.
Edward wer? Kommt die Rede auf Edward German (1862-1936), 1928 vom britischen König Georg V. zum Sir geadelt, so dürfte die Resonanz hierzulande eher verhalten ausfallen. Geboren in Whitchurch, Shropshire, als Sohn eines englischen Spirituosenhändlers, der sich kurioserweise auch als Laienprediger betätigte, kam er – Geburtsname German Edward Jones – bereits früh mit Musik in Berührung. 1880 schließlich an der ehrwürdigen Royal Academy of Music, änderte er seinen Namen zunächst in J. E. German und später in die heute geläufige Form. Der Grund war eigentlich ganz trivial: Er wollte nicht mit einem Kommilitonen namens Edward Jones verwechselt werden. Mit Deutschland hat sein Name übrigens nichts zu tun, handelt es sich doch um eine anglisierte Form des walisischen „Garmon“. Neben Komposition umfassten seine Studien Orgel und Violine. Früh wurde man auf sein Talent aufmerksam. Schon 1885 wurde an der Royal Academy sein Te Deum aufgeführt, 1886 bereits seine erste komische Oper The Two Poets. Auslandsaufenthalte führten ihn unter anderem zu den Bayreuther Festspielen. Sein Œuvre war breit aufgestellt und umfasste fast alle musikalischen Gattungen. 1901 vervollständigte er Sullivans letzte Oper The Emerald Isle und galt in der Folge als dessen legitimer Nachfolger, was ihn fortan aber auch auf die sogenannte „leichte Klassik“ festlegte. Besonders Merrie England (1902) und Tom Jones (1907) erfreuten sich langanhaltender Beliebtheit. Daneben waren es gerade Bühnenmusiken – primär für Werke von Shakespeare –, für die German berühmt wurde, angefangen bei Richard III (1889) über Henry VIII (1892), Romeo and Juliet (1895), As You Like It (1896), Much Ado about Nothing (1898) bis hin zu The Conqueror (1905). Trotz seiner großen Popularität zu Lebzeiten, inklusive der Bewunderung durch niemanden Geringeren als Sir Edward Elgar, und einiger großer Fürsprecher auch danach – darunter Sir John Barbirolli –, ist German, vielleicht abgesehen von Merrie England, weitestgehend in der Versenkung verschwunden.
Naxos legt nun dankenswerterweise eine bereits fast 30 Jahre alte Produktion neu auf, die einst auf dem Entdecker-Label Marco Polo erschienen ist (8.555228). Enthalten sind die 1893 komponierte Sinfonie Nr. 2 a-Moll Norwich, die Germans letzten Beitrag zu dieser Gattung darstellt (Nr. 1 entstand 1887), sowie die Welsh Rhapsody von 1904 und die Valse gracieuse von 1895 in der revidierten Fassung von 1915. Verantwortlich zeichnet der in diesem Repertoire bewährte Dirigent Andrew Penny mit dem National Symphony Orchestra of Ireland. Die Einspielung wurde am 29. und 30. März 1994 in der National Concert Hall in Dublin produziert. Tatsächlich stellen die Marco Polo/Naxos-Produktionen, die noch einige CDs mehr umfassen, bis heute das Gros in der schmalen German-Diskographie dar. Soweit ersichtlich, wurden lediglich die zweite Sinfonie und die Valse gracieuse seither ein weiteres Mal aufgenommen (2007 mit dem BBC Concert Orchestra unter John Wilson für Dutton). Die Textbeilage (Einführung von David Russell Hulme) ist erfreulich ausführlich, wenn auch labeltypisch bloß auf Englisch.
Edward Germans nach der ostenglischen Stadt Norwich benannte viersätzige Sinfonie Nr. 2 stellt ein im Vergleich zur Vorgängerin gewichtigeres Werk dar (die Spieldauer beträgt eine gute halbe Stunde). Beide haben sie ihren Ursprung in des Komponisten akademischen Lehrjahren. Obschon von der zeitgenössischen Kritik durchaus gewürdigt, führten Selbstzweifel Germans dazu, dass er niemals eine dritte Sinfonie vollenden sollte. Über Jahrzehnte lag die Partitur der Zweiten auch bloß als Arrangement für zwei Klaviere im Druck vor. Erst 1931 entschloss sich der bereits hochbetagte German zu einer Drucklegung der Orchesterfassung, welche tatsächlich neuerlich Interesse an dem Werk entfachte. Obgleich der Komponist betonte, dass sich nicht viel „Altenglisches“ in der Sinfonie befinde, stellt sie eine der bedeutendsten britischen Sinfonien des späten 19. Jahrhunderts und vor Elgar dar. Majestätisch der zehnminütige Kopfsatz, schlicht und anmutig zugleich der sich anschließende langsame Satz (acht Minuten). Im spritzigen fünfminütigen Scherzo zeigen sich am ehesten operettenartige Züge. Beschlossen wird das Werk mit einem an den Beginn gemahnenden Finalsatz (achteinhalbminütig), der breit und choralartig eröffnet wird. Theatralisch klingt die Sinfonie schließlich aus und lässt den Bühnenkomponisten durchscheinen.
Die Welsh Rhapsody, knapp 20-minütig, ist heutzutage vermutlich das am häufigsten aufgeführte Orchesterwerk Germans. Den Eindruck, den es beim Cardiff Musical Festival 1904 schindete, war ganz beträchtlich. Obwohl dem Titel nach eine Rhapsodie, zeigen sich doch sinfonische Züge. So hat German selbst in der Partitur die vier Abschnitte wie folgt betitelt: I. Loudly Proclaim, II. Hunting the Hare – Bells of Aberdovey, III. David of the White Rock und IV. Men of Harlech. Anklänge an Musik aus Wales sind freilich auszumachen, was dem Stück besonders die Anerkennung der Waliser bescherte. Es war im Übrigen auch das letzte eigene Orchesterwerk, welches Edward German öffentlich dirigierte (1927 passenderweise in Aberystwyth, Wales).
Die sechseinhalbminütige Valse gracieuse schließlich ist eigentlich der zweite von insgesamt vier Sätzen der sinfonischen Suite Leeds (1895). Obwohl German auch in diesem Falle die Bezeichnung als Sinfonie vermied, sind derartige Anklänge nicht ganz abzustreiten. Mit einem Wiener Walzer hat diese Valse wenig zu tun, eher findet sich noch ein dezenter französischer Touch, wenngleich sie im Grunde ein Musterbeispiel für den Typus des schnellen englischen Walzers darstellt. Das Stück gibt bereits eine Vorahnung auf die Melodien in Merrie England und letztlich sogar schon auf Eric Coates.
Die künstlerische Darbietung ist, wie angedeutet, tadellos und von den Tontechnikern dankenswerterweise sehr adäquat eingefangen worden. Wer nun Lust auf mehr Edward German bekommen hat, dem seien die ebenso exzellenten Produktionen von Dutton ans Herz gelegt, wo u. a. die erste Sinfonie und die komplette Leeds-Suite vorgelegt wurden. Daniel Hauser