Ah Paris!

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Benjamin Bernheims Debütalbum von 2019 lässt die Deutsche Grammophon nun eine neue CD mit dem Tenor folgen, die im April des vergangenen Jahres in Bologna aufgenommen wurde (4861964). Sie ist von besonderem Interesse, denn mit ihrem Motto Boulevard des Italiens widmet sie sich jenen Werken, welche populäre italienische Komponisten für berühmte Opernhäuser in Paris – die Grand Opéra, die Opéra-Comique, das Théâtre des Italiens, das Théâtre de la Renaissance – geschrieben haben. Dass der Palazzetto Bru Zane bei diesem Projekt mitwirkte, unterstreicht die stilistische Kompetenz der Veröffentlichung. Dafür verwundert die Verpflichtung des Orchestra del Teatro Comunale di Bologna, denn ein französischer Klangkörper hätte das Klangbild mit Sicherheit noch idiomatischer werden lassen. Aber immerhin steht mit Frédéric Chaslin wenigstens ein Franzose am Pult des Orchesters. Wichtigstes Argument für die Bedeutsamkeit der Platte ist natürlich, dass der Gesangssolist selbst Franzose ist. Zweifellos besitzt Bernheim eine der schönsten Tenorstimmen unserer Zeit und ist zudem stilistisch im lyrischen französischen Repertoire derzeit konkurrenzlos. Davon zeugt auch die neue Platte, welche mit Pinkertons Arie „Adieu, séjour fleuri“ aus Madame Butterfly beginnt. Die von Paul Ferrier übersetzte und von Puccini überwachte Fassung kam am 28. Dezember 1906 zur Premiere. Für Bernheim ist es ein effektvoller Einstieg mit emphatischer Stimmgebung. Mit Tosca steht auch ein Werk dieses Komponisten am Schluss der Auswahl. Wieder stammte die Übersetzung von Ferrier und wieder war die Opéra-Comique der Ort der Erstaufführung (13. Juni 1898). Zu hören ist Cavaradossis Arie aus dem 1. Akt „Ô de beautés égales, die in ihrem schwärmerischen Nachdruck die Platte hinreißend abschließt.

Die Ausschnitte von Gaetano Donizetti stammen aus Opern, die explizit für Paris entstanden und dort 1840 bzw. 1843 uraufgeführt wurden. Aus La Fille du régiment hat Bernheim die Romance des Tonio, „Pour me rapprocher de Marie“, ausgewählt. Hier kann er gleichermaßen leidenschaftliches Gefühl wie delikate Nuancen hören lassen. Aus La Favorite ist die Cavatine des Fernand, „Ange si pur“,  zu hören, in der es vor allem auf schwärmerischen Ausdruck ankommt. Neben diesen zwei träumerischen Titeln ist das Air des Titelhelden aus Dom Sébastien („Seul sur la terre“) bei aller schwelgerischen Emphase auch ein Bravourstück, das dem Sänger nicht weniger als drei hohe C’s im forte und ein Des dolce abverlangt. Bernheim kann hier vor allem seine perfekt funktionierende voix mixte demonstrieren.

Auch Giuseppe Verdi schuf Werke für die Opéra. Das erste war eine Umarbeitung seiner frühen Komposition I Lombardi, die nun den Titel Jérusalem trug. Das Air des Gaston, „Je veux encor entendre ta voix“, wird am Schluss von einem hohen C gekrönt, das Bernheim mit strahlender Stimme absolviert. Don Carlos, uraufgeführt 1867, war der Höhepunkt im französischen Opernschaffen des Komponisten und gleichzeitig auch im Genre der Grand opéra. Zu hören sind die wehmütige Cavatine des Titelhelden, „Je l’ai vu“, in der Bernheim feine Kopftöne hören lässt, und das berühmte Duo mit Rodrigue, „Dieux, tu semas dans nos âmes“, bei dem der Bariton Florian Sempey mitwirkt und durch seine markige Stimme und idiomatische Interpretation viel zur Wirkung des Titels beiträgt. Zwölf Jahre zuvor kam Verdis Grand opéra Les Vêpres siciliennes heraus. Die Cavatine des Tenors aus dem 4. Akt, „Ô jour de peine et de souffrance“, bekam ab 1863 eine neue Gestalt in Form von „Ô toi que j’ai chérie“, für die sich Bernheim entschieden hat. Deren Melancholie trifft er sehr eindrücklich und meistert auch die trancehafte Steigerung imponierend. Mit der Scène des Giorgio, „Amica! Vous restez à l’écart/Pourquoi garder ce silence obstiné“, aus Pietro Mascagnis Amica, entstanden auf einen original französischen Text von Paul de Choudens und uraufgeführt 1905 an der Opéra de Monte-Carlo, hat Bernheim sogar noch eine veritable Rarität ins Programm aufgenommen. In ihrem veristischen Stil stellt sie für den Sänger einen Ausflug in ungewohnte Gefilde dar, verlangt sie doch eine verschwenderische Fülle des Tones und strömenden Fluss der Stimme. Hier steuert auch das Orchester überzeugende Momente bei.

Schließlich finden sich auf der CD noch zwei Komponisten, die Ende des 18. Jahrhunderts die Vorherrschaft im Pariser Opernleben hatten. Gaspare Spontini sorgte mit La Vestale (Uraufführung: 1807) für den Wechsel vom klassizistischen zum romantischen Stil. Bernheim hat daraus das Air des Licinius, „Julia va mourir!“ ausgewählt, das ihm in seiner dramatischen Dimension heroischen Ausdruck abverlangt. Spontinis Konkurrent war Luigi Cherubini, aus dessen selten zu hörendem Werk Ali-Baba, ou les Quarante Voleurs der Prologue und die Romance des Nadir erklingen. Die Partie wurde von der Tenorlegende Adolphe Nourrit kreiert, womit sich ihr extremer Anspruch an die Gesangskunst des Interpreten erklärt. Mehrfach ist das hohe C gefordert und Bernheim brilliert hier in imponierender Manier. Bernd Hoppe