagna (-Bruder), dazu ein paar Russen und Polen, ganz bemerkenswert  und vielseitig (Arien & Lieder von Giuseppe Verdi, Charles Gounod, Adolphe Adam, Friedrich von Flotow, Richard Wagner, Stanislaw Moniuszko, Peter Tschaikowsky, Nikolai Rimsky-Korssakoff, Ambroise Thomas, Giacomo Meyerbeer, Giovanni Battista Pergolesi, Riccardo Drigo, Ruggero Leoncavallo, Vincenzo di Chiara, David Alagna, Nikolaus Brodszky, Roberto Alagna; Giorgio Croci leitet das Morphing Chamber Orchestra; Aparté AP 351).

Nachstehend leihen wir uns von der Firma Aparté mit Dank aus der CD-Beilage den Artikel von Bradley Bamberger und das kurze Interview mit Alagna, in dem er auf seine langte und schöne Karriere zurückblickt aber auch nach vorne schaut. 60 Jahre sind kein Alter für meinen Tenorschwarm. Alles Gute und herzlichen, späten Glückwunsch zum  61. Geerd Heinsen

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Wie jeder Sänger mit einer so langen Karriere hat Roberto Alagna einen berauschenden, Star-machenden Erfolg und die damit einhergehende Anerkennung von Publikum und Kritikern genossen (ganz zu schweigen von den Dramen, die er hinter den Kulissen durchgestanden hat). In mehr als vier Jahrzehnten hat der franko-sizilianische Tenor nicht nur sein Durchhaltevermögen in der Oper unter Beweis gestellt, sondern auch eine immer noch jung gebliebene Leidenschaft für Musik gezeigt, indem er seine künstlerische Entwicklung mit einer ansteckenden Freude am Singen in Einklang gebracht hat. Dieses Album, dessen Titel 60 wie ein stolzes Banner verkündet, erinnert an Alagnas 60. Reise um die Sonne, und das mit Begeisterung. Das Programm ist breit gefächert und umfasst Arien und Lieder in einer außergewöhnlichen Vielfalt an Sprachen und Stilen, wobei die meisten Stücke zum ersten Mal von Alagna aufgenommen wurden.

Alagna, der in der Nähe von Paris in eine Familie sizilianischer Einwanderer hineingeboren wurde, begann als Teenager in den Kabaretts der Stadt zu singen, beeinflusst durch die Filme von Mario Lanza. Obwohl er sich das Singen größtenteils selbst beigebracht hat, gewann Alagna 1988 den Internationalen Gesangswettbewerb Luciano Pavarotti. Innerhalb von ein paar Jahren nahm er

Einladungen von der Mailänder Scala, dem Londoner Covent Garden und der New Yorker Metropolitan Opera an und sang Verdi, Puccini und Gounod. Ein erster Plattenvertrag mit EMI unterstreicht seinen aufstrebenden Status. Der Kritiker der New York Times, Anthony Tommasini, befand 2020, dass Alagna nach Manhattan zurückkehrte, um den Rodolfo zu singen, die Rolle, in der der Tenor 24 Spielzeiten zuvor sein Met-Debüt gegeben hatte.

„Im Laufe der Jahre hat Alagna sein Repertoire absichtlich von lyrischen Tenorrollen wie Rodolfo, für die er ideal geeignet schien, auf stimmlich gewichtigere und riskantere Rollen wie Verdis Radames in Aida und die männliche Hauptrolle in Saint-Saens‘ Samson et Dalila verlagert“, schrieb Tommasini. „Er hat es geschafft, insgesamt ein großer Tenor zu bleiben… Und er ging in den nächsten zwei Jahrzehnten frech seinen eigenen Weg, indem er schwerere Rollen übernahm, die Kraft und Ausdauer erfordern… es brauchte also einigen Mut, um zum Rodolfo zurückzukehren. Würde Alagna noch über die lyrische Eleganz und den jugendlichen Überschwang verfügen, die die Rolle verlangt?“ Tommasini verwies auf „die immensen Gaben und das Charisma“, die Alagna in den 1990er Jahren auf die Bühne brachte, und wies darauf hin, dass sein In seiner jüngsten Aufführung als Rodolfo hat er „die Qualitäten beibehalten, für die er anfangs gefeiert wurde: stimmlicher Reichtum, stilvolle Phrasierung, leidenschaftlicher Vortrag.“

Um die anhaltende künstlerische Vitalität zu unterstreichen, reicht das Programm für Alagnas 60. Geburtstag von Pergolesi, Verdi, Leoncavallo und Riccardo Drigo bis zu Gounod, Meyerbeer, Flotow, Adolphe Adam und Ambroise Thomas sowie – vielleicht überraschend – Wagner, Tschaikowsky, Rimsky-Korsakow und einer polnischen Rarität aus dem19. Es gibt auch leichtere Lieder in spanischer, italienischer, englischer und französischer Sprache (darunter ein Stück, das von Alagnas Brüdern David und Frederico komponiert wurde, mit denen er oft zusammenarbeitet). Dieses anspruchsvolle Tenor-Recital endet mit „Sognare“, einem vom Sänger selbst geschriebenen Lied in italienischer Sprache.

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Das folgende Gespräch fand während Alagnas Proben für die Rolle des Calaf in Puccinis Turandot statt, die im April 2024 an der Met aufgeführt werden soll – und nur wenige Wochen nach den Aufnahmen zu diesem Album in Wien.

Was haben Sie als Jugendlicher in den Pariser Clubs gelernt, an das Sie sich jedes Mal erinnern, wenn Sie singen, sei es vor einem Studiomikrofon oder auf der Bühne?

Ich habe damals eine Menge gelernt! Es war eine Herausforderung, weil man jeden Abend improvisieren musste. Das Repertoire, das man sang, hing vom Publikum ab, und wir hatten viele verschiedene Nationalitäten im Publikum, weil es oft viele Touristen gab. Man musste praktisch in jeder Sprache ein Lied kennen – mein Repertoire umfasste 70 Lieder, damit ich für jede Situation das Richtige parat hatte. In verschiedenen Sprachen zu arbeiten, ein großes Repertoire zu kennen – das ist für einen Sänger unerlässlich. Etwas anderes, das man so früh lernen musste, war die Kommunikation mit dem Publikum. In den Clubs waren die Zuhörer sehr nah dran. Während man sang, musste man versuchen, ‚gut aussehend‘ zu bleiben, das Gesicht zu entspannen, ohne zu forcieren. Es war wichtig, sein Charisma zu bewahren, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen, damit die Leute – die vielleicht während des Auftritts gegessen und getrunken hatten – einem wirklich zuhörten. Um den Zuhörer zu fesseln, war das ein sehr gutes Training für mich. Ich musste auch Durchhaltevermögen entwickeln, weil ich oft jede Nacht von Mitternacht bis sechs Uhr morgens auftrat – und dann sang ich vielleicht an einem Sonntag bei einer Gala für wohltätige Zwecke.

Heute kann ich diese frühen Erfahrungen auf meine Arbeit in der Oper übertragen. Natürlich ist es sehr wichtig, die Stile von Puccini, Verdi usw. zu respektieren. Aber ich finde, man muss auch jeden Abend etwas Neues schaffen. Man kann nicht bei jeder Aufführung dieselbe Phrasierung, dieselbe Dynamik verwenden. Wie Verdi zu sagen pflegte, muss die Interpretation im Moment geboren werden. Das ist etwas, woran ich immer versucht habe, mich zu erinnern: die Spontaneität in meinen Aufführungen zu bewahren, im Moment zu atmen, die Emotionen zu verändern, die Nuancen zu variieren. Man kann nicht alles an einer Musikhochschule lernen. Jeden Abend vor Publikum zu singen, seine Reaktionen auf das, was man tut, zu spüren und darauf zu reagieren – das ist die ultimative Schule. Und ich behalte die Lektionen auch nach all den Jahren noch im Kopf.

Sie haben als Sänger viele Helden, von Mario Lanza über Pavarotti bis hin zu Luis Mariano, Caruso… Wen bewundern Sie als Tenor, der die 60 überschritten hat?

Da gibt es mehrere. Nicolai Gedda und Alfredo Kraus hatten besonders lange Karrieren, große Karrieren natürlich, aber auch Pavarotti – Luciano war tatsächlich bis fast 70 in guter Tenorstimme. Und Gigli, Beniamino, sang bis weit in seine 60er Jahre hinein und „starb mit seiner Stimme“, da er bis zum Schluss sowohl das leichte als auch das schwere Tenorrepertoire singen konnte. Aber

Ich bewundere nicht nur die Großen, sondern auch alle meine Kollegen, denn es gibt eine natürliche Auslese – nicht viele der Milliarden Menschen auf der Erde sind in der Lage, auf hohem Niveau auf der Bühne vor Publikum zu singen. Es ist ein Segen, und ich respektiere alle Opernsänger, die in der Lage sind, so viel gute Arbeit zu leisten und daraus eine lange Karriere zu machen. Es ist eine seltene Disziplin, dass man so arbeiten muss wie diejenigen, die das vor hundert, zweihundert Jahren getan haben, ohne Mikrofone, ohne Verstärkung usw. Das ist nicht leicht!

Was ich an den großen Tenören in jedem Alter liebe, ist dieser Glanz in der Stimme, das leichte, natürliche Schweben der Linie, die Morbidezza. Ich mag keine ‚Tricks‘ beim Singen. Ich bevorzuge Spontaneität und Aufrichtigkeit in der Stimme, und wenn man nicht an die Technik denkt, sondern nur an das Gefühl in der Musik. Caruso pflegte zu sagen, dass die beste Technik vor dem Publikum verborgen ist – es ist die Kunst, die Kunst zu verbergen. Der Gesang von Caruso, Gigli, Pavarotti, Franco Corelli und Mario Del Monaco ist so natürlich, dass man, wenn man ihnen zuhört, nur denken kann, dass diese Leute einfach dazu geboren wurden, dies zu tun. Aber natürlich haben sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet und viele Opfer gebracht, um diese Qualität zu erreichen. Das ist wirklich etwas, was man anstreben sollte, egal wie alt man ist. (Quelle Aparté/ Bradley Bamberger/DeepL)

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Die Kollegen von Klassik Heute hatten zu Alagna 60. Geburtstag 2023 eine umfassende Vita von ihm erstellt, die wir mit Dank „ausleihen“: Der französische lyrische Tenor Roberto Alagna wurde als Sohn sizilianischer Eltern am 7. Juni 1963 in einem Vorort von Paris geboren. Mir 18 Jahren erhielt er die französische Staatsbürgerschaft, konnte gleichzeitig aber auch die italienische beibehalten. Als Jugendlicher betätigte er sich in Paris als Straßenmusikant und sang Popsongs gegen Trinkgeld. Die Filme von Mario Lanza und Schallplatteneinspielungen von berühmten Tenören brachten ihn zum Operngesang. Seine Gesangsausbildung war weitgehend autodidaktisch. Gabriel Dussurget, der Mitbegründer des Festivals Aix-en-Provence, wurde auf ihn aufmerksam und förderte ihn. 1988 gewann Alagna den Internationalen Gesangswettbewerb Luciano Pavarotti und erhielt sein erstes Opernengagement in Modena. Mit der Glyndebourne touring company startete er als Alfredo Germont in Verdis La traviata schließlich seine Profikarriere. Es ergaben sich daraus zahlreiche Auftritte zunächst an kleineren Bühnen in Italien und Frankreich. Insgesamt hat Alagna diese Rolle wohl mehr als 150 mal verkörpert.

Schließlich wurden auch die großen Opernhäuser auf den jungen Tenor aufmerksam. 1990 feierte Alagna sein Debüt an der Mailänder Scala, 1992 im Covent Garden und 1996 gelang ihm mit seinem Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera endgültig der internationale Durchbruch. 2007 kam es an der Scala zu einem Eklat, als Alagna als Radames in Verdis Aida von den oberen Rängen ausgebuht wurde und daraufhin die Bühne verließ. Antonello Palombi musste in Straßenkleidung einspringen, um die Vorstellung zu retten. Als Pinkerton in Madama Butterfly an der Met engagiert, sprang Alagna im selben Jahr (2007) als Romeo in Roméo et Juliette ebenfalls dort für den erkrankten Rolando Villazón an der Seite von Anna Netrebko ein. Und ebenfalls 2007 erntete Alagna standing ovations, als er in der Aufführung der Aida am 16. Oktober in der Met für den indisponierten Marco Berti einsprang. Die Aufführung von Roméo et Juliette am 15. Dezember mit ihm an der Seite von Anna Netrebko wurde von der Met in 447 Opernhäuser weltweit in HD übertragen und von schätzungsweise 97000 Zuschauern live verfolgt. Am 25. Juli 2018 hätte Alagnas Debüt bei den Bayreuther Festspielen als Lohengrin erfolgen sollen, wegen Überlastung musste er sein Debüt aber am 29. Juni absagen. Nachdem Alagnas erste Frau Florence Lancien 1994 an einem Gehirntumor gestorben war, war er von 1996 bis 2013 mit der rumänischen Sopranistin Angela Gheorghiu verheiratet. 2015 heiratete er die polnische Sopranistin Aleksandra Kurzak. Im Laufe seiner Karriere hat Roberto Alagna ca. 40 verschiedene Opernrollen verkörpert und kann auf eine stattliche Anzahl an Einspielungen und CD-Veröffentlichungen zurückblicken. Im Jahr 2008 wurde er von der französischen Regierung zum Ritter der Ehrenlegion erhoben. Quelle: Klassik Heute (Farbfotos Florian Bonfay; Aufnahmefotos Ana Fedisz/alle Aparté)