Florentinisches Wien

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Das Eingangsbild zur Florentiner Ariadne auf Naxos mag erklären, warum die italienische Produktion zumindest optisch so wenig attraktiv ausfällt: Da wird ein ausgemergelt aussehender, fast nackter Invalide in einem Rollstuhl über die Bühne geschoben, um für immer hinter den Kulissen zu verschwinden. Sollte dies etwa der reichste Mann Wiens sein, der von einer unheimlichen Krankheit befallen wurde? Gehört er zu den im Personenverzeichnis erwähnten „figuranti speciali“? Sein Schicksal bleibt ungeklärt, so geheimnisvoll wie die Absicht von Regisseur  Matthias Hartmann und Bühnenbildner Volker Hintermeier, Vorspiel und Oper in einem, noch dazu zusammengewürfelt scheinenden Bühnenbild spielen zu lassen, das viele Stolperfallen aufweist, aber weder das aufgeregte Durcheinander vor einer Uraufführung noch das Geheimnis antiker Sagenwelt widerspiegelt. Der Unterschied zwischen beiden Welten besteht in AXS, den Neonbuchstaben, die für die Oper dem bereits für das Vorspiel vorhandenen NO hinzugefügt werden. Was Naxos bedeutet ist klar, was No weniger, es könnte die Weigerung des Komponisten sein, sein Werk zu verschandeln, das des Tenors, seine Perücke zu akzeptieren und vieles anderes auch. Glücklicher als mit der Bühne wird er Zuschauer sicherlich mit einem Teil der Kostüme, vor allem die für Najade, Dryade und Echo, wunderschönen Zwanzigerjahre-Fummeln von Adriana Braga Peretzki entworfen, die mit Adriana und Zerbinetta weniger im Sinn hatte, die eine in einen silbernen Schlauch presste und die andere wie eine Puffmutter ausstattete. Ansonsten gibt es viel Gold bei Requisiten und Kostümen, auch an den Komödianten funkelt und glitzert es.  Wie ein Fremdkörper erscheint ein Fels mit dem Schriftzug Ariadne, der an einen Grabstein erinnert.

Daniele Gatti wird bald Gelegenheit haben, mit der Dresdner Staatskapelle ein Orchester zu leiten, das mit Richard Strauss bestens vertraut ist. Was er dem Orchester des Maggio Musicale Fiorentino entlockt, ist aber auch aller Ehren wert, klingt so durchsichtig wie üppig, so verschwenderisch wie klug kalkuliert. Auch an den Sängern wurde im Nach-Corona-Jahr 2022 nicht gespart. Nur was ihre sängerischen Leistungen betrifft, ist Krassimira Stoyanova eine Primadonna. Der dunkel getönte, einheitlich gefärbte, nie schrill werdende Sopran meistert die schwierige Partie souverän, eine Leistung, die von Reife und von einer Karriere spricht, die auf ihrem Zenit angekommen zu sein scheint. Den einzigen Szenenbeifall heimste stückbedingt die Zerbinetta von Jessica Pratt ein, den Italienern aus dem Belcantorepertoire bestens bekannt und natürlich auch rollenbedingt zu solchem herausfordernd. Sie ist inzwischen eine recht reife Darstellerin für die kokette Allroundloverin, ihre große Arie meistert sie angemessen. Auf dem Weg zum Heldentenor ist AJ Glueckert, der den Bacchus mit ungefährdeten Stentortönen versah und trotz unmöglicher Kostümierung stattlich daher kam.

Ein wunderbares Paar waren der sensible, leidenschaftliche, jeden Ton mit echt erscheinender Empfindung füllende Komponist von Sophie Koch und der warmherzige wie warmstimmige Musiklehrer von Markus Werba. Einmal mehr bedauert man, dass sie so schnell und dann für immer von der Bühne verschwinden. Echten Wiener Schmäh brachte der Haushofmeister von Franz Tscherne auf die Bühne, geschmeidig bewegten sich und sangen Maria Nazarova, Anna Doris Capitelli und Liubov Mevedeva die drei Fabelwesen, aus der Schar der Komödianten ragte Liviu Holender mit feinem Kavaliersbariton als Harlekin heraus. Antonio Garés machte viel aus dem Tanzmeister, Joseph Dahdah war der schmucke Offizier. Die Aufführungen fanden im intimeren Teatro della Pergola statt, wohin ein Kammerspiel auch gehört. Die guten Verbindungen von  Alexander Pereira nach Österreich hatten sich bewährt, der Himmel hing noch voller Geigen (Bluray Dynamic 57970 & gleichnamige CD). Ingrid Wanja