Zum 200. Geburtstag

.

Bestechend elegant in der Optik und überzeugend im akustischen Eindruck ist die von Supraphon zum 200. Geburtstag des Komponisten auf den Markt gebrachte Ausgabe sämtlicher Opern Bedřich Smetanas, angefangen von den Braniboři v Čechách (Die Brandenburger in Tschechien) und endend mit der nur wenige Tracks umfassenden Viola, deren Librettto sich auf Shakespeares Was ihr wollt stützt. Jeder Oper ist eine zart beigefarbene Kassette gewidmet mit der Silhouette des Bühnenbilds  als Cover, mit einem eigenen Booklet, dem man die Besetzung, die Trackliste, die Entstehungsgeschichte des  jeweiligen Werks und eine Inhaltsangabe entnehmen kann, alles auf Tschechisch und auf Englisch.

Bedric Smetana/ Wikipedia

Auf eine digitale Verfügbarkeit des jeweiligen Librettos, ebenfalls in beiden Sprachen, wird verwiesen, und der Namenszug des Komponisten sowie das Uraufführungsplakat sind ebenfalls zu bewundern. Fotos zeigen die wichtigsten Sänger der durchweg in den in den Sechzigern oder Achtzigern vorwiegend im Prager Nationaltheater aufgeführten Opern, die Tonaufnahmen entstanden in eben dieser Zeit im Studio und wurden in jüngster Zeit remastered. Nicht aus Prag und lediglich als  Studioaufnahme existiert Hubička (Der Kuss), in Brünn aufgenommen.  Alle Opern wurden natürlich in der Originalsprache gesungen, was einen besonderen Wert ausmacht, die Sänger sind bis auf wenige Ausnahmen,  so Gabriela Beňačkova als Marie in Die verkaufte Braut und Libuše, die zur Wiedereröffnung des Prager Nationaltheaters aufgeführt wurde, und Peter Dvorsky als Hans in Die verkaufte Braut national sicherlich sehr, international weniger bekannte Sänger. Allerdings könnte es sich bei der als Jitka im Dalibor aufgeführten Hana Svobotá Jankǔ um die als Gioconda oder Turandot auf allen großen Bühnen geschätzte Sängerin handeln.   

Smetana drückte seine Heimatliebe, die sicherlich auch durch das Nichtvorhandenseins eines souveränen Staats für die Tschechen genährt wurde, nicht nur in den populären sinfonischen Dichtungen Mein Vaterland oder Die Moldau aus, sondern auch in seinen Opern, insbesondere in Braniboři v Čechách, Libuše und Dalibor, die auf teils sagenhafte historische Ereignisse zurückgreifen. So geht es in seinem Erstlingswerk um die nach dem Tod Ottokars II., von Franz Grillparzer in dessen Drama König Ottokars Glück und Ende besonders gewürdigt, erfolgte Besetzung tschechischen Gebiets durch die Brandenburger und die Befreiung von dieser, die in der Oper zudem die von drei tschechischen Schwestern bedeutet, deren eine einen Tschechen liebt, aber einen Deutschen heiraten soll. Am Ende sind Mädchen wie Tschechen insgesamt frei, und alle können in einen Jubelchor einstimmen, nachdem es bereits in dem einschließlich Ballett nach dem Muster einer Grand Opéra gestrickten Werk viele patriotische Chöre à la patria oppressa gegeben hat. Die Oper wurde übrigens unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gleich an zwei der drei Opernhäuser Prags gegeben, nach 1948 war man vorsichtig, weil die Eingangsworte sich gegen eine Fremdherrschaft richteten, die nach dem erneuten Prager Fenstersturz, dem des Außenministers Masaryk, und damit die Sowjets hätten herausfordern können.   

Emmy Destin Sang die Marenka in der Uraufführung/ Foto Bärenbreiter

Das Orchester des Prager Nationaltheaters unter Jan Hus (!) Tichŷ lotet die Farbigkeit und das Pathos der Partitur mit hörbarer Wonne aus.  Ganz am Schluss der Besetzungsliste taucht ein Kmet, was so viel wie Alter Mann heißt, auf, der aber eine Schlüsselrolle im Freiheitskampf einnimmt und der von Eduard Haken mit hoch autoritärem Bass eindrucksvoll sonor gesungen wird. Den Vater im Dreimäderlhaus und zugleich Bürgermeister von Prag singt Karel Kalaš mit schlankerer tiefer Stimme, Zdenȇk Otava zeigt seinen fiesen Charakter als Jan Tausendmark mit teils verzerrten Tönen seines an sich nicht hässlichen Baritons. Das gilt auch für den Sänger des Varneman, Antonin Votava, Anführer der Brandenburger, dessen Tenor rollengerecht nicht auf Schöngesang ausgerichtet ist.  Der glücklichere der beiden Liebhaber der umschwärmten Ludiše ist Ivo Židek, dessen Tenor heldentenorale Kraft wie lyrische Innigkeit demonstrieren darf. Etwas fippsiger ist der von Bohumir Vich für den Jira, der in einer hübschen Arie aber auch Liebhaberqualitäten zeigen darf. Lyrisch mädchenhaft, was nach dem Betrachten des Fotos der Sängerin erstaunen lässt, klingt der Sopran von Milada Šubrtová, allerdings zeigt er auch die für slawische Stimmen oft typischen Schärfen in der Höhe.

Auch die Schwester Vičenka darf eine Arie singen und tut dies mit dem herb-frischem Sopran von Miloslava Fidlerová . Allen Sängern gemeinsam ist die vorzügliche Textverständlichkeit, die man auch bei ostdeutschen Bühnen zu schätzen wusste, die aber natürlich wenig nützt, wenn man des Tschechischen nicht mächtig ist.   

Offensichtlich auf keiner szenischen Aufführung basierend, sondern eine reine, sich über zwei Monate des Jahres 1981 hinziehende Studioaufnahme ist die der Verkauften Braut in Starbesetzung mit Gabriela Beňačková und Peter (nicht Petr), aber Dvorsky, die auch nicht von einem Opernorchester der Stadt Prag, sondern von der Česká filharmonie unter Zdenȇk Košler und dem Pražskŷ  filharmonicky sbor begleitet werden. Die Szenenphotos, die auch hier nicht fehlen, stammen vom Tschechischen Fernsehen.

Die verkaufte Braut ist mit Abstand Smetanas populärste Oper, deren „Komm mein Söhnchen, auf ein Wort“ oder „Endlich allein“ Wunschkonzertqualitäten haben. In der Originalsprache hört sich das alles noch frischer, noch tiefer berührend und gar nicht mehr abgedroschen banal an. Noch mitreißender ist der Furiant, noch flotter die Ouvertüre, in der es auch einmal gewollt derb zugeht, der Ausdruck der Gefühle klingt noch überzeugender, die naive Fröhlichkeit der Chöre noch strahlender. La Beňačková  ist eine blond klingede Mařenka mit zartem Klang für die Rezitative, verletzbar, mädchenhaft, mit viel Wärme im Duett mit dem Vašek von Miroslav Kopp, der einen für diese Partie außergewöhnlich ansehbaren oder vielmehr anhörbaren Tenor besitzt.

Zum Mitweinen schön getaltet die Tschechin die Arie der sich verlassen Glaubenden und kann durchaus bestehen neben anderen wunderbaren Bräuten wie Lucia Popp oder Pilar Lorengar. Ein herbes Strahlen, eine Nähe zum Hörer herstellende Direktheit zeichnet den Jenik von Peter Dvorsky aus, dessen Stimme hier im Unterschied zu seinen italienischen Partien dem Idiom des Ursprungslandes gerecht wird. Eine frische Soubrettenstimme besitzt Jana Jonášová für die Esmeralda, Richard Novák ist nicht nur derb polternd, sondern ausgesprochen schattierungsreich in seinen Versprechungen und bettet viel Komik in seinen Gesang ein.  Was in Aufführungen in deutscher Sprache sich dem netten Singspiel näherte, wird in dieser originalsprachlichen Aufnahme zum facettenreichen Drama, auch wenn die Ludmila von Marie Veselá nur eine Zwitscherstimme hat.  Dafür ist der akustische Tumult umso chaotischer, wenn es am Schluss heißt: Der Bär ist los.

Es folgten Dalibor, Libuše, Zwei Witwen, Der Kuss, Das Geheimnis und Die Teufelswand, wobei  Hubička, Der Kuss, vom Orchester und Chor der Oper von Brünn unter František Vajnar als Studioaufnahme gestaltet wurde.

Smetana mit seinen Freunden, Gemälde von František Dvořák, 1865/ Wikipedia

In seinen letzten zehn Lebensjahren, von 1874 bis 1884, arbeitete der Komponist mit vielen Unterbrechungen, zwischendurch wurde Tajemstvī, Das Geheimnis, uraufgeführt, an einem nicht tschechischen Sujet, an Shakespeares Was ihr wollt, das den Arbeitstitel Viola trägt. Davon gibt es die ersten Szenen, in denen bei einem Schiffsunglück das Zwillingspaar Sebastian und Viola voneinander getrennt wird, der Herzog Orsino auftritt, und das nur mit Klavierbegleitung, denn die Orchestrierung hat bereits geendet. Das Fragment wurde 1924 und 1944 aufgeführt, jeweils zu runden Jahrestagen. Bemerkenswert ist die Besetzung des Zwillingspaares mit einem Mezzosopran und einem Sopran, wobei die beiden Stimmen, Marie Veselá für die Viola mit hellem Sopran und Drahomira Drobková für den Sebastian mit dunklem Mezzosopran, beinahe so weit voneinander unterscheidbar sind, als handle es sich um Sopran und Tenor. Dieser gehört allerdings dem Orsino von Miroslav Švejda, der zwischen Charakter- und lyrischem Tenor schwankt. Zdenȇk Košler macht das neuerliche Liebeswerk mit dem Orchester des Prager Nationaltheaters möglich und vollendet so ein begrüßenswertes, eine würdige Ehrung des Komponisten darstellendes Unternehmen (17 CDs Supraphon 2024/ Foto oben: Bärenreiter). Ingrid Wanja