„When a Man is Twenty one“. Ja, was ist dann? Der Chor macht neugierig. Ohne viel orchestrales Aufheben drängt das Stück mitten in die Komödie. Frölich marschierend. Der reiche Junggeselle Harry Bronson hat eine Nacht durchgemacht. Am kommenden Mittag soll er die Sängerin Cora Angelique heiraten. Neben Cora erscheinen auch die Music-Hall-Sängerin Kissie Fitzgerald, die ebenfalls Ansprüche anmeldet, ihr Bruder, der Dünnbierboxer Binky Bill, und der Schauspieler Kenneth Mugg. Im Durcheinander verliebt sich Harry quasi im Vorbeigehen in die französische Konditorentochter Figi. Und schließlich erscheint noch Harrys Vater Ichabod, der in seiner Funktion als Präsident der Liga zur Rettung junger Männer sowie der Anti-Zigaretten-Vereinigung von Cohoes ebenso wenig zur Schichtung und Lösung der Konflikte beiträgt wie zwei portugiesische Grafen und der deutsche Karl von Pumperick, der Harry aus Eifersucht umbringen will. Der Vater enterbt den so vielfältig interessierten Sohn und wirft sein Vermögen der Erstbesten, dem Heilsarmeemädchen Violet, hinterher. Das alles, was Kerkers vielfacher Textdichter Hugh Morton (1865-1916) aufschrieb, muss nicht en detail erzählt werden, ist aber recht unterhaltsam. Das ist zwar alles aus dem gleichen Stoff, aus dem europäische Operetten gemacht wurden, und doch schlägt die 1897 uraufgeführte Musical Comedy The Belle of New York einen zwar musikalisch recht einfachen, rhythmisch prägnanten und melodisch leichtflüssigen, aber in jedem Fall einen neuen und anderen Ton für eine musikalische Komödie und ein elegant geschmeidiges Konversationsstück an und wurde bald zum Inbegriff der amerikanischen Musical Comedy oder Light Opera.
Noch vor den raren Werke des 1878 in Indianapolis als Sohn polnischer Einwanderer geborenen Albert von Tilzer und des 1887 in New York geborenen Louis Achille Hirsch oder des aus Ungarn stammenden berühmteren Sigmund Romberg, der in Wien bei Heuberger studiert hatte, als Hauskomponist der Shubert Brothers in New York in die Fußstapfen von Hirsch trat und ab den 1920er Jahren mit Dutzenden Bühnenwerken eine feste Größe am Broadway wurde, verband Gustave Adolphe Kerker amerikanische Akzente und europäische Operette zu einem eigenen Genre. Die cpo-Aufnahme mit Gustave Adolphe Kerkers The Belle of New York geht zu den Anfängen des Broadway Theaters zurück. Ein Zufall, denn der Chef des cpo-Labels stammt aus der gleichen Stadt, in der Kerker 1857 geboren wurde. Aus Herford. Die 2013 von Florian Ziemen dirigierte Produktion von Kerkers Berliner Operette Die oberen Zehntausend (Berlin 1909) am Theater Gießen führte dazu, gemeinsam weitere Kerker-Projekte anzugehen. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis Ziemen im Mai 2022 in Hildesheim, wo er seit 2017 GMD des theater für niedersachsen ist, seine Kerker-Initiative fortsetzen konnte und cpo-Mann Burkhard Schmilgun zu einer weiteren Kerker-Aufnahme kam.
Kerker genoss als Kind einer Musikerfamilie früh eine entsprechende Ausbildung und machte, nachdem er mit zehn Jahren mit seiner Familie nach Louisville ausgewandert war, früh auf sein musikalisches Talent aufmerksam. Inzwischen hatten die Eltern offenbar jeweils ein amerikanisches „e“ an seine Vornamen gehängt. Er spielte als Cellist im Orchester, dirigierte als 16hähriger den „Freischütz“, komponierte mit 22 Jahren eine komische Oper und landete irgendwann am Broadway, wo er für das neue Bijou-Theatre europäische Stücke einrichtete und schließlich 1888 Leiter des Casino Theatre wurde. Hier kam auch The Belle of New York heraus, die in New York nur bescheidene 64-mal gespielt wurde, aber in London annähernd 700 Aufführungen erlebte und plötzlich diesseits und jenseits des Ozeans erklang. Insgesamt folgten bis 1912 insgesamt 29 musical comedies, außerdem schrieb Kerker einige wenige Operetten für Berlin und Wien, bis seine Werke von Wiener Importen verdrängt wurden. Er starb 1923 in New York.
„Dieses wichtigste Werk Kerkers, dieser Welterfolg“, so Ziemen im Beiheft zur cpo-Aufnahme (2 CDs 777 189-2), „hat ihn international bekannt gemacht und ihn (gemeinsam mit dem heute weit bekannteren Komponisten Victor Herbert) zum Erfinder und Urvater der originär amerikanischen Musical Comedy und damit zum Ahn des Phänomens Broadway-Musical gemacht, also einer Musiktheatergattung, die in die ganze Welt exportiert wird und Millionen von Menschen begeistert“. Man merkt der moussierenden Konzertaufführung an, mit wieviel Leidenschaft Ziemen das von dem Dirigenten Dario Salvi edierte Material plus die von Ziemen selbst instrumentierte Nummer, die aus der späteren Londoner Fassung stammt (Das Trio „Oh! Come with us to Portugal“), angeht. Ziemen setzt mit der tfn Philharmonie auf einen vollblütigen, fast großorchestralen, manchmal geradezu lautstark überwältigenden Sound mit einigen nicht reizlosen Unschärfen und erreicht mit der „Inszenierung“ der gekürzten amerikanischen Sprechtexte, die mit Akzenten und Dialekten die Atmosphäre des Melting Pot New York einzufangen versucht, die perfekte Dichte einer gut eingespielten altmodischen Operettenaufführung. Sprachcoach Jacobsen Woollen hat eine tolle Arbeit geleistet. Werk und Aufführungen wirken in der Mischung aus französischen und Wiener Traditionen und Formen, im Wechsel von schmissigen Märschen und Chornummern und sentimentalen Kurzsongs bühnenprall, rampennah und lebendig. Und die Sänger-Darsteller geben ihren Nummern oftmals eine herrlich schmachtende Tiefe, wie die musicalspitze Fifi von Kathrin Finja Meier, die in „At ze naughty Folies Bergères“ wie die Kammerzofe Adele klingt und in „When we are Married“ so reizend mit Harry kokettiert, den Julian Rohde mit seinem charakteristisch leichten Tenor auf fast schülerhaft-forsche Weise gibt. Der Gegenpol zur Fifi ist Robyn Allegra Partons charmantes Heilsarmeemädchen, das so kultiviert wie eine Mozart-Primadonna singt. Eine Fülle rundum praller Porträts, darunter Eddie Mofokang als Blinky Bill, Felix Mechitz als Kenneth Mugg usw., runden den guten Eindruck ab. Rolf Fath