Teresa Berganza

.

Die sanfte Viper. Erst 24 Jahre war sie alt, als sie im Sommer 1957 beim Festival in Aix—en-Provence als Dorabella in „Cosi fan tutte“ zum ersten Mal auf der Bühne stand, inmitten eines international arrivierten Ensembles und unter der musikalischen Leitung des großen Mozart-Dirigenten Hans Rosbaud. Und sie bewährte sich königlich, die am 16. März 1933 in Madrid geborene (das oft zu lesende Geburtsdatum 1935 ist wohl falsch) und ebenda bei Lola Rodriguez de Aragón ausgebildete Maria Teresa Berganza Vargas. Eine völlige Anfängerin war sie bei diesem Debüt allerdings nicht mehr. Schon als Teenagerin hatte sie in Aufnahmen von Zarzuelas mitgewirkt, erstmalig 1951 in „Agua azucarillos y agardiente“ von Federico Chueca.  Es gab Konzertauftritte schon während der Studienzeit und unmittelbar vor dem offiziellen Start in Aix hat sie bei der RAI Milano zwei komplette Opern aufgenommen: Massenets „Don Quichotte“ in einer italienischen Version mit Boris Christoff und „L’Italiana in Algeri“ unter Nino Sanzogno.

Beide Produktionen sind noch heute als CD erhältlich. Der Rossini war zugleich Soundtrack für einen Fernsehfilm von Mario Lanfranchi, der auf Video zugänglich ist und die junge Künstlerin schon in großer Form zeigt. Die Stimme ist in allen Lagen gleichmäßig durchgebildet, mit satter Altlage und sicheren Höhen, und schon hier trifft zu, was Ivan Nagel viele Jahre später über ihre Cenerentola schrieb: „Perlenschnüre fallen aus ihrem Mund, so oft sie ihn aufmacht“. Neben den stimmlichen Vorzügen beweist sie aber an der Seite von so alten Hasen wie Sesto Bruscantini und Mario Petri auch beachtliches schauspielerisches Talent. Ihre Isabella sprüht vor Charme, ist in unaufgesetzter Weise kapriziös und kokett.

Dass es nach diesem Start mit der Karriere gleich in raschen Schritten weiterging, ist also gar nicht so erstaunlich. Im Januar 1958 gab sie ihren Einstand an der Mailänder Piccola Scala als Page Isolier in Rossinis „Conte Ory“, im Herbst desselben Jahres trat sie in Dallas an der Seite von Maria Callas in „Medea“ auf, die Gefallen an ihrer Stimme fand und sie als Adalgisa für ihre Norma gewinnen wollte (wovor sie aber zurückschreckte). Den Klagegesang der Neris gestaltet Berganza mit warmem Ton und ergreifender Anteilnahme, ohne in die Gefahr von Larmoyanz zu verfallen. Der nächste Meilenstein in der jungen Karriere war ihr Debüt an der Londoner Covent Garden Opera, wo sie unter Carlo Maria Giulinis Leitung die Rosina im „Barbier von Sevilla“ sang. Ob sie da die Aufnahme der Callas schon kannte oder ob es ihr eigener Kunstverstand war – jedenfalls setzte sie schon hier in die kleine Silbe „ma“ die ganze Dialektik der Rolle, einerseits „docile“ und „obediente“ zu sein, aber zur Viper zu werden, wenn man ihre Freiheit einschränken will.

Diese Rolle war über zwei Jahrzehnte ihr Markenzeichen, ebenso wie Cherubino, den sie konzertant erst in London, ebenfalls unter Giulini, und szenisch dann in Aix-en-Provence (unter Michael Gielen) sang. Obwohl weiblich in Stimme und Ausstrahlung, entfaltete sie in dieser Hosenrolle (sogar in schwangerem Zustand!) besonderen Reiz. In London wurden die Firma Decca und Richard Bonynge auf sie aufmerksam, der sie als Partnerin von Joan Sutherland für die Rolle des Ruggiero in „Alcina“ verpflichtete. An der Scala folgten auf den Rossini Produktionen von „Cosi fan tutte“, Cestis „Orontea“ und Purcells „Dido und Aeneas“. In Aix gab sie neben den Mozart-Partien ein eindringliches Porträt der Ottavia in Monteverdis „Poppea“ (1961), das glücklicherweise komplett auf Video erhalten ist.

Aix, Mailand und London waren also die Startpunkte für die rasch einsetzende Weltkarriere, die sie bald an die großen Opernhäuser von Wien, Buenos Aires, San Francisco, Chicago und an die New Yorker Met führte.  Neben dem runden Dutzend Opernrollen, auf die sie sich dabei klug beschränkte, erkundete sie in ihren zahlreichen Liederabenden, die von Anfang an einen wesentlichen Teil ihres Terminkalenders ausmachten, ein schier unerschöpfliches Repertoire, das nicht nur die spanischen Komponisten vom Mittelalter bis zur Gegenwart und italienische Lieder und Konzertarien vor allem aus der Barockzeit umfaßte, sondern schon relativ früh auch deutsche (Schubert, Schumann, Brahms, Wolf), französische (Fauré, Ravel, Hahn) und russische Lieder (Mussorgsky) einschloß.

Einen Höhepunkt in Berganzas an Höhepunkten nicht armen Opernkarriere stellt ohne Zweifel der Rossini-Zyklus von Claudio Abbado und Jean-Pierre Ponnelle an der Mailänder Scala (1969-73) dar, der auch auf anderen Bühnen und bei Festivals nachgespielt wurde. „Barbier“ und „Cenerentola“ erschienen zeitnah auch als Studio-Aufnahmen bei Deutsche Grammophon, vom „Barbier“ gibt es daneben auch einen Unitel-Film. Die „Italiana“ wurde leider erst Jahre später (1987) nachgereicht, nun mit Agnes Baltsa in der Titelrolle, da die Berganza über dieses Fach hinaus gewachsen war.

Mit Bizets „Carmen“, die sie 1977 in Edinburgh erstmals sang, begann ein neuer Abschnitt in der Karriere, aber auch im Leben von Teresa Berganza. Für sie, das hat sie immer wieder betont, ist Carmen der Inbegriff einer selbstbestimmten Frau, auch in sexueller Hinsicht, und kein Opfer, während sie in Charlotte in Massenets „Werther“ – eine weitere Glanzrolle ihrer Reifezeit – ein Opfer ihres gesellschaftlichen Umfelds sah. In einem sehr offenherzigen Gespräch mit Bruce Duffie in Chicago (Dezember 1984) bekennt sie, dass Carmen dazu beigetragen habe, sich von ihrem Mann, dem Pianisten Felix Lavilla, mit dem sie 20 Jahre verheiratet war und drei Kinder hatte (darunter die Sopranistin Cecilia Lavilla Berganza), zu „befreien“ und sich einem neuen Partner zuzuwenden, der kein Problem damit hatte, sich als „Mr. Berganza“ vorzustellen.

Die Edinburgher „Carmen“-Produktion war insofern eine kleine Sensation, als sowohl der Dirigent Claudio Abbado als auch seine Protagonistin mit vielen Aufführungs-Klischees aufräumten. Und die Aufnahme bei der Kritik war zunächst durchaus kontrovers. Abbados analytisch-kühle Auslegung der Partitur, in der die Klangsinnlichkeit nur eine untergeordnete Rolle spielte, und der auf äußerliche Effekte verzichtende, entspannte, fast chansonartige Gesang der Berganza erschien manchen Freunden dieser Oper gewöhnungsbedürftig. Sie entwickelte die Rolle ganz aus dem Geist der Musik heraus, die näher bei Mozart liegt als bei Mascagni. In den folgenden Jahren wuchs sie mehr und mehr in diese Partie hinein und gewann ihr zusätzliche sinnliche und dramatische Nuancen ab. An der Deutschen Oper Berlin ließ sie beispielsweise in einer Aufführung mit Franco Bonisolli (1985), die auch als privater Mitschnitt vorliegt, auch mal „die Post abgehen“.

Hört man ihre nach der Edinburgher „Carmen“ entstandenen Aufnahmen, so gewinnt man den Eindruck, dass sie nun einen betont emanzipierten, man könnte fast sagen, feministischen Blick auf die von ihr dargestellten Frauenfiguren wirft. Das spürt man schon bei ihrer sehr reifen und wissenden Zerlina in Joseph Loseys ambitionierter, aber etwas kunstgewerblicher „Don Giovanni“-Verfilmung (1978), aber auch in manchen Liedprogrammen (etwa bei Haydns Kantate „Arianna a Naxos“). Der partielle Verlust an ebenmäßiger Klangschönheit (vor allem bei den Übergängen in die Sopranlage) wird durch einen Zugewinn an Ausdruckskraft kompensiert. In den 90er Jahren zog sich Berganza dann schrittweise von der Opernbühne zurück und konzentrierte sich fast ganz auf ihre vielseitigen Liederabende. Einer davon in der Deutschen Oper Berlin ist mir in lebendiger Erinnerung geblieben, weil sie durch ihren mühelosen Vortrag den Eindruck vermittelte, als sei Singen das Leichteste von der Welt.

Die Karriere der Konzertsängerin reichte bis ins neue Jahrtausend, wo dann die pädagogische Tätigkeit einen Schwerpunkt ihrer Arbeit bildete. Ein paar sehr launige Auftritte aus dem Jahr 2008 habe ich im Netz gefunden, einen davon aus Lima, wo sie Pericholes Schwipslied mit hemmungsloser Komik zum Besten gibt und mit ihrem jahrzehntelangen Bühnenpartner, dem da schon 81jährigen Luigi Alva, sich jugendlich aufgekratzt im Zarzuela-Duo „La Rosa y El Clavel“ vereinigt. Wenige Wochen später war sie in Moskau mit Jelena Obrasztzowa in Moskau im Katzenduett zu erleben. Einen sehr nachhaltigen Eindruck hat sie auf mich im Sommer darauf bei einem Meisterkurs in Helsinki hinterlassen. Das Bühnentemperament der jetzt 76jährigen Sängerin und ihre Fähigkeit, Rossinis Koloraturketten noch immer sicher und maßstäblich vorzuführen, hatten eine suggestive Wirkung auf die zunächst blaß wirkenden Schülerinnen, die ihre Vorgaben aber quasi in Minutenschnelle umsetzen konnten. Hinreißend komisch war es, wie sie einer von ihnen die Arie der Dorabella „smanie implacabili“ gleichsam zuspielte, indem sie in stummer Aktion die Despina mimte.

Nun ist sie am 13. Mai in der Nähe von Madrid im Alter von 89 Jahren gestorben. Die Fachwelt ist sich einig, dass sie eine der ganz großen Sängerinnen des vergangenen Jahrhunderts war. Aber was hat ihre Besonderheit ausgemacht? War sie die „dezente Primadonna“, wie es in einem Nachruf des BR heißt? Provozierte sie durch Überlegenheit, wie Jan Brachmann in der FAZ meint? War sie eine Virtuosin der leisen und der Zwischentöne, wie es andernorts zu lesen ist? Oder war sie ein „Bühnentier“, wie Manuel Brug in der „Welt“ behauptet? Die Antwort lautet: sie war dies alles in einer Person. Sie vereinte scheinbar unvereinbare Gegensätze in sich, wie Rosina war sie „docile“ und „vipera“ zugleich.

Und wie bei allen dahin gegangenen Künstlern wird man sich fragen: Was wird von ihr bleiben? Sehr viel, ist die eindeutige Antwort, und das meiste wird die Zeit überdauern. Alle Phasen ihrer Karriere sind beinahe lückenlos dokumentiert. Entsprechend unüberschaubar ist ihre Diskographie, jedenfalls, wenn man alle erhaltenen Live-Mitschnitte mitrechnet. Fast die Hälfte, das ist vielleicht überraschend, machen die Aufnahmen spanischer Zarzuelas aus, die (überwiegend) beim spanischen Label Alhambra veröffentlicht, aber bei uns kaum bekannt wurden, und wo der Bariton Manuel Ausensi, Pilar Lorengar, später auch Alfredo Kraus und Placido Domingo ihre Partner sind. Hier finden wir schon viele Spuren, die auf ihre spätere Carmen und Perichole hinweisen. In ihrer ersten Blüte wurde sie bei Decca mit Gesamtaufnahmen und Recitals festgehalten, als etablierter Star war sie dann bei Deutsche Grammophon aktiv, in ihrer Reifezeit erschienen einige Dinge bei EMI, aber auch bei kleineren Firmen. Das Schweizer Label claves etwa hat ein paar interessante Lied-Programme mit ihr produziert. Und vieles, was nicht auf dem Markt ist, findet sich auf ihrer eigenen Seite bei youtube, darunter die erwähnte Berliner „Carmen“.

Im bereits zitierten Interview mit Bruce Duffie bekennt sie, dass sie ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Studio-Aufnahmen habe, ein Mikro vor der Nase hemme ihre künstlerische Spontaneität. Allerdings habe sie immer darüber gewacht, dass ihre Leistungen keinen technischen Manipulationen unterworfen wurden, wie das so oft der Fall ist. Sie sei deshalb zufrieden mit ihren Studio-Aufnahmen, aber sie ziehe Live-Auftritte vor, insbesondere Recitals, wo mehr Licht im Raum und deshalb Augenkontakt mit dem Publikum möglich sei, selbst in einem großen Haus mit 3000 Plätzen. Zuschauer seien unberechenbar wie Liebhaber. Wenn sie bemerke, dass einer unter 3000 ihrem Vortrag keine Aufmerksamkeit schenke, dann nehme sie ihn ins Visier und bearbeite ihn, bis er aufwache. Das gelte natürlich auch für Frauen, aber meistens seien es die Männer, die pennen. Ekkehard Pluta  (Foto DG)