Alfredo Keils „Serrana“

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„Heróis do mar, nobre povo, // (…) Levantai hoje de novo // O esplendor de Portugal! – Helden der See, edles Volk, (…) //Erhebet heute aufs Neue, //Die Pracht Portugals!“ – Ausgerechnet ein Portugiese mit deutschen Wurzeln ist für diese Nationalhymne verantwortlich: Alfredo Keil. Der kommt nur deshalb in Portugal auf die Welt, weil es seinen Vater, Hans-Christian Keil, als Schneider an den portugiesischen Hof verschlägt. Den Sohn, Alfredo, reizt es weniger, für die Fernandos, Carlos‘ und Manuels dieser Welt Nähnadeln durch erlesene Samtstoffe zu triezen; er studiert Malerei und Musik und setzt sich energisch daran, die portugiesische Oper endlich portugiesisch zu machen. Mit Serrana, im Untertitel Die Frau aus den Bergen, vertont er wagemutig ein portugiesisches Libretto – bei so viel nationaler Bewegung muss die Zeit ja endlich mal reif sein für ein Werk in der Muttersprache, oder? Doch ehe das Stück 1899 mit großem Erfolg am Teatro São de Carlos aufgeführt wird, muss es, man braucht es eigentlich schon nicht mehr zu sagen, erst ins Italienische übersetzt werden.

Sein Lied A Portuguesa komponiert Keil bereits 1891, im Schwung der Empörung über die britische Afrikapolitik. Dass daraus dann zwanzig Jahre später die portugiesische Nationalhymne gezaubert wird, versehen mit einem Text des Dichters Henrique Lopes de Mendonça, erlebt er gar nicht mehr – und glücklicherweise auch nicht, dass das leider das einzige ist, was von seinem Werk überhaupt noch gespielt wird.

Alfredo Keil, Gemälde von Félix da Costa 1909 (Museu de Lisboa, Palácio Pimenta)

Hymne hin oder her, die junge Republik kämpft – und versinkt zugleich im Chaos. Der 1. Weltkrieg destabilisiert nachhaltig, Attentate, Korruption, Inflation, höhlen das System aus, alle paar Monate wechselt die Regierung. Der Ruf nach einem starken Mann wird immer lauter, Portugal schlingert Richtung Diktatur. Ein dunkles Kapitel der portugiesischen Geschichte. …  (soweit Sylvia Roth im SWR 2017 in ihrer vierten Folge der Kleinen Musikgeschichte Portugals).

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Alfredo Keil? Wer war Alfredo Keil? Ein Portugiese, zumal ein patriotischer mit deutschem Namen? Alfredo Keil wurde am 3. Juli 1850 in Lissabon geboren und war väterlicherseits deutscher und mütterlicherseits elsässischer Abstammung.  Sein Vater, João Cristiano (Johann Christian) Keil, ließ sich 1838 als Schneider in Lissabon nieder und konnte den König zu seinen Kunden zählen; seine Mutter, Maria Josefina Stellpflug, gehörte zu einer Familie, die seit dem späten achtzehnten Jahrhundert in Portugal ansässig war.

Im Jahr 1868, noch nicht 18 Jahre alt, geht er nach Bayern, um in München und Nürnberg zu studieren, wo Kaulbach und Keeling seine Lehrer an der Akademie der Bildenden Künste sind. Von dort aus schickte er seine ersten Bilder für eine Ausstellung der Sociedade Promotora das Belas Artes (Gesellschaft zur Förderung der schönen Künste).

1870 zwang ihn der Deutsch-Französische Krieg zur Rückkehr nach Portugal, wo er sein Studium der Malerei bei Prieto und Miguel Lupi fortsetzte. In den Jahren 1874 und 1876 wurde er von der Sociedade Promotora mit einem Preis ausgezeichnet und nahm an mehreren internationalen Ausstellungen teil und wurde dort auch prämiert.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Aquarell vom Künstler mit einer Widmung für Jules Massenet/TNSC (National Theatre of S. Carlos), Serrana, Alfredo Keil, Ministério da Cultura, 2002

In der Zwischenzeit wurde er in den eleganten Salons als Komponist von Walzern und Polkas immer beliebter. Seine musikalischen Lehrer waren der Ungar Oscar de Ia Cinna (Klavier) und die Portugiesen Ernesto Vieira (Harmonie) und António Soares (Grundlagen).

Im Jahr 1883 wurde seine einaktige komische Oper Susana nach einem Text von Higino Mendonça im Teatro da Trindade aufgeführt. Am 10. Juni des darauffolgenden Jahres, im Anschluss an das Camões-Jahresjubiläum (1880), wurde seine Kantate Patrie im alten Whitoyne Coliseum unter der Leitung von Filipe Duarte aufgeführt. 1885 und 1886 wurden seine symphonische Dichtung Uma Caçada na Corte und die Kantate As Orientais von der Academia dos Amadores de Música im Trindade-Saal uraufgeführt. Aber es war auch eine Zeit großer Aktivität als Maler, aus der die meisten seiner kleinen Gemälde von Colares stammen.

Dona Branca, sein „Drâme lyrique“ in einem Prolog und vier Akten, wurde am 10. März 1888 im Teatro de São Carlos uraufgeführt und war sein erstes wichtiges Werk. Nach einem Libretto von César Fereal, das auf dem gleichnamigen Gedicht von Almeida Garrett basiert, war es ein großer Erfolg und wurde dort dreißig Mal aufgeführt, bevor es an das Teatro Lírico in Rio de Janeiro weiterging.

Zwei Jahre später setzte das britische Ultimatum eine gewaltige Welle patriotischer Begeisterung in Gang. Um die Gefühle der Nation auf den Punkt zu bringen, komponierte Alfredo Keil den Marsch A Portuguesa, dem Henrique Lopes de Mendonça einen Text hinzufügte, der bald im ganzen Land gesungen wurde. Zu den Klängen von A Portuguesa brach am 31. Januar 1891 in Porto die republikanische Revolution aus, die dazu führte, dass dieser Marsch 20 Jahre lang nicht mehr öffentlich gesungen werden durfte. Bei der Revolution vom 5. Oktober 1910 wurde er vom Volk wieder aufgegriffen und schließlich von der Republik als Nationalhymne angenommen – ein Schicksal, das der inzwischen verstorbene Monarchist Alfredo Keil nicht vorausgesehen hatte.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Foto zu einer Aufführung 1909 im Teatro de la Trinidad, Portugal/ Wikipedia

Zurück ins Jahr 1890: In diesem Jahr führte das Teatro Nacional Dona Maria II. zum ersten Mal die historische Tragödie A Morta von Henrique Lopes de Mendonça auf, zu der Keil die Bühnenmusik komponierte. Im selben Jahr veranstaltete er eine Ausstellung, bei der er etwa 300 Gemälde verkaufte. Einer der Käufer war König Luís, der Alfredo Keil 1886 gebeten hatte, eine Kantate zur Feier der Hochzeit von Prinz Carlos mit Prinzessin Amélia von Orleans zu komponieren, woraus O Poema da Primavera entstand (erst 1930 posthum aufgeführt). König Luís widmete der Komponist die Partitur von Dona Branca, die in Paris veröffentlicht wurde.

Die vieraktige „Leggenda mistica“ Irene wurde am 20. März 1893 am Teatro Regio in Turin uraufgeführt. Ebenfalls nach einem Text von César Fereal wurde es zwei Jahre später in Leipzig veröffentlicht und 1896 im São Carlos aufgeführt.

Etwa zur gleichen Zeit vollendete Keil A Serrana nach einem Libretto von Henrique Lopes de Mendonça, das auf der Erzählung Como ela o amava („Wie sie ihn liebte“) von Camilo Castelo Branco basiert. Die Uraufführung fand am 13. März 1899 im São Carlos statt. Ein Auszug für Gesang und Klavier wurde in Rio de Janeiro von einer großen Gruppe von Bewunderern veröffentlicht (ähnlich wie bei der Symphonie „A Pátria“ („Das Vaterland“) von Viana da Mota), mit Illustrationen von Roque Gameiro, Columbano Bordalo Pinheiro und anderen.

Alfredo Keil „A Serrana“ scene II, Act 2, Júlia Coelho, soprano,  Taylor Burkhardt pianist Whitmore recital Hall Columbia, Missouri 2015/ youtube

Während dieser Zeit widmete sich Alfredo Keil weiterhin der Malerei. In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich vor allem seinen Sammlungen von Kunstwerken, insbesondere seiner berühmten Musikinstrumentensammlung. Diese umfasste bis zu 400 verschiedene Stücke und ist heute Teil der Sammlung des Museu de Música in Lissabon. Zu seiner wertvollen Gemäldesammlung gehörten ein Goya, ein Luca Giordano, ein Bruegel und zahlreiche portugiesische alte Meister. Seine prächtige Bibliothek umfasste eine Reihe seltener Werke, darunter Manuskripte, einige mit Buchmalerei. Er selbst veröffentlichte die Bände Breve Notícia da Colecção Keil – Instrumentos de música (1904) und Colecções e Museus de Arte de Lisboa (1905).

Alfredo Keil war ein Mann, der die Zuneigung und Wertschätzung von Institutionen und einfachen Menschen gleichermaßen genoss. Diese Universalität, die von allen Schichten des Landes in Anspruch genommen wurde, führte zur Komposition einer Reihe von Gelegenheitswerken, wie dem Hino do Infante Dom Henrique und dem Marcha de Gualdim Pais. Die lyrische symphonische Dichtung A Índia (ursprünglich als Oper gedacht, die jedoch nie vollendet wurde) wurde von der Geographischen Gesellschaft in Auftrag gegeben, um den vierhundertsten Jahrestag der Entdeckung Indiens durch Vasco da Gama im Jahr 1898 zu begehen (die Komposition wurde wegen fehlender finanzieller Mittel eingestellt).

Bei seinem frühen Tod am 4. Oktober 1907 hinterließ Alfredo Keil ein unveröffentlichtes Buch mit Versen, Zeichnungen und Liedern, die er alle selbst angefertigt hatte und die ein Jahr später unter dem Titel Tojos e Rosmaninhos („Ginster und Rosmarin“) veröffentlicht wurden. Ansonsten hinterließ er Skizzen für eine weitere Oper, Simão, o Ruivo, und eine große Anzahl kleiner Vokal- und Instrumentalstücke. (Quelle Wikipedia Poirtugal).

Alfredo Keil: „Serrana“/Costume painted by Roque Gameiro/Denise Pereira & Gerald Luckhurst, “Alfredo Keil e Luigi Manini: Os sons e os tons da didascália operática” in Alfredo Keil em Sintra: 100 anos depois, Câmara Municipal de Sintra, (Exhibition catalog), 2007

Soweit die Bio. Nun aber endlich zur Oper selbst: Am  13. März 1899 wurde also  im S. Carlos Theater in Lissabon A Serrana, ein lyrisches Drama in drei Akten mit einem Libretto von Henrique Lopes de Mendonça, basierend auf dem Roman Como Ela o Amava, von Camilo Castelo Branco Real Teatro de São Carlos uraufgeführt.  Es ist die erste moderne Oper mit einem Libretto in portugiesischer Sprache, die auch populäre Melodien enthält. Es wurde Keils bekannteste Oper sowie ein „echt nationales“ Repertoire-Stück. Obwohl das Libretto ursprünglich in portugiesischer Sprache verfasst war und Keil angedeutet hat, dass er die Musik auf der Grundlage des Textes in dieser Sprache geschrieben hat, wurde die Oper, wie alle ihre Gegenstücke von portugiesischen Komponisten, die im 19. ein Ensemble, dem einige berühmte Sänger der damaligen Zeit angehörten, darunter die Sopranistin Eva Tetrazzini, Ehefrau des Orchesterdirektors Cleofonte Campanini, und der Bariton Mario Ancona, eben – de rigeur –  in Italienisch gegeben.

In der Widmung an Massenet (einen Freund des Komponisten), die am Anfang der Partitur steht, erwähnt Keil Serrana als die erste Oper, die mit einem portugiesischen Text gedruckt wurde, und die 90 Subskribenten, die die Ausgabe finanziert haben, bezeichnen sie als „die erste moderne Oper, mit der die ‚Vulgarização da Musica Portugueza‘ beginnt“. Nach der Tradition des 19. Jahrhunderts ist dies die Partitur, die in der Öffentlichkeit das Bild der Oper prägt und sicherlich zu ihrer Identifizierung als Nationaloper beigetragen hat.

Alfredo Keil: „Serrana“/Costume painted by Columbano Bordalo-Pinheiro/TNSC (National Theatre of S. Carlos), Serrana, Alfredo Keil, Ministério da Cultura, 2002

Es dauerte jedoch bis 1909, ein Jahrzehnt nach der Uraufführung und zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten, bis der Impresario Afonso Taveira die Oper in der Sprache, in der sie ursprünglich geschrieben wurde, auf die Bühne des Theaters von Trindade brachte.  Zu dieser Zeit erkannte A Illustração Portuguesa die Oper als Keils populärste an (was sich sicherlich auf die Tatsache bezog, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt fünf Mal aufgeführt worden war) und auch als „echt national“. Diese Popularität wird sich im 20. Jahrhundert widerspiegeln, denn Serrana war sicherlich die meistgesungene portugiesische Oper. Zwischen 1900 und 1979 gab es neun Spielzeiten im Teatro de S. Carlos, vier Spielzeiten im Coliseu bis 1965, im Teatro de S. João do Porto im Februar 1901, im Teatro da Trindade 1909 und dann, in den sechziger Jahren, durch die Companhia Portuguesa de Opera, die es in der portugiesischen Fassung zu einem ihrer Repertoirewerke wählte, sowie 1979 im Teatro Rivoli in Porto. Eine semi-konzertante Aufführung findet sich zudem 2015 im amerikanischen Columbia/Missouri.

2002 und 2019 erfolgten zwei weitere Aufführungen in Lissabon (in portugiesich), letztere ist bei youtube nachzuerleben (in halligem Sound, Maria Pia Jonata singt die Titelpartie, Donato Renzetti dirigiert am Teatro Nacional de São Carlos). Gleich nach der Uraufführung in Lissabon brachte das tüchtige Hamburger Opernhaus eine deutsche heraus. Eine im Netz erwähnte erste und einzige deutschsprachige konzertante Nachkriegs-Aufführung (stark gekürzt in der Originalsprache) vom WDR stammt vom 15. 5. 2005 (wie der Bonner Generalanzeiger am 17. 5. 2005 titelt: Konzertante WDR-Produktion von Alfredo Keils „Serrana“ im!!! Bonner Opernhaus.“; so die Info der Radiozeitung Hör Zu, wie unser Leser Carl Meffert herausgefunden hat: Günter Lamprecht und Claudia Amm sind die Sprecher, und es singen Laura de Souza, Ricardo Tamura sowie Juan-Carlos Mera-Euler mit Helmuth Froschauer am Pult des Rundfunk-Orchesters und -Chores, s. die Buldunterschrift zum Flyer der Bonner Aufführung nachstehend). Der Musikverlag Schott, bei dem  bei der Hamburger Erstaufführung die deutschen Rechte lagen, findet nichts im Archiv.  (G. H.)

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Alfredo Keil: „Serrana“/ Bühnenbildentwurf von Manuel Macedo für Alfredo Keil/ TNSC (National Theatre of S. Carlos), Serrana, Alfredo Keil, Ministério da Cultura, 2002

Im Gegensatz zu den früheren Opern Dona Branca und Irene, die beide ein historisches Thema behandeln und von den Vorbildern der Grand Opéra beeinflusst sind, behandelt Serrana Probleme, die mit dem Leben der Bauern eines Dorfes in der Umgebung von Serra da Estrela verbunden sind.

Wie ihre Vorbilder aus dem späten 19. Jahrhundert verbindet Serrana Elemente, die von der romantischen Oper übernommen wurden, mit anderen, die für die literarischen Strömungen des italienischen Naturalismus charakteristisch sind – verista oder Realisten -, die den meisten dramatischen Werken ab 1870 ihren Stempel aufdrückten.

Romantische Stereotypen werden besonders deutlich in der Organisation des dramatischen Raums: Akt I spielt im Freien, während des Morgens, in einer Taverne mit Tischen; Akt II spielt im Inneren eines wohlhabenden Hauses, während einer stürmischen Nacht, und Akt III spielt am Morgen des nächsten Tages, ebenfalls im Freien. Wir beobachten also eine Entwicklung vom offenen und bukolischen Raum des ersten Aktes zum geschlossenen und intimen Raum des zweiten Aktes und eine Rückkehr zum offenen Raum im dritten Akt, der nun beunruhigend und bedrohlich ist.

Die Dialoge zwischen dem Chor und den verschiedenen Figuren im ersten Akt repräsentieren das Gefühl der Feindschaft zwischen den beiden rivalisierenden Dörfern, während Peter und Zabel im zweiten Akt in einer intimeren Atmosphäre ihre Liebesgefühle zueinander ausdrücken.

Alfredo Keils „Serrana“ in der konzertanten Aufführung des WDR im Opernhaus Bonn – unser Leser Carl Meffert fand den Flyer für die Aufführung beim Rheinischen Musikfest 2005. Danke! Das Konzert im Bonner Opernhaus war am 14. 5. 2005, und zwei Tage später (am Montag) reisten die Mitwirkenden zum Dresdener Musikfest – Motto: „Lissabon – Kulturhauptstadt Europas“ – und führten in der Semperoper das Werk noch einmal (konzertant) auf. Der MDR nahm es – im Auftrag des ‚WDR‘ ? – auf, und dieser sendete es lt. Rundfunkzeitung am 12. 6. 2005 in seinem Dritten Programm. 

In der Beziehung zwischen den drei Akten von Serrana finden wir auch andere der in der italienischen romantischen Oper üblichen Strukturen: Akt I als racconto, die Schilderung der Vergangenheit, aus der die in der Gegenwart erlebte Situation entstanden ist – hier die alte Feindschaft zwischen den Dörfern, Pedro, Zabels erste Leidenschaft, dessen Eifersucht, als er erfährt, dass Zabel mit Marcelo nach Brasilien geht, und das Versprechen, das Lager zu boykottieren – der zweite und dritte Akt sind die eigentliche Entfaltung des Dramas, wobei das charakteristische Liebesduett im zweiten Akt zu finden ist.

In der engen Verbindung zwischen den raphaelischen Elementen der äußeren Natur und der Entfaltung des Dramas wird der Einfluss der französischen Oper besonders deutlich. Ein Beispiel dafür ist das Erscheinen einer Höhle und des Grabes von Petrus auf der Bühne, das von Nabor mit einem groben Holzkreuz markiert wird (III). Der Sturm (II),26 ein allgemeines Symbol für das Herannahen der Tragödie, ist auch eine Projektion der Gemütszustände und der gequälten Leidenschaften, die die Figuren beleben und die aufgrund ihres spektakulären Charakters auf der Bühne ein sehr häufiges dramatisches Mittel im gesamten neunzehnten Jahrhundert darstellen. Es handelt sich im Grunde um eine „Rhetorik der dramatischen Räume“.

Einige der aufgezeigten Merkmale finden sich auch in einer Reihe von Opern aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – insbesondere in Bizets Carmen und Puccinis Manon Lescaut.  Die dramatischen Themen der tinte forti, die in der Literatur und im Theater der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts präsent waren, leiteten den Übergang von einer romantischen zu einer realistischen Ästhetik ein, was sich unmittelbar in der Oper jener Zeit niederschlug. Eines der Werke, die am meisten zum Erscheinen dieses neuen Genres beitrugen, war Bizets Carmen, in der die Heldin zum ersten Mal eine Frau von niedrigem sozialen Status ist und in der die Gewalttätigkeit von D. Josés Verbrechen aus Leidenschaft auf der Bühne zu sehen ist.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Szene Aufführung 1909 am Teatro de la Trinidade/ Wikipedia

In Serrana sind das Thema der Auswanderung aus dem portugiesischen ländlichen Umfeld nach Brasilien, auf das im ersten Akt Bezug genommen wird, die Anwesenheit des Dorfältesten von Malhada (die typische Figur des weisen Dorfältesten – Nabor), die Tatsache, dass die Hauptfiguren dem ländlichen Umfeld angehören, die Verwendung einer für die Region Beira Baixa typischen Sprache und der Gebrauch von Sprichwörtern, die versuchte Vergewaltigung, die Präsenz traditioneller portugiesischer Instrumente wie der Adufe und der Gitarre auf der Bühne oder auch die Bezugnahme auf Aspekte, die mit dem täglichen Leben eines portugiesischen Dorfes verbunden sind, wie die Schafzucht, die Arbeit der Spinnerinnen  oder die Adlerjagd , sind alles Elemente, die es dieser neuen Ästhetik näher bringen.

Aus symphonischer Sicht ist der interessanteste Aspekt in Serrana das Vorhandensein eines symphonischen Intermezzos, mit dem der 3. Akt beginnt und das dazu dient, den Tod von Peter zu beschreiben. Diese Art von Stücken taucht in den Opern der Komponisten der Giovane Scuola als Antwort auf den Symphonismus in Wagners Werken auf und steht auch im Zusammenhang mit dem Aufkommen deskriptiver musikalischer Elemente in der italienischen Oper. Abgesehen von kleineren Bemühungen von Komponisten wie Smareglia (La Falena, 1897-1905) oder Franchetti (Germania, 1902) um eine Wiederbelebung der Wagnerschen Tradition sind bedeutendsten Werke unter diesem Gesichtspunkt  die von Komponisten, die mit dem Verismo verbunden sind – L’amico Fritz (1891), Guglielmo Ratcliff (1895) und Cavalleria rusticana, (1890) von Mascagni oder auch Le Villi (1884) und Manon Lescaut (1893) von Puccini. Die beiden Orchesterintermezzi in Le Villi werden von Texten begleitet, die den Verrat von Roberto, den Tod von Anne bzw. die Legende von Villi beschreiben, und in Manon Lescaut beschreibt das Intermezzo im dritten Akt die Verhaftung von Manon und ihre Reise zum Hafen von Le Havre.

Alfredo Keil: „Serrana“/ Postkarte/ priv coll.

Das Sturm-Intermezzo in Serrana ist ein programmatisches Stück, das sich anhand der Didaskalien, die die Partitur begleiten, in mehrere Momente unterteilen lässt. Zu diesen gehören chromatische Skalen, meist absteigend, sowie eine Reihe von Akkorden, die mit punktierten Rhythmen artikuliert werden, von denen einige diminutiv sind. Dieser Moment erinnert an Wind, Donner und sintflutartigen Regen, Elemente, die bereits im zweiten Akt zu spüren waren.

Um dem Zuschauer ein größeres Gefühl der Authentizität zu vermitteln, verwendet die realistische Oper eine Reihe von Referenzen, die zu einem Bewusstsein der Umgebungen führen, die das Werk darstellen will: Volkstänze und Lieder einer bestimmten Region, dionysische Gesänge (Marcelos Lied „Eva lá no paraíso“, ein Beispiel für das typisch französische chanson à boire), sowie Litaneien, religiöse Hymnen, Prozessionen und malerische Chöre. Die Prozession von Serrana, ein religiöses Element am Ende des ersten Aktes (mit dem ein Choral verbunden ist), erfüllt nicht nur eine dramatische Funktion – den Gegensatz zwischen dem Kampf der Kriegsparteien und der anschließenden Vereinigung durch die Religion -, sondern bringt auch ein starkes Element des Lokalkolorits ein. 

Zum Inhalt/Personen: Zabel, Serrana (dramatischer Sopran) PEDRO, Bauer von Alfatema (Tenor); MARCELO, Bauer von Malhada (Bariton); NABOR, alter Major (Bass); MANUEL Dorfbewohner von Malhada (Bass); ANDRÉ, Sänger (Tenor); UM PASTOR (Tenor).

Alfredo Keil/ Illustration zu seiner Oper „Donna Branca“/Wikipedia

Akt I – Die Handlung spielt im Jahr 1820 in dem kleinen Dorf Malhada, das in der Serra da Estrela liegt. Die Männer streiten sich heftig über alte Rivalitäten zwischen den Dörfern, die nun wieder aufleben, da Pedro, aus dem Dorf Alfatema und erste Liebe von Zabel (der Serrana), geschworen hatte, das Fest zu ruinieren, das an diesem Tag anlässlich des Festes von S. Silvestre, dem Schutzheiligen von Malhada, stattfinden sollte. Auslöser für Pedros Revolte war die Nachricht, dass Marcelo, Zabels derzeitiger Lebensgefährte, aus Eifersucht und dem Wunsch, sein Vermögen zu vergrößern, beschlossen hatte, nach Brasilien auszuwandern und das Mädchen mitzunehmen. Obwohl der alte Nabor zur Ruhe mahnt, gelingt es Marcelo, eine Gruppe von Bauern davon zu überzeugen, Pedro und seine Gefährten gewaltsam an der Ausführung ihres Vorhabens zu hindern. Um die Gemüter zu beruhigen, bietet Nabor Marcelo ein Glas Wein an und er stimmt das dionysische Lied „Eva im Paradies“ an. In der Zwischenzeit nähert sich eine Gruppe von Sängern, angeführt von Zabel, und auf Wunsch aller singt sie gemeinsam mit André das Aufforderungslied „Sie nennen mich Rosa nos Montes“.

Dann erscheinen die Bauern aus dem rivalisierenden Dorf Alfatema, angeführt von Pedro. Marcelo und seine Männer gehen zu der Brücke, die die beiden Dörfer trennt, während Pedro, der sich nähert, Marcelo herausfordert. Die beiden Rivalen stehen sich mit vorgehaltener Waffe gegenüber, als Zabel eingreift und sich zwischen die beiden Männer stellt. Mit netten Worten gelingt es ihr, Marcelo zu beruhigen.

Er vereinbarte heimlich ein Treffen mit Pedro für diese Nacht. In der Zwischenzeit geht der Kampf wieder los, der nun von Nabor unterbrochen wird, der die rivalisierenden Gruppen trennt. Die Glocken rufen zur Prozession und alle stimmen ein Loblied auf den heiligen Schutzpatron an.

Alfredo Keil/ „A Portugueza“, die spätere Nationalhymne Portugals/ Wikipedia

Akt 2 – Nachts, im Haus von Marcelo, gehen Zabel und die Spinnerinnen ihrer Arbeit nach, während in den Bergen ein Sturm aufzieht. Verängstigt durch den Sturm verschwinden die Spinner und lassen Zabel allein zurück. Sie fragt sich, was sie für Pedro empfindet, als er auftaucht. Das Mädchen läuft ihm in die Arme, gesteht ihm ihre Liebe und bereut den Moment, als sie sich von Marcelos Reichtum verführen ließ. Die beiden beschließen, wegzulaufen und weit weg von diesem Ort zu leben, als Marcelos Stimme in der Ferne zu hören ist. Zabel beeilt sich, das Gold in ihre Tasche zu packen, wird aber von Pedro ermahnt, der ihr sagt, dass sie dafür keine Zeit hat. Als er durch das Fenster flieht, um nicht von Marcelo überrascht zu werden, schlägt Pedro mit dem Kopf auf einen Stein, was seinen Tod zur Folge hat. Der betrunkene Marcelo bricht die Tür auf, dringt in das Haus ein und versucht, Zabel zu vergewaltigen, die ihn mit einem Messer bedroht und entkommen kann.

Alfredo Keil: „Serrana“/ der Musikwissenschaftler Luís Raimundo hat zu der Oper geforscht und den nachstehend erwähnten Artikel von 2002 verfasst/ link

Akt 3 – Am Morgen findet Nabor die Leiche von Pedro. Verärgert begräbt er ihn in der Nähe einer Höhle und stellt ein grobes Holzkreuz auf. Der alte Mann fragt die Hirten, was passiert ist, aber sie können ihm nichts sagen. Von einer tiefen Traurigkeit geplagt, stimmt Nabor ein Vaterunser an. Zum Erstaunen aller erscheint Zabel auf den Felsen und sieht dement aus. Sie erkennt Nabor nicht, der sie stützt und tröstet und sie an die glücklichen Zeiten mit Pedro erinnert.

Angesichts des Entsetzens von Nabor und Zabel kommt Marcelo mit der Waffe in der Hand, bereit, das Mädchen zu töten, das er des Ehebruchs und des Diebstahls beschuldigt. In einem kurzen Moment der Reue bittet er Zabel jedoch, es sich noch einmal zu überlegen und sagt ihr, dass er sie immer noch liebt. Aber die Serrana wirft ihm hasserfüllt die Goldkette vor die Füße und ruft: „Ich widere dich an“. Um das Schlimmste zu verhindern, versucht Nabor, das Mädchen zu schützen, aber Marcelo stößt ihn gewaltsam weg und schießt. Die tödlich verwundete Zabel kriecht zum Grab von Pedro, küsst die Erde und stirbt. Als Marcelo erkennt, welches Verbrechen er begangen hat, flieht er entsetzt.

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Der portugiesische Musikwissenschaftler Luís Raimundo hat sich in der Revista Portuguesa de Musicologia 2000 mit der Oper beschäftigt, der vorstehende Artikel beruht auf seinem Beitrag ebendort; (Raimundo, Luís: «Für eine dramaturgische und stilistische Lektüre von Serrana von Alfredo Keil». Lissabon. Portugiesisches Journal für Musikwissenschaft: 227-274.  Wir danken für seine außerordentlich liebenswürdige Hilfe, die auch die Bereitstellung einiger  Illustrationen umfasst.  Übersetzungen aus dem Portugiesischen: Luísa Ferreira.

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Die bisherigen Beträge in unserer Serie „Die vergessene Oper“ finden Sie hier