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Lieder von Franz Schubert mit Orchester singt der Bariton Benjamin Appl auf seiner neuesten CD, die bei BR-Klassik herausgekommen ist (900346). Begleitet wird er vom Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Oscar Jockel. Dirigent wie Sänger stammen aus Regensburg und haben bei den Domspatzen ihre musikalische Grundausbildung erhalten. Das ist eine solide Grundlage für ihre Zusammenarbeit. Jockel ist etwa dreizehn Jahre jünger als Appel – ein Unterschied, der in dieser Generation kaum eine Rolle spielt. Aufnahmetermine gab es 2022 an sechs Tagen innerhalb von drei Monaten. Das ist für eine CD mit einer Spielzeit von knapp vierundsiebzig Minuten relativ viel, spricht aber für die Intensität der Produktion. Eingespielt wurden neunzehn Lieder, unterbrochen von instrumentalen Nummern aus Deutsche Tänze, die von Johann von Herbeck (1831-1877) bearbeitet wurden. In seiner Zeit war er vornehmlich als Dirigent eine Berühmtheit. Ihm ist die Entdeckung der „Unvollendeten“ von Schubert zu verdanken, die er 1865 in Wien zur Uraufführung brachte. Die Tänze versah er mit einem auffälligen Wiener Charme. Zeitgenössisch aber ist der Einstieg in das CD-Programm gewählt mit Abendstern in der Orchestrierung des international sehr aktiven Pianisten und Liedbegleiters Alexander Schmalcz, der auch noch mit An Sylvia vertreten ist. Wie Appl und Jockel begann er seine künstlerische Laufbahn in einem Knabenchor – nämlich dem Dresdner Kreuzchor. Alle anderen Bearbeiter haben das Zeitliche gesegnet.
Mit sieben Titeln ist Max Reger vertreten. Das ist der größte Posten. Ihm folgt in der Menge der Bearbeitungen sein österreichischer Zeitgenosse Anton Weber mit fünf. Die Literatur über nachträgliche Lieder-Orchestrierungen von fremder Hand will gesucht sein. Sie fliegt einem nicht zu. Appl geht in seinem Booklet-Text auf eigene Spurensuche. Grundsätzlich hat er mit Arrangements kein Problem, viel mehr bewundere er die „Formung einer eigenständigen Kunstgattung“ und staunt „über die grenzenlosen Phantasie, verschiedene Klavierklänge in orchestrale Farben vieler individueller Instrumente umzusetzen“. Über Regers Intentionen ist viel bekannt. Nach Darstellung von Appl „konnte er nichts damit anfangen, als zwischen symphonischen Kompositionen plötzlich eine Auswahl von Klavierliedern mit dem Dirigenten als Pianisten dargebracht wurden“. Er zitiert Reger mit den Worten: „Für mein Ohr ist es oftmals direkt eine Beleidigung in einem Riesensaal nach einer Orchesternummer eine Sängerin hören zu müssen, die zu der spindeldürren Klavierbegleitung Lieder singt.“ Es war damals übliche Praxis, Konzertprogramme durch Lieder aufzulockern. Die Musikwissenschaftlerin Susanne Popp nennt in ihrer großen Biographie „Max Reger – Werk statt Leben“ (Breitkopf & Härtel 2016) unter Bezugnahme auf den Komponisten noch einen ganz praktischen Grund, dass nämlich „nicht extra ein Flügel aufs Podium geschleppt werden“ musste. Reger hat insgesamt fünfzehn Lieder mit Orchesterstimmen in einer Besetzung versehen – und zwar so, dass die Sänger nie zugedeckt werden. Es ist kein Mangel an einschlägigen Aufnahmen. Eine Gesamteinspielung legten 1998 Camilla Nylund und Klaus Mertens bei cpo vor. An weiteren Bearbeitungen ist Reger durch seinen frühen Tod gehindert worden. Gut beobachtet hat Appl, dass sein Arrangements „an Szenen aus musikdramatischen Werken“ grenzen. Davon lässt er sich auch in seinem Vortrag leiten, führt die Prometheus-Ballade nach Goethe mit ihren fünfeinhalb Minuten am auffälligsten in diese Richtung. Das Resultat kann sich hören lassen.
Appls Stimme tut ein Orchester gut. Es gibt ihm Halt – nicht nur in dramatischen sondern auch in ausgesprochen lyrischen Stücken wie „Die bist die Ruh“ in der Bearbeitung von Webern oder Ständchen aus dem Schwanengesang, dessen sich Offenbach selbstbewusst annahm. Gern überrascht der Sänger auch mit Arbeiten von Komponisten, die nicht im Mittelpunkt stehen. Kurt Gillmann (1889-1975) ist so einer. Der namhafte Harfenist, der erblindet starb, hat auch komponiert. Ein Großteil seiner Werke ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Von ihm stammt die betonte gefällige Orchesterversion von Ganymed, die Appl auch so vorträgt. Johannes Brahms und Benjamin Britten komplettierten die Liste der bearbeitenden Komponisten (6.10.2023). Rüdiger Winter