Himmel in der Hölle

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Jahrzehntelang war sie der Inbegriff einer gelungenen Mefistofele-Inszenierung, die in den Achtzigern in Chicago entstandene Produktion von Robert Carsen, die noch 2018 an der MET gezeigt wurde und von der es nicht nur eine DVD in der ersten Besetzung mit Samuel Ramey in der Titelpartie gab, sondern mindestens noch eine weitere mit Ildar Abdrazakov. Bunt, heiter, ironisch, in Teilen wunderbar kitschig war sie anzusehen, nie langweilig und den Zuschauer in einer guten Stimmung zurücklassend. Mittlerweile wurde die Oper auch in Deutschland wieder mehrfach aufgeführt, so in Chemnitz oder Frankfurt und in einer phantastischen Besetzung der beiden Hauptpartien in München mit René Pape und Joseph Calleja in der Regie von Roland Schwab.

Als wolle sie ein Kontrastprogramm zur Carsen-Produktion bilden, in der Gold, Weiß und Bonbonfarben dominierten, die himmlischen Heerscharen mit ihren Blasinstrumenten triumphierend über Teufelslist und Höllenspuk, beginnt man in München nicht mit einem Prolog im Himmel, sondern einem solchen in der Hölle, die für alle gut sichtbar OPEN ist, später SOLD OUT, über die sich Stahlgitter wie ein unvollendeter Zeittunnel wölben und in der sich allerlei Sado-Maso-Volk tummelt und eifrig damit beschäftigt ist, Neuankömmlinge wie Faust ins Verderben zu ziehen. Schwarz ist die dominierende Farbe, Musikinstrumente scheinen demoliert zu sein, die Töne kommen von einer Schelllackplatte, die Mefistofele zum Schluss wütend zerbricht. Hat man von der Walpurgisnacht zu Recht schlimme Szenen erwartet, wird Schwangeren wie Föten übel mitgespielt, so ist auch Arkadien trotz der fürsorglichen Betreuung durch das Personal nicht angenehmer, weil ein Irrenhaus, in dem Faust eine der Wärterinnen für die Schöne Helena hält. Zwar gibt es als Verbeugung vor München eine Wies’n, doch die Feiernden hängen halbtot in den Sitzen des Kettenkarussells. Und ob Faust ein Gefallen damit getan wird, dass er in den Himmel abgeordnet wird, muss man angesichts der Optik auch bezweifeln, klingen die himmlischen Heerscharen auch noch so überzeugend.

Das Plus der DVD ist die Besetzung. René Pape ist ein attraktiver Mefistofele der allerschönsten Stimmfarben, der eleganten Phrasierung  und des engagierten Spiels. Allerdings hört man in ihm  noch mehr einen Méphistophélès als einen Mefistofele. Etwas neben sich und der Figur scheint der Faust von Joseph Calleja zu stehen, verstört vielleicht ob der Zumutungen der Regie, aber zum Glück nicht beeinträchtigt im Ausstellen seiner wunderbar timbrierten Tenorstimme, die er agogikreich in feinsten Schattierungen flexibel und einheitlich in allen Registern einzusetzen weiß. Strahlend klingt „Dai campi“, umwerfend raumfüllend sein „Elena, Elena“ und unangefochten sein Schlussgesang. Nur in „Forma ideale“ sind leichte Schwächen hörbar. Als fade Dame der Gesellschaft tritt Margherita auf, ehe sie von Faust auf dem Brocken vergewaltigt wird. In der Kerkerszene allerdings darf sie dem goetheschen Gretchen nahe sein. Der Sopran von Kristine Opolais leidet unter einem Übermaß an Vibrato, so dass „L’altra notte“ nicht ihren Zauber entfalten kann. Dröge klingt der Wagner von Andrea Borghini, angemessen füllt Karine Babajanyan ihre Rolle als Elena aus, auch wenn „Notte cupa“, wohl auch wegen des szenischen Ambientes, wenig berührt. Marta ist mit Heike Grötzinger eine der Teufelinnen und stützt in der Gartenszene. Neben dem Chor und den männlichen Protagonisten ist das Orchester unter Omer Meir Wellber mit schwelgerischen Klangwogen der beste Anwalt für Boitos von den Opernhäusern zu Unrecht stiefmütterlich behandeltes Werk (C Major 739208). Ingrid Wanja