GABRIELA SCHERER

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Ob als Senta, Fidelio, Chrysothemis oder Donna Elvira: Gabriela Scherer macht sich im Moment in einem breiten Repertoire einen Namen. Der Sommer steht für die Schweizer Sopranistin mit der Senta in Düsseldorf, ihrem Bayreuth-Debüt als Gutrune und Sieglinde im „Ring an einem Abend“ in Graz ganz im Zeichen Richard Wagners, auf den sie sich aber keinesfalls festlegen möchte. Beat Schmid traf sie zu einem Gespräch über kommende Aufgaben, warum eine gesunde, schlanke Stimmführung wichtig ist, Entwicklungen im Opernbetrieb, die Sorgen machen und vieles mehr. Auf seine Fragen antwortete sie wie nachstehend.

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Gabriela Scherer: Sommer 2024 in Bayreuth/Foto Harald Schäfer

Im August singen Sie zum ersten Mal in Bayreuth, und zwar in der doch recht polarisierenden „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz. Was sind Ihre Eindrücke dieser „Götterdämmerung“ und wie ist die Arbeit mit Valentin Schwarz und seinem Team?Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich im voraus nicht den kompletten Ring von Valentin Schwarz gesehen habe. Ich habe mir natürlich die Götterdämmerung angeschaut und hatte auch ein paar Fragen dazu. Wir hatten von Anfang an gleich so eine tolle offene Arbeitsatmosphäre und mir wurde sehr klar erklärt, was seine Idee ist. Und ich muss sagen, ich finde seine Arbeit und die von seinem großartigen Team wirklich bereichernd. Das Besondere finde ich, dass jede einzelne Person in diesem Ring eine ganz eigene Tragik in sich trägt. Dazu kommt, dass die Arbeitsweise einerseits hoch konzentriert ist, aber auch einfach riesigen Spass macht. Ich verstehe, dass es immer wieder sehr viele kritische Stimmen gegenüber dem sogenannten „modernen Regietheater“ gibt, aber ich bin gleichzeitig auch der Meinung, dass man sich trotzdem erst einmal einer Idee gegenüber neutral öffnen sollte. Und wenn man dann wirklich gar nicht dahinter stehen kann, muss man so fair sein und die Produktion verlassen. Aber ich muss sagen, hier war ich sofort von der tiefgründigen, fantasievollen aber auch sehr humorvollen Art von Valentin Schwarz angetan und möchte seine Idee so gut wie möglich umsetzen. Und das ganze Team im Hintergrund, wie z.B. der großartige Kostümbildner Andy Besuch, bringen wirklich eine sensationelle Produktion auf die Bühne.
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Und wie ist die Arbeit mit Simone Young? Ich habe vor sehr vielen Jahren schon einmal an der Bayerischen Staatsoper mit Simone Young gearbeitet und habe mich riesig darauf gefreut, sie wieder zu sehen und mit ihr wieder zu arbeiten. Sie ist eine großartige Künstlerin und Frau, wir hatten eine fantastische Zeit, tolle Gespräche, wunderbare und sehr inspirierende Proben und ich nehme sehr viel von dieser Zusammenarbeit mit.
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Gabriela Scherer: Elsa in „Lohengrin“ an der Oper Leipzig mit Klaus Florian Vogt/Foto Kirsten Nijhof

Sie singen diesen Sommer ausschließlich Wagner: Senta, Gutrune und Sieglinde. Würden Sie sich als „Wagnersängerin“ bezeichnen? Was muss eine Sopranistin für Wagner mitbringen? Ich würde mich wirklich nicht als Wagnersängerin bezeichnen, falls es so etwas überhaupt gibt. Gelernt habe ich die sogenannte italienische Technik, und auch mit meinem Coach und meiner Lehrerin arbeiten wir an sehr viel unterschiedlichem Repertoire, Legato, einer gesunden, schlanken Stimmführung… Alles Punkte, die zu einem gesunden Wagner-Singen dazu gehören, aber oftmals wird das so nicht gesehen. Ich höre sehr oft auch von jüngeren Kollegen: „Ich habe eine riesige Stimme, bin wie gemacht für Wagner“, und das ist leider absolut falsch. Natürlich kann eine Stimme, die das leichte Sopranfach singt wie z.B. eine Zerlina nicht eine Isolde singen, aber für Wagner braucht es so viel mehr als nur ein großes Volumen. Ganz im Gegenteil, man braucht einen klaren und kühlen Kopf, um genau zu wissen, wie man sich eine Rolle so einteilt, dass man am Ende noch genug Kraft hat. Dann ist es unheimlich wichtig, sich mit der Sprache auseinanderzusetzen, ein gesundes Legato beizubehalten und trotzdem deutlich zu sprechen. Daran arbeite ich gerade sehr und es ist der einzige Weg, immer wieder an diesen Dingen professionell zu arbeiten. Und auch wenn das manchmal etwas zu kurz kommt: Bei Wagner gibt es alles. Von einem absoluten Pianissimo bis zu den größten Ausbrüchen. Das sollte man sehr ernst nehmen und nur das macht die Rolle meiner Meinung nach am Ende interessant und lebendig.

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.Die Sieglinde, die Sie im August in Graz singen, wird ein Rollendebüt sein. Was sind die stimmlichen Herausforderungen dieser Partie und wie werden Sie die Rolle anlegen? Die Sieglinde ist insofern eine sehr besondere Herausforderung für mich, weil die Rolle sehr viel in der Mittellage geschrieben ist. Und das ist vom Mezzofach kommend gar nicht so einfach, denn ich möchte nicht zurückfallen in gewisse Angewohnheiten, die ich als Mezzo hatte. Wie z.B. in der Mittellage zu groß oder zu dunkel singen. Auf der anderen Seite ist das meine Stimme und ich muss einfach sehr intensiv daran arbeiten, wie ich klug an diese Lage gehe. Denn der Sound des Orchesters ist oft sehr geballt und die Gefahr, dass man in der Mittellage zu viel gibt, ist groß. Andererseits sollte man auch gehört werden, und das ist in der Mittellage gar nicht immer so einfach. Aber ich habe zum Glück großartige Hilfe beim Einstudieren dieser Rolle von meinem Coach.
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Gabriela Scherer: Senta an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/ Foto Hans-Jörg Michel

Im deutschen Fach singen Sie auch viel Strauss, wie etwa die Ariadne, Chrysothemis oder im September die Vier letzten Lieder. Sind weitere Strauss-Partien wie Kaiserin, Marschallin oder Salome geplant? Ich freue mich unsagbar auf die Vier letzten Lieder von Strauss. Gerade gestern habe ich daran gearbeitet und musste wieder feststellen, wie allumfassend und großartig dieser Mensch komponiert hat. Das ist jedesmal ein ganz eigenes Universum, welches sich öffnet, wie er die Sprache vertont. Das berührt mich immer wieder zutiefst. Obwohl der Komponist meine erste große Strauss-Partie war, ist mir kaum eine Rolle so nah wie die der Ariadne. Strauss hat wunderbar für die Stimme geschrieben, wenn ich wünschen könnte, dann wären sehr viele Strauss Partien in meinem Kalender… Aber tatsächlich ist bisher wenig Strauss geplant, viel mehr Wagner. Was einerseits schön ist, aber mich auch immer wieder ein bisschen traurig macht. Sobald man Wagner singt, ist man schon ein stückweit in einer Schublade und da versuche ich sehr dagegen zu arbeiten. Die Marschallin und irgendwann auch die Salome sind definitiv auf meiner Wunschliste für die Zukunft. Und gerne wieder viele Ariadnes.

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Sie lassen sich, obwohl sie viel „schweres“ deutsches Fach singen, darauf aber nicht festlegen. Im Mai haben Sie mit Marc Minkowski Donna Elvira in „Don Giovanni“ gesungen, im Dezember folgt sogar Ihre erste Pamina. Wie lässt sich das mit Wagner und Strauss vereinen? Die Gefahr, diese gesunde Linie zu verlassen, ist bei Wagner sehr groß, allein schon durch den großen Orchesterklang, der einem entgegenkommt. Da hat man oft fälschlicherweise das Gefühl, mit Lautstärke dagegen ankämpfen zu müssen. Natürlich gibt es Ausbrüche und die sollte man auch (kontrolliert) genießen, aber es ist völlig falsch, mit Volumen gegen ein Orchester versuchen anzukämpfen. Wenn die Stimme Obertöne hat, trägt sie, auch im Piano, über jedes Orchester.
Bei Mozart besteht diese Gefahr nicht, gleichzeitig ist es die perfekte Kontrolle, ob man die Stimme noch gesund und flexibel führen kann.
Außerdem muss ich sagen, dass Mozart neben Strauss mein absoluter Liebling ist, ich habe jede einzelne Sekunde in jeder Vorstellung mit Marc Minkowski so genossen und aufgesogen. Das ist einfach der Himmel auf Erden. Und hält die Stimme jung und beweglich.
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Auch Verdi- und Puccinirollen haben Sie im Repertoire. Ist in dieser Richtung weiteres geplant? Ich freue mich riesig, dass ich in Zukunft Verdis Alice Ford singen werde. Wo kann ich noch nicht verraten, aber das ist wirklich eine neue, tolle Herausforderung. Ich wünsche mir allerdings nichts mehr, als bald einmal die Desdemona zu singen. Diese Rolle ist ganz oben auf der Wunschliste, aus verschiedenen Gründen. Ich glaube, auch wenn das für Menschen, die mich nur im Wagner Fach gehört haben seltsam klingen mag, dass die Desdemona mir auf den Leib geschrieben ist, auch von ihrem ganzen Wesen. Ich singe sie oft zum Einsingen und finde dabei sofort meinen Stimmsitz.

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Sie sind Mutter von zwei Kindern, Ihr Mann Michael Volle ist wie Sie viel unterwegs. Wie lässt sich eine Karriere als freischaffende Sängerin mit der Familie vereinbaren? Ich war die ersten Jahre nur zuhause und habe dann sehr langsam wieder angefangen zu arbeiten, manchmal nur zwei Produktionen im Jahr, wovon vieles Wiederaufnahmen mit wenigen Proben waren. Ich bin in erster Linie Mutter, meine Kinder sind das größte Glück und ich möchte am liebsten keine einzige Sekunde mit ihnen verpassen. Gerade jetzt, wo ich langsam spüre, wie sie älter werden. Seit ca. zwei Spielzeiten arbeite ich sehr viel. Die Arbeit ist wunderbar, und ich bin sehr dankbar, aber die Zeit mit meinen Kindern ist sehr wertvoll und ich möchte für sie da sein. Konkret hieß das in den letzten Monaten, dass ich sehr sehr viel Auto gefahren bin. Oft nachts, um für ein paar Stunden bei meinen Kindern zu sein, alles zu regeln was zu hause ansteht. Es muss ja alles organisiert und geplant sein, der Hund muss versorgt werden, das Haus, die Wäsche der Kinder, Verabredungen… Und ganz zu schweigen von den Teenagersorgen, die besprochen werden müssen. Das war seit letztem November eine große Herausforderung und ich bin wahnsinnig froh, dass wir das alles geschafft haben.

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Gabriela Scherer: Elisabetta in Don Carlo an der Oper Leipzig/ Foto Kirsten Nijhof

Das Bild von Opernsängerinnen- und sängern hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr geändert und es wird immer mehr Wert auf den szenischen Aspekt gelegt. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Ich bin, um ehrlich zu sein, manchmal etwas besorgt, in welche Richtung sich unser Geschäft entwickelt. Früher gab es diese Generation Sänger, die einfach in Ruhe Zeit hatten, sich Rollen zu erarbeiten, die viel Erfahrungen gemacht haben und große Persönlichkeiten wurden. Ich habe als Kind und Studentin viele solcher Sänger z.B. im Opernhaus Zürich sehr bewundert. Und da waren viele Sänger dabei, die auch großartige Schauspieler waren. Denken Sie mal an Agnes Baltsa als Carmen, dieser Blick, dieses Bewusstsein für das, was man tut. Ich habe das Glück gehabt, mit Doris Soffel zu arbeiten, mehrfach, und diese Frau weiß so genau, was sie auf der Bühne macht. Jeder Blick, jede Bewegung sitzt. Darf ich ganz ehrlich sein? Heute geht es sehr oft darum, dass man möglichst jung ist und möglichst schnell so laut wie möglich singt und ins dramatische Fach geht. Und ja, auch wie schlank man ist. Aber wo bleibt der gesunde Aufbau der Stimme? Die Erfahrung, das Charisma und die Persönlichkeit? Kann ich wirklich mit 28 schon eine Salome, Isolde, einen Hans Sachs, Wotan oder geschweige denn eine Brünnhilde singen? Man kann in diesem Alter vielleicht die Töne stemmen, aber auch da ist die Frage, wie lange. Und weiß ich wirklich, wovon ich da singe?

.Ich habe bei einem Jubiläumskonzert in Zürich auf einer leeren Bühne einmal eine Szene aus Boris Godunov gesehen. Matti Salminen ging langsam an einem Stock auf die Bühne. Er sang ohne eine große selbstdarstellende Show diese Rolle. Bei jedem Wort wissend was er singt und es war einer der größten Momente für mich. Das sind für mich Sängerpersönlichkeiten. Da braucht es keinen Salto auf der Bühne, das Charisma und die Erfahrung und die Persönlichkeit sind so groß, dass es die Seele tief berührt. Und das soll Oper meiner Meinung nach. Leider muss heute alles sehr schnell gehen…
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.Gibt es Traumpartien, die Sie bisher noch nicht gesungen haben? Wie gesagt, meine absolute Traumpartie ist die Desdemona. Und wie ich sagte, würde ich mir sehr wünschen mehr Strauss zu singen, die Marschallin zum Beispiel. Ein weiterer großer Wunsch wäre Mozarts Vitellia. Und mehr Verdi. Und von Wagner darf sehr gerne die Elsa wieder öfter auf dem Kalender stehen. Die Elisabeth wird kommen, der Vertrag ist unterzeichnet, aber erst in ein paar Jahren. 🙂

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.Wo können wir Sie nach dem Sommer auf der Bühne sehen? Im September singe ich zum ersten Mal die „Vier letzten Lieder“ mit den Stuttgarter Philharmonikern beim Festival international de musique Besançon. Im Oktober folgt dann eine kleine Tournee mit Liszts „Die Legende von der heiligen Elisabeth“ mit dem Hungarian National Philharmonic Orchestra im Wiener Musikverein, Concertgebouw Amsterdam, in Brüssel und Budapest. Anschließend bereite ich mich auf ein Rollendebüt vor, auf das ich mich ganz besonders freue, auf meine erste Pamina in der „Zauberflöte“ in der wundervollen Inszenierung von August Everding an der Staatsoper Unter den Linden im Dezember und Januar. Dann werde ich einige Sentas singen, szenisch an der Deutschen Oper Berlin und in Düsseldorf, konzertant in Luxemburg und Brüssel. Und dazwischen werde ich mein Debüt am Teatro Real in Madrid in einem Wagner-Konzert geben. (Privatfotos: Harald Hofmann).