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Mit Musicalisches Schauspiel trägt Reinhard Keisers Singspiel Ulysses, welches das Label Coviello jetzt als Live-Aufnahme auf zwei CDs veröffentlicht hat (COV 92203), eine ungewöhnliche Genrebezeichnung. Das Werk wurde 1722 in Kopenhagen anlässlich des Geburtstages von König Friedrich IV. aufgeführt, der sich darin als Befreier von Schleswig feiern lässt. Keisers Komposition ging 1703 eine von Jean-Féry Rebel voraus, die in Paris jedoch ohne Erfolg blieb, trotz des hohen Aufwandes an Bühnentechnik. Keisers Version für Kopenhagen musste die bescheideneren technischen Verhältnisse des Theaters berücksichtigen. In dieser Fassung fehlen die Götter Juno und Pallas, die es in Paris noch gab, dafür findet sich mit Cephalia und Eurilochus ein zweites Liebespaar und mit dem Diener Arpax eine komische Figur. Keiser gelang in seinem Werk eine reizvolle Kombination von französischem und italienischem Stil – und das auf den deutschen Text von Monsieur de Lesner.
Die Aufnahme gibt die Generalprobe, eine Aufführung sowie Korrekturen im Theater Nienburg vom Oktober 2021 wieder. Es musiziert das Göttinger Barockorchester unter Antonius Adamske. Schon in der pompösen Intrada mit vier Trompeten kann es mit glanzvollem Spiel aufwarten. Der Göttinger Barockchor übernimmt diese Stimmung im jubilierenden Eingangschor „Froher Tag“, kann auch im munteren Chor der Geister gefallen und feiert den glücklichen Ausgang des Geschehens am Ende mit heiteren Gesängen („Singet von Ulysses’ Siegen“/“Bringt glückliche Beyde“). Graziös spielt das Orchester im Ballett der Amouretten auf, während es den Bauerndanß des 3. Aktes zu einem melodischen Reigen formt.
Im Prolog wird der Geburtstag des Königs gefeiert, sogar Jupiter erscheint mit einem Adler vom Himmel. Der Tenor Markus Brutscher singt ihn pointiert und mit lyrischem Ton. Aus dem Meer steigt Neptunus mit seinem Dreizack in Gestalt des Baritons Janno Scheller, der in der Arie „Die Ostsee, der beschäumte Belt“ mit liedhafter Gestaltung aufwartet. Er singt auch den Titelhelden, der den 2. Akt mit zwei Arien eröffnet – „Mit Freuden Thränen“ ist munter und geprägt von Koloraturläufen, „Kann ich dich nur wieder sehen“ gleichfalls lebhaft. Insgesamt fehlt der Stimme persönliches Profil.
Der 1. Akt führt in einen königlichen Garten von Ulysses Palast in Ithaca. Urilas, der seit langem vergeblich um Ulysses Gattin Penelope wirbt, erfleht in seiner Arie „Erhebt euch“ den Untergang von Ulysses Kahn. Der Bassist Jürgen Orelly singt mit energischem Nachdruck, allerdings sehr schwerfällig in den Koloraturen.
Circe will ihm bei diesem Vorhaben behilflich sein. Der Countertenor Gerald Thompson ist eine Entdeckung. Die Stimme schmeichelt, lässt mühelose Koloraturläufe hören und betört später auch in einer Arie der Amourette „Diesen Blumen“. Den 1. Akt beendet ein furioses Duett zwischen Circe und Urilas „Auff, auff zur Rache“, in welchem sich die Stimmen gut verblenden, der Counter aber doch dominiert. Hinreißend trumpft er im Duett mit Ulysses am Ende des 2. Aktes („Erzittre“) auf und auch in der Arie des 3. Aktes („Ich eile die Pfeile der Rache zu wetzen“) vermag er mit einem Koloraturfeuerwerk zu imponieren. Circes Hass gilt Penelope, weil diese ihr Ulysse entzogen hat.
Dann tritt Penelope auf, in Begleitung der vornehmen Ithacierin Cephalia und stets in Gedanken an ihren Gatten. Bogna Bernagiewicz singt sie in der Auftrittsarie „Süßer Ursprung meiner Ruh“ recht schmalstimmig, die nachfolgende Arie mit lieblichen Trillern, virtuosen staccati und melancholischer Einfärbung überzeugt eher. Sie erklingt in zwei Versionen („Nachtigall im Geäst“/„Du angenehme Nachtigall“) und auch in einer italienischen Variante („Usignuol tra rami“) von Giuseppe Maria Orlandini. Von diesem Komponisten gibt es im 3. Akt noch eine dramatisch bewegte Arie („Tu che scorgi“), in der die Interpretin den stärksten Eindruck hinterlässt. Das Accompagnato furioso „Darum zerschmettre mich“ wirkt dagegen unterbelichtet. Die Sopranistin Francisca Prudencio singt die Cephalia beherzt.
Der Schauplatz wechselt zu einem Wald am Meer unweit des Palastes mit dem Tempel der Juno in der Ferne. Ulysses Schiff legt an, in seiner Arie „Mit Freuden Thränen“ gibt der Held seinem Glücksgefühl, wieder an Land zu sein, Ausdruck. Begleitet wird er von Arpax, den der Tenor Goetz Philip Körner solide singt. Vor allem mit zwei Fassungen einer munteren Wein-Arie („Du süsser Saft der Reben“/“Ein Gläßgen Wein“) kann er erfreuen. Im Palast der Circe sehen sich Penelope und Ulysse wieder, aber die Eheleute sind entfremdet, überhäufen sich mit Vorwürfen über die vermeintliche Untreue des Partners.
Zu Beginn des 3. Aktes sieht man Cephalia und Eurilochus (Markus Brutscher hier mit bemühten Koloraturen) in einem Wald nahe Ithaca in Liebe vereint. Davon kündet ihr Duett „Schönster Engel“, in welchem sich die Stimmen glückselig umschlingen. Penelope und Ulysses aber finden sich erst, nachdem Mercurius (Goetz Philip Körner) einen Anschlag der eifersüchtigen Circe auf Penelope vereiteln konnte. Im Duett „Lass dich hertzen“ feiern sie ihr neues Glück. Im Epilogus tritt die Zeit (Jürgen Orelly) mit Sense und Sanduhr auf, erinnert an die Sterblichkeit allen Lebens und huldigt noch einmal König Friedrich. Der Chor fällt mit „Es lebe Friederich“ ein. Bernd Hoppe