Traditionell und sehr tonal

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Um eine Annäherung an das vielseitige Werk des dänischen Komponisten Paul von Klenau bemüht sich Dacapo Records in Kopenhagen. Jetzt wurde eine neue CD mit dem Singapore Symphony Orchestra unter der Leitung von Hans Graf veröffentlicht (8.224744). Sie enthält die 8. Sinfonie von 1942, das Violinkonzert (1941) und das Klavierkonzert (1944). In ihrer musikalischen Anlage sind alle drei Werke traditionellen klassischen Formen verpflichtet. Die Sinfonie hat vier Sätze, die Konzerte sind jeweils dreisätzig. „Im alten Stil“ lautet der Titel der Sinfonie. Dieser Zusatz findet sich auch bei anderen Komponisten. Klenau scheint ihn als Verweis auf die Wurzeln seiner Musik zu verstehen. Einfälle und Themen werden mit großer Leichtigkeit tänzerisch ausgebreitet. Es gibt keine dunklen spätromantischen Reminiszenzen, keine Grübeleien. Nichts scheint überflüssig und in die Länge gezogen. Insgesamt kommt die von Graf straff dirigierte 8. Sinfonie mit nur knapp vierzehn Minuten aus. Noch etwas länger dauert allein der ersten Satz des Violinkonzerts mit dem chinesischen Geiger Ziyu He, das weniger schwermütig wirkt als das mächtige Klavierkonzert, das von Soren Rastogi aus Dänemark gespielt wird. Bei allen drei Kompositionen handelt sich um Spätwerke, die unter deutscher Besatzung entstanden sind.

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Klenau, der einer deutschstämmigen Familie entstammte, starb 1946 in seiner Heimatstadt Kopenhagen. Seine engen Bindungen an Deutschland reichen bis in seine Jugend zurück. Als Neunzehnjähriger ließ er sich 1902 in Berlin nieder und studierte zunächst bei Max Bruch. Später nahm er bei Ludwig Thuille und Max von Schillings Unterricht. Seine erste Sinfonie wurde 1908 in München uraufgeführt. Dänische Komponisten sind nicht eben häufig anzutreffen auf deutschen Konzertspielplänen. Carl Nielsen noch an häufigsten. Gelegentlich Niels Wilhelm Gade und Rued Langgaard. Nach Paul von Klenau muss lange gesucht werden. Als die Wehrmacht 1940 in Dänemark einmarschierte, kehrte er in seine Heimat zurück. Seine Nähe zu den Nationalsozialisten liegt wie ein dunkler Schatten über seinem Werk und seiner Person. Er sah für seine musikalischen Ordnungsprinzipien, eine Entsprechung in der die nationalsozialistische Kunst, wollte nach eigenem Bekunden eine Musik schaffen, die der nationalsozialistischen Welt durch „ethische Volksnähe und ein handwerkliches Können“ entspreche. Darauf verweist die Musikwissenschaftlerin Nina Jungnickl, die sich in ihrer Diplomarbeit über Oper in der NS-Zeit am Beispiel der Württembergischen Staatsoper Stuttgart, in der sie sich auch mit Klenau beschäftigt. Seine Opern Michael Kohlhaas und Rembrandt van Rijn waren dort in der Spielzeit 1933/1934 bzw. 1936/1937 uraufgeführt worden.

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Zunächst waren bei Dacapo erste und die 1. und die 5. Sinfonie, gekoppelt mit der Symphonischen Fantasie Paolo und Francesca aufgenommen worden (8.224134). Der sinfonische Erstling in fünf steht noch ganz unter dem Eindruck seines Lehrers Schillings. Die Hörner im vierten Satz lassen an ein Scherzo von Bruckner denken. In das Finale fällt die Orgel ein und verbindet sich mit dem dunklen Blech zu einem feierlichen Abschluss, der von Beckenschlägen gekrönt wird. Mit ihrem vorwärtsdrängenden Beginn wirkt die fünfte Sinfonie aus dem Jahr 1939, die knapp zwölf Minuten dauert, traditioneller und konservativer als die erste. Mit Paolo und Francesca greift der Komponist wie zuvor schon in seiner vierten Sinfonie, die noch der Entdeckung harrt, eine Legende aus Dantes Göttlicher Komödie auf. Dort tritt Francesca in der Hölle als Verstorbene auf. Im wahren Leben war sie die Tochter des Herren von Ravenna wurde von ihrem Ehemann zwischen 1283 und 1286 getötet, weil sie sich dessen Bruder Paolo hingab. Mit unterschiedlichen Akzenten inspirierte die Geschichte auch andere Komponisten – darunter Riccardo Zandonai, Hermann Goetz, Peter Tschaikowski und Serge Rachmaninow sowie Maler und Bildhauer. Klenau kommt 1913 mit dem Thema relativ spät. Er gestaltet es aufwühlend und leidenschaftlich, doch kalt, fast schon eisig, erbarmungslos – und ohne einen Hauch von Hoffnung. So passt es sich in die Zeit ein, wird zu ihrem Ausdruck.

Im Zentrum einer weiteren CD steht die 7. Sinfonie, die Sturmsymphonie aus dem Jahr 1941 (8.224183). Die Bezeichnung beinhalte kein Programm, wird der Komponist vom Autor des Booklets, Thomas Michelsen, zitiert. Sie beziehe sich ausschließlich auf die Bewegung und den dramatischen Charakter des Werkes, das stellenweise sehr grüblerisch wirkt. Michelsen: „Ausgehend von der siebten Sinfonie ist insgesamt festzustellen, dass Klenaus Zwölftonmusik in ihrem melodischen und phrasierenden Aufbau ausgesprochen traditionell klingt und aufgrund der Harmonik sehr tonal wirkt.“ Und abermals fällt vor allem im zweiten Satz, einem Adagio, die Nähe zu Bruckner auf. Auf die Sinfonie folgt die Ballett-Ouvertüre Klein Idas Blumen nach einem Märchen von Hans Christian Andersen. Unter dem Titel Die Blumen der kleinen Ida findet sich die Geschichte von den Blumen, die welken und sterben, weil sie sich nachts beim Tanzen auf rauschen den Festen verausgaben, in deutschen Sammlungen. Für den rührseligen Blumentod bietet Klenau ein großes Orchester auf, das mit seinen wild auffahrenden Walzerklängen einen seltsamen Kontrast zur zarten Melancholie der Vorlage bildet.

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Der dänische Komponist Paul von Klenau/ Poträtsammlung Manskopf

Bei dem Liederzyklus Gespräche mit dem Tod für Altstimme und Orchester ist das Verhältnis zwischen Inhalt und Form angemessener dargestellt. Er entstand 1916 mitten im Ersten Weltkrieg. Der Tod erscheint als Freund und wird als solcher begrüßt: „Reich mir die Hand, o Tod und lass uns eilen, und leite vorwärts mich solang ich rückwärts blicke.“ Dichter des Textes ist Rudolf Binding (1867-1938). Bindung war ein höchst widersprüchlicher Geist. Streng deutsch-national gesinnt, stand er den Nationalsozialisten noch vor deren Machergreifung nahe. Andererseits hielt er bis zu seinem Tod an seiner Beziehung zur Jüdin Elisabeth Jungmann fest, die er auf der Ostseeinsel Hiddensee als Gerhart Hauptmanns Sekretärin kennenlernte. Der Zyklus ist in Deutsch komponiert und wird von der schwedischen Altistin Susanne Resmark mit großer dramatischer Geste auch deutsch vorgetragen. Im Booklet ist der Text abgedruckt. Auf dem deutschen Buchmarkt sind Bindings Werke meist nur antiquarisch zu finden. Seine Novelle Opfergang wurde 1944 bei der Ufa von Veit Harlan mit Kristina Söderbaum, die diesmal im Delirium stirbt und nicht ins Wasser geht, und Carl Raddatz verfilmt. Den Abschluss dieser sehr vielseitigen CD bildet der Jahrmarkt bei London – Souvenir of Hampstead Heath, einem großen Park im Norden der Stadt. Klenau dürfte dazu bei einem Aufenthalt in England angeregt worden sein. Zu hören ist ein sehr farbiges Stück. Michelsen spricht in Booklet von „impressionistischer Klangfläche“. In einer Programmnotiz heißt es: „Ein trüber nebliger Morgen. Langsam fährt ein Junge mit seinem kleinen Fuhrwerk den Hügel hinauf. Er singt. Regen, Regen, Regel und Nebel. Ach, nichts in der Welt ist so grau als Nebel.“ In der Einsielung ist die Knabenstimme durch den Alt von Sidsel Abel ersetzt, was der Stimmung keinen Abbruch tut, zumal die Sängerin einen androgynen Ausdruck hineinlegt. Alle Titel werden vom Odense Symphony Orchestra unter Jan Wagner dargeboten. Es ist eines der fünf regionalen Klangkörper Dänemarks und hat seinen Sitz in der Großstadt Odense auf der Insel Fünen.

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Für eine weitere Dacapo-Produktion wurde es ebenfalls herangezogen: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (6.220532). Dieses Werk hat keine Bezeichnung, die auf eine bestimmte Form hinweist. Es handelt sich um die vollständige Vertonung des berühmten Textes von Rainer Maria Rilke, das mehr Gedicht als Prosa ist. Obwohl bereits 1899 entstanden, wurde es im Umfeld des Ersten Weltkrieges oft als Apotheose des Heldentodes missverstanden. Obwohl nicht mal eben so nebenbei zu lesen, fand es eine große Verbreitung. Zurückzuführen ist dies auch darauf, dass damit 1912 die berühmte Inselbücherei, die es immer noch gibt, eingeleitet wurde. Der Cornet ist Band Nummer 1 und immer wieder aufgelegt worden. In der Insel-Bücherei wurde Rilkes Cornet gleich in einer Startauflage von 10 000 Exemplaren verbreitet, musste sofort nachgedruckt werden und erreichte bis 2006 mit 54 Auflagen über 1,147 Mio. Exemplare. Klenau erbat sich von Rilke persönlich die Zustimmung für die Komposition. Obwohl er davon nicht sehr viel hielt, stimmte er zu. Im Booklet wird der Dichter von Michael Fjeldsøe mit den Worten zitiert, dass sein Text „doch eigentlich Musik genug“ sei. „Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß … „ Vorgetragen vom Chor und nicht wie zu erwarten wäre – vom Solisten – schleppt sich der berühmte Beginn, den einst jeder Gymnasiast auswendig kannte, dahin. Das ist schon mal genial erdacht in seiner Wirkung. Bo Shovhus, der Solist, setzt erst nach sechs Minuten ein. Mit seinem kernigen Bariton ist er genau richtig eingesetzt, und er ist auch gut zu verstehen, was bei diesem Werk unerlässlich ist. Das Odense Symphony Orchestra wird diesmal vom britischen Dirigent Paul Mann geleitet. Es singt der Czech Philharmonic Choir.

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Die 9. Sinfonie bildet nicht nur den Schlusspunkt im sinfonischen Schaffen Klenaus, sie ist sein letztes Werk überhaupt, vollendet sechs Monate vor seinem Tod. Erst 2001 wurde der Autograph entdeckt und veröffentlich. Uraufgeführt wurde die Sinfonie 2014 von Michael Schønwandt in Kopenhagen. Das war insofern mutig, als bei dieser Gelegenheit die Verstrickungen des Komponisten mit Nazideutschland öffentlich heftig diskutiert wurden. Seine Einspielung mit dem Danish National Symphony Orchestra ist eine Weltpremiere und ebenfalls bei Dacapo erschienen (8.226098-99). Zum Orchester treten der Danish National Concert Choir und ein klassisches Solistenquartett mit Cornelia Ptassek (Sopran), Susanne Resmark (Alt), Michael Weinius (Tenor) und Steffen Bruun (Bass). Formal geht das viersätzige Werk eine Mischung aus Sinfonie und Requiem nach dem lateinischen Text der Katholischen Totenmesse ein. In seinen Ausmaßen von neunzig Minuten ist es gigantisch – und so klingt es auch. Rüdiger Winter

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