Nichts für Kinder

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Jedes große Opernhaus, das etwas auf sich hält, hat in den letzten zwei, drei Jahrzehnten, als deren „Wiederentdeckung“ einsetzte, Engelbert Humperdincks Königskinder auf das Programm gesetzt. Darunter München, Zürich sowie 2012 auch Frankfurt, wo der Königssohn von Daniel Behle gesungen wurde, der auch ein Jahr nach dem Humperdinck-Jahr 2021 – Humperdinck starb 100 Jahre zuvor in Neustrelitz – in der Aufführung aus Amsterdam aus dem Herbst 2022 als erfahrener Prinz zu hören ist.

Das Experiment mit der melodramatischen Schauspielmusik war bei der Münchner Uraufführung 1897 gescheitert. Humperdinck verteidigte die Wahl zwar nachdrücklich, „Ich glaube, dass die Ansätze für eine neue Kunstform gegeben sind… Ich denke natürlich nicht daran, dass sie je den Gesang verdrängen soll, aber neben demselben wird sie sicher von größter Wirkung sein, da, wo Stoff und Form sich nicht für ein gesanglichen Ausdruck eignen. Unsere moderne Oper geht den Weg, der zum Melodram führen muss“. Doch auch für Humperdinck führte der Weg zum Erfolg über eine gängige Opernfassung. Der Uraufführungserfolg an der Metropolitan Opera im Dezember 1910 übertraf den von Puccinis kaum drei Wochen zuvor uraufgeführten Fanciulla del west. Die Kritik feierte „die bedeutendste Oper seit Wagners Parsifal“. Nach 1943 durfte das Werk nicht mehr gespielt werden. Die Librettistin Elsa Bernstein-Porges (1866-1949), die nachdem sie ihre Tätigkeit als Schauspielerin aufgeben musste, unter dem Pseudonym Ernst Rosmer Dramen und Gedichte schrieb, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert. Im Mai 1945 kam sie frei, ihre Schwester überlebte das KZ nicht. Rosmers bzw. Bernstein-Porges‘ symbolistisches Kunstmärchen ist eine bitterböse Parabel über die Hartherzigkeit der Gesellschaft, die Christof Loy in seiner Inszenierung im Stummfilm während der Einleitung zum dritten Akt, der nicht nur hilft, die Brüche der Handlung zu verstehen, sondern ein Bild von der aufgehetzten Bürgerschaft gibt, zu einer politischen Geschichte zuspitzt.

Die Königskinder sind die Gänsemagd und der Königssohn, der aus dem Palast geflohen ist, um die Welt kennenzulernen. Die Hexe prophezeit, dass sie die neuen Herrscher der Stadt sein können, doch die Bürger sehen in ihnen nur armes Pack, das sie aus der Stadt vertreiben. Hungernd irren die Königskinder durch den Wald. Der Königssohn tauscht schließlich seine Krone für ein Brot ein, das vergiftet ist. Beide sterben im kalten Wald, beklagt vom Spielmann und den Kindern. Nichts für Kinder.

Die Düsternis des Märchens kontrastiert in Amsterdam mit einer hellen Bühne, über die die jungen Leute zu Beginn ausgelassen tanzen. In Johannes Leiackers White Box-Bühne oder besser weißer Rundhorizont-Bühne mit der riesigen Linde ist der Hellawald ein helles Tandaradei, über das bunte Blätter rieseln. Selbst die Hexe trägt Barbara Droshins helle Kleidung. Doris Soffel fügt der Galerie bedeutender Partien ihrer Alterskarriere ein kraftvolles Porträt hinzu, durchsetzungsstark, textakzentuiert und mit einer gewissen Allüre. Fröhlichkeit herrscht auch in der Stadt. Die jungen Leute streifen zum „Hellafest und Kinderreigen“ völlig unnötigerweise schnell ihre Kleider ab, ziehen sich weiße Klamotten über ihre Feinripp-Unterwäsche und tanzen um den langen weißen Sommertisch und die weißen Klappstühle. Das ist alles hochdekorativ, ein Sommerfest in bewährter Loy-Manier mit Überschwang in den lustvoll-locker choreographierten Tanzszenen und mit sensiblen Details und berührenden Momenten. Loys Personenregie trägt immerhin gut genug, um auch in der Schneelandschaft des dritten Aktes die Längen der Oper erträglich zu machen. Ebenso dekorativ, der Einfall für das Geigensoli die Musikerin Camille Joubert – zudem als Einzige in schwarzer Konzertkleidung – auf die Bühne zu holen.

An seiner einstigen Wirkungsstätte macht Marc Albrecht mit nachwagnerischer Üppigkeit und fast impressionistischer Stimmungszauberei deutlich, weshalb die Oper als Werk des Übergangs seine Meriten hat (DVD Naxos 2.110789). Mit dem Netherlands Philharmonic Orchestra setzt er aber auch auf die rein musikantisch-kraftvollen, manchmal kraftmeierischen Momente der Musik, die auch das Ensemble mitreißen. Olga Kulchynska verbindet als Gänsemagd treuherzige Backfischmomente mit inniger Lyrik, Daniel Behle wirkt als stimmlich und darstellerisch gereifter Königssohn im Lauf der drei langen Akte ein wenig einfarbig, Josef Wagner nutzt die Möglichkeiten, die ihm die dankbare Partie des Spielmanns gibt, rührend Henk Poort als Ratsältester, viele der kleineren Partien sind weniger markanter besetzt. Rolf Fath