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Allein schon optisch lässt Bryn Terfel auf dem Cover in angemessener Kleidung und mit Blick aufs wogende Meer sowie auf den Fotos im begleitenden Booklet keinen Zweifel daran aufkommen, dass er seewasserfest und wettergegerbt durchaus der Richtige für eine CD mit Sea songs ist. Aus Wales mit seinen Hunderten Kilometern Küste stammt der Bassbariton und stammen viele der siebzehn Tracks und neben ihm auch andere berühmte Sänger wie die unvergessene Gwyneth Jones. Und wohl nicht nur, weil aus dem jahrzehntelangen Prinzen of Wales 2023 CharlesIII. wurde, durfte er als einziger Sänger nicht nur bei den Krönungsfeierlichkeiten, sondern auch beim einen Tag danach stattfindenden Krönungsfest seine Stimme ertönen lassen.
Bereits dreißig Jahre lang hat die DG mit vielen sehr unterschiedlichen Aufnahmen die Karriere des Walisers begleitet, der immer noch, trotz und nach Boris Godunov oder Wotan, einen Dulcamara singen kann. Mit den Sea Songs erfüllt sie ihm einen lange gehegten persönlichen Wunsch, an dessen Erfüllung Terfel auch die Kollegen Simon Keenlyside und Sting teilnehmen lässt, außerdem die Sängerin Eve Goodman, Fisherman’s Friends und Calan mit angemessenen Instrumenten wie Akkordeon, Gitarre oder Fiedel. Die nicht nur aus Wales, sondern auch aus der Bretagne, von den Shetland Inseln oder aus der Karibik stammenden Songs wurden durchweg von Patrick Rimes neu arrangiert.
Das aufschlussreiche Booklet gibt einen Einblick in die Entstehung und den Charakter der Seemannslieder, die zu einem großen Teil als Unterstützung und Koordinierung von Bewegungsabläufen wie das Einholen der Segel oder das Hissen von Fahnen gesungen wurden. Dass dabei oft „der Rum in Strömen floss“, dürfte allerdings nicht ganz der harten und herben Wahrheit seemännischen Lebens entsprochen haben. Leider sind die Texte nicht im Booklet abgedruckt, wohl aber eine Beschreibung des Inhalts, denn Englischkenntnisse sind nicht durchgehend nützlich für das Verstehen längst untergegangener Sprachen oder Dialekte.
Die große Kunst Bryn Terfels besteht unter anderem darin, dass seine Darbietungen auf dieser CD zugleich höchst kultiviert als auch ausgesprochen ursprünglich klingen, mal etwas nach der einen oder der anderen Seite ausschlagend, aber immer durch und durch authentisch klingend. Vielfalt wird nicht nur dadurch, sondern auch durch den Wechsel bei den Mitwirkenden neben Terfel selbst erreicht.
Es beginnt mit dem traditionellen Flat Huw Puw, dass der Sänger mit hörbarem Elan und Enthusiasmus angeht, während im folgenden Drunken Sailor ihm Simon Keenlyside sekundiert und beide einander an guter Laune zu überbieten versuchen. Eine eindrucksvolle mezza voce kann der Waliser für Codi Angor, den Abschied des Seemanns von der Geliebten schildernd, einsetzen, die sekundierenden Hintergrundsänger und die Instrumente von Calan machen das Ganze besonders stimmungsvoll. Beschwipst, obwohl wahrscheinlich beim Fahnenhissen eingesetzt, klingt Whisky, Johnny!, The Fisherman’s Friends sind bei Sloop John B im Einsatz und steuern noch einmal neue Klangfarben bei. Wie eine Naturstimme klingt der Sopran von Eve Goodman in einem Song von den einst zu Norwegen gehörenden Shetland Inseln in der Sprache Norn, Terfel adelt das Ganze durch die Ausstellung besonders schöner Stimmfarben, die ganz zärtlich werden in dem Schlaflied für eine Geliebte, das aus Wales stammt. Charaktervoll mischt sich die Stimme von Sting in das Geschehen um einen bitterbösen Kapitän, geschmeidig sanft klingt das Gebet The Unst Boat Song, um Walfang geht es flott und beschwingt in The Wellerman, und flexibel zeigt sich die Stimme von Terfel im schnelleren Harbwr Cork. Immer wieder fasziniert die sorgfältige Textbehandlung, so besonders in Bold Riley, so kraftvoll wie kultiviert erklingt Mae’e Gwynt Deg a capella, und einen schönen beschaulichen Ausklang bietet die CD mit Leave her, Johnny.
Die CD bietet eine willkommene Gelegenheit, anspruchsvolle Unterhaltung auf hohem künstlerischem Niveau mit dem Erleben einer fremden, faszinierenden Welt zu verbinden (DG 486 4884). Ingrid Wanja