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Trotz der heftigsten Corona-Turbulenzen nie aus der Ruhe und von der Gestaltung eines anspruchsvollen Programms abbringen ließ sich das alljährlich im Herbst stattfindende Donizetti-Festival der oberitalienischen Stadt Bergamo, und das Genueser Label Dynamic wird nicht müde, die Produktionen auf CD und als Video auf den Markt zu bringen. Zu ihnen gehört auch die Claudio Toscani zu verdankene neue kritische Edition von La Fille du Régiment, für Paris als opéra comique mit gesprochenen Rezitativen komponiert und den Zuschauer mit einigen Überraschungen, so einer hochvirtuosen Kadenz von Tonios Arie im zweiten Akt, konfrontierend. Diese war vom Komponisten kurz nach der Uraufführung, wohl wegen der unzulänglichen Gestaltung durch den damaligen Tenor, gestrichen worden.
Befremdlich wirkt auf den Tiroler Berge erwartenden Zuschauer erst einmal das mittelamerikanischen Einfluss suggerierende Bühnenbild von Angelo Sala, ebenso die Kostüme von Maykel Martinez in grellen Farben, beides der Tatsache zu verdanken, dass es sich um eine kubanisch(!)-italienische Gemeinschaftsproduktion handelt, die auch am Teatro Lirico Nacional de Cuba gezeigt wurde, ehe sie im November 2021 nach Bergamo kam. Es geht also nicht mehr um den Kampf des napoleonischen Heeres gegen Tiroler Bauern und Adel, sondern um den kubanischer Revolutionäre gegen die einheimische Oberschicht und deren Verbindung zu nordamerikanischen Geldgebern. So sind Soldaten und Volk nicht nur bunt gekleidet, sondern schwingen außer Harken oder Gewehr auch den Pinsel, um großflächige Gemälde à la Raul Martinez aus dem Volksleben zur Vollendung zu bringen, während die Oberschicht schwarz-weiß gewandet ist, die Kostüme reichlich mit stars and stripes wie auch Dollarzeichen versehen sind, um die Abhängigkeit von der US-Währung zu dokumentieren. Das alles verrät allerdings eine leichte, nie grobklotzig daherkommende Hand, so dass man sich als Zuschauer nie unangenehm berührt oder gar indoktriniert fühlt. Auch der zusätzliche Einsatz einer Trommel (Ernesto López Maturell) fügt sich sich gut ins Gesamtkonzept ein, und wenn am Ende nicht nur Marie und Tonio miteinander vereint werden, sondern auch la Marquise mit Sulpice klammheimlich in einen versteckten Winkel verschwindet, ist der Beweis erbracht, dass die sozialen Klassen zumindest in der Oper nicht unversöhnlich einander nach dem Leben trachten müssen, sondern eine vielleicht sogar fruchtbare Verbindung miteinander eingehen können. Irgendwie nimmt das Stück offenbachische Züge an, was sich ein wenig auch auf die musikalische Gestaltung überträgt, hat doch Dirigent Michele Spotti unmittelbar vor der Aufgabe in Bergamo dessen Musik dirigiert, und bereits die Sinfonia sprüht Esprit, Temperament und Präzision, dass das Publikum aus dem Häuschen gerät.
Vorzüglich ist die Sängerbesetzung, bei der man natürlich zuerst auf die Besetzung der Tenorpartie schaut, die den bestens aus Pesaro bekannten, aber auch sonst überall, wo Belcanto gefragt ist, hochwillkommenen amerikanischen Tenor John Osborn ausweist. Nicht nur die Spitzentöne sind tadellos, er versieht zudem die Wiederholung mit raffinierten Verzierungen und lässt sich tatsächlich, nachdem das lautstark danach geäußerte Verlangen des Publikums kein Ende nehmen wollte, auch noch zu einem Bis verleiten. Auf die Gestaltung seiner zweiten Arie mit der bereits erwähnten Kadenz hat das zum Glück keine negativen Auswirkungen, und nicht nur die wahrlich stupende Höhe, sondern auch eine farbige Mittellage und eine ungemein geschmeidige Stimmführung erfreuen neben einem burschikosen, der Partie angemessenen optischen Eindruck den Zuschauer. Entzücken ruft auch der Auftritt der farbigen Altistin Adriana Bignagni Lesca mit dem von Bizet für Carmens Habanera benutzten Musikstück von Sebastián de Yradier hervor, in dem sie satte Farben leuchten und erglühen lässt. Charmant in jeder Hinsicht ist Sara Blanch als Marie mit frischem, präzise geführtem, koloratursicherem und auch vokalen Kraftausbrüchen gewachsenem Sopran. Nicht zurückstehen will Paolo Bordogna als Suplice mit manchmal zu präpotent eingesetztem Bariton. Den Coro dell‘ Accademia Teatro alla Scala würde man eher in Asien als in Kuba vermuten, aber vokal macht er seine Sache vorzüglich. Die Optik der vom Publikum zu Recht begeistert aufgenommenen Produktion ist Luis Ernesto Donas zu verdanken, der beweist, dass man eine Opernhandlung zeitlich wie geographisch verlegen kann, ohne dem Stück Gewalt anzutun und die Zuschauer zu verärgern.
Zu DVD wie CD gehört ein informationsreiches Booklet mit der Wiedergabe eines Gesprächs, an dem Regisseur und Dirigent teilnahmen (DVD Dynamic 37943/ CD S7943). Ingrid Wanja