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Wenn der Festspielsommer in Ravenna, Rom, Macerata, Torre del Lago, Verona und Martina Franca längst beendet ist, dann kann man im norditalienischen Bergamo ein ganz und gar dem Sohn der Stadt, Gaetano Donizetti, gewidmetes Festival erleben. Sein direttore artistico und Dirigent ist Riccardo Frizza, der mit dem Tenor Javier Camarena an Ort und Stelle unter dem Titel Signor Gaetano ein reines Donizetti-Programmeingespielt hat, vertrieben von Pentatone und versehen mit einem so ausführlichen wie informationsreichen Booklet. In diesem kommt der Sänger zu Wort, dessen erste einstudierte Opernpartie überhaupt der Nemorino war, der 2004 einen Wettbewerb mit den Arien von Tonio und Roberto Devereux gewann, mit Ernesto debütierte und seitdem dem Belcanto-Repertoire mit einer typischen Stimme eines tenore di grazia in der Tito- Schipa-Nachfolge treu geblieben ist. In den letzten knapp zwanzig Jahren hat die Stimme weder ein typisches Schicksal eines tenore di grazia, das des Welkens, erlitten, noch hat sie sich in ein anderes, schwereres Fach entwickelt, sondern hat sich Fische und Leichtigkeit bewahrt, ja sie perfektioniert.
Einige der Donizetti-Partien wurden für Rubini, den ersten Tenor mit einem Do di petto komponiert, wie Riccardo Frizza in einem Aufsatz beschreibt, die Partien den tenori sentimentali zuordnet, die zwar noch die Geläufigkeit eines Buffo besitzen , aber zudem auch über Poesie und Grazie verfügen müssen.
Es beginnt mit der Arie des Daniele aus Betly, in der die Qualitäten der Stimme, ein weicher Tonansatz, eine immense Geläufigkeit, ein müheloses Klettern in die Höhe hörbar werden, feine Rubati erfreuen und der Klang ein sentimentaler, aber nie ein weinerlicher ist. Bei Wiederholungen fallen die dezenten Variationen auf. Ein schwärmerisches „M’ama“ zeichnet den Nemorino von Camarena aus, ein leichter Schatten liegt auf „morir“, weit gespannte Bögen und ein ganz zarter Schluss mit „Di più non chiedo“ erfreuen in seiner berühmten Arie. Als Enrico aus Maria de Rudenz zeigt der Sänger viel vokale Energie mit einem federnden Gesangsstil, gut angebundener Höhe und sicheren Intervallsprüngen. Generös phrasiert wird Roberto Devereux‘ Abschied vom Leben, auch lässt sich nicht überhören, dass Camarenas Tenor über mehr corpo verfügt als ein Tito Schipa, dass die Stimme süffiger klingt, dabei voller Poesie und Grazie ist. Viel Geläufigkeit à la Rossini lässt er in der Arie aus Il Giovedi Grasso vernehmen. Verspielte Melancholie zeichnet den Ernesto aus, dessen Cabaletta ein strahlender Spitzenton krönt. Dem canto elegiaco verpflichtet ist die Arie des Fernando aus Marino Faliero, synkopenreich, voller Aplomb in den Höhen, mit heldischer Attacke auf „Quest‘ è l’ora“. Auch der Gerardo aus Caterina Cornaro hat eine heroische Seite, und der Enrico aus Rosmonda d’Inghilterra ermöglicht es dem Säger noch einmal, sich als akustischer Strahlemann zu präsentieren. Das Orchester Gli Originali unter Riccardo Frizza ist stilistisch perfekt auf Donizetti eingestimmt, der Coro Donizetti Opera unter Fabio Tartari sorgt ebenfalls für erfreuliche Stilreinheit (PTC 5186 886). Ingrid Wanja