Schöner Rücken…

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Völlig überraschend während der Proben zur Münchner Manon und mit nicht einmal fünfzig Jahren viel zu früh verstarb der Dirigent Marcello Viotti, der sich besonders verdient um die Oper gemacht hatte, als er als Generalmusikdirektor im Venezianer Teatro Malibran, nach dem Brand des Fenice vorübergehend das Opernhaus Venedigs, viele fast vergessene französische Oper aufführte. Nicht nur die Erinnerung an diese wunderbaren Aufführungen hat er hinterlassen, sondern auch vier Kinder, die allesamt dem Vater, der selbst Sohn eines Schmieds gewesen war, in ihrer Berufswahl folgten: der Sohn Lorenzo ist Dirigent, der Sohn Alessandro Hornist wie auch die Tochter Milena und Marina Viotti hat bereits eine bedeutende Karriere als Mezzosopranistin „alle spalle“.

Jetzt hat sie eine CD mit Mozartarien aus des Komponisten Opern, aber auch Konzertarien und solche aus geistlichen Werken eingespielt mit Gli Angeli Genéve unter Stephan Macleod. Das Erstaunen des Hörers über die Zusammenstellung vorausahnend, begründet sie die fächerübergreifende Wahl, die sich in Susannas Rosenarie im Verein mit Cherubinos Voi che sapete ausdrückt, mit ihrem Unwillen über die heutige strikte Fächereinteilung, die es so zu Mozarts Zeiten nicht gab, beruft sich zudem auf der Landsmännin Elsa Dreißigs Vorhaben, gleich alle drei Partien aus Le Nozze di Figaro in einem Programm miteinander vereint zu haben. Auch das Esultate, eigentlich sonst von einem leichten Sopran gesungen, sieht Viotti nicht zuletzt wegen des viel beanspruchten Mittelregisters als für ihre Stimme geeignet an. An den Anfang ihres Programms allerdings stellte sie Dorabellas Smanie implacabili, einmal weil es ihre erste Mozartpartie überhaupt war, aber auch weil die Arie die Gabe hat, die Aufmerksamkeit des Hörers auf sich zu ziehen. Einen Einblick bekommt der Leser auch in den Arbeitsprozess der Aufnahme, wenn ihm davon berichtet wird, welche Unterschiede es in der Auffassung vom richtigen Tempo für eine Arie geht. Interessant dürfte es auch für ihn sein zu erfahren, dass Marina  Viotti die italienische Gesangstechnik, die für den Belcanto entwickelt wurde, für anwendbar auch bei Wagner hält, allerdings müsse die Stimme bei Mozart „lighter“ sein.

Bereits bei Dorobellas Arie aus Così fan tutte fällt auf, dass die Sängerin die Extreme, was Tempi und Lautstärke angeht, auslotet, was dem Gemütszustand der neapolitanischen Dame durchaus angemessen ist. Die Sicherheit bei den Intervallsprüngen fällt ebenso auf wie in der folgenden Konzertarie Non temer, amato bene das wunderschön ersterbende morire oder die anmutige Koketterie der gespielten Naivität. Recht flott geht Susanna im Rezitativ vor, aber sie hat es ja auch eilig, endlich ihren Figaro umarmen zu können, poetisch und von leichter Melancholie überschattet erklingt die Arie. Aus Mitridate stammt die Arie des Farnace, für einen Kastraten komponiert, in der die weit gespannten Bogen und die Präsenz des tiefen Registers erfreuen. Sehr schön moduliert werden die Töne in der Arie Cara, lontano ancora, die Diktion ist hier etwas verwaschener, die Koloraturen könnte man sich noch nachdrücklicher denken. Einen wunderschönen Jubelton kann Marina Viotti für das Esultate einsetzen, die instrumental geführte Stimme glänzt auch in der Höhe, kann am Schluss noch einmal schön auftrumpfen. Ein eher schüchtern erscheinendes Leuchten zeichnet Cherubino aus, der Ramiro aus der Finta Giardiniera hat die begehrte lacrima nella voce, und Sestos sanfte Seele offenbart sich in wunderschöner Ebenmäßigkeit. Von harmonischer Zusammenarbeit mit dem Orchester und seinem Dirigenten spricht durchgehend diese vielseitige, die mit dem Booklet geweckten Erwartungen voll erfüllende CD, deren Titel Mezzo Mozart auch ein wenig trotzig klingt und deren Cover darüber rätseln lässt, ob das Tattoo auf dem Rücken den Sängerin ein gefallener Engel oder eine Meerjungfrau ist (Aparté Music AP 350/ 27.07.24). Ingrid Wanja