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Viel für das Ballett und sinfonische Werke wie Kammermusik hat der französische Komponist Albert Roussel geschrieben, auch einige Lieder, aber erst in seinen letzten Lebensjahren wagte er sich an ein Bühnenwerk für Stimmen, von ihm Operetta genannt, in den Jahren 1932/33 entstanden, 1936 in tschechischer Sprache in Olomou uraufgeführt, 1937, in seinem Todesjahr, auch in französischer Sprache an der Opéra-Comique Paris, beide Male als Dreiakter, während auf Wunsch der Witwe in den Sechzigern die einzelnen Teile zu einem Einakter zusammengefügt wurden. Mit dieser Version von Le Testament de la Tante Caroline hat der Hörer es auch mit der Aufnahme durch das Orchestre des Frivolités Parisiennes unter dem Dirigenten Dylan Corlay zu tun. Das Libretto des Werks stammt von Nino (Pseudonym für Michel Veber), einem Freund des Musikers, und die Geschichte basiert auf einer bekannten Novelle Guy de Maupassants, L’Héritage, in der von einer an eine unmoralische Bedingung geknüpften Erbschaft die Rede ist. Bei Roussel erben drei Schwestern gemeinsam ein beträchtliches Vermögen von 40 Millionen Franc, dazu Juwelen und Land, allerdings an eine Bedingung geknüpft: Innerhalb eines Jahres muss eine von ihnen ihrerseits einen Erben vorweisen können, sonst geht die Erbschaft an die Heilsarmee. Das erweist sich als schwierig, denn zwei der Schwestern sind seit geraumer Zeit kinderlos verheiratet, während die dritte eine angesehene Position in einem Kloster einnimmt. Das Jahr ist fast vergangen, Betrugsversuche mit Adoptivkindern werden aufgedeckt, das Erbe ist fast verloren, als sich in letzter Minute herausstellt, dass die Klosterfrau ein uneheliches Kind hatte, das adoptiert wurde und im Haus der Tante als Chauffeur Noël gearbeitet hat.
Der Einakter dauert gut eine Stunde, von der die meiste Zeit für gesprochene Dialoge draufgeht. Wenn gesungen wird, dann meistens im Ensemble, und da es kein Textbuch gibt, ist es für Nichtfranzosen recht schwierig, der Geschichte zu folgen. Das Orchester klingt bereits im Vorspiel vollmundig und süffig, flott und geschmeidig und scheint sich in der ersten Szene über die geheuchelte Trauer über den Tod der Tante lustig zu machen. Ansonsten gibt es viel aufgeregtes Geschnatter, an dem sicherlich Muttersprachler ihre Freude haben können. Solostücke sind nur der Magd Lucine vergönnt, der Marie Perbost einen pikanten, spitzzüngigen Charme verleiht, Béatrice, die schließlich glückliche Mutter, für die Marie Lenormand süße, zarte Mezzotöne hat und
Maītre Corbeau (!), dem Till Fechner eine heisere Sprechstimme und eine autoritäre Singstimme zuordnet. Auch der junge Noel kann sich mit einem hellen, prägnanten Tenor, dem von Fabien Hyon, zu Wort melden. Mit einem Textbuch, vielleicht sogar mit einer englischen Übersetzung, in der Hand könnte man dem sicherlich vergnüglichen Werk noch mehr abgewinnen (Naxos 8.660479). Ingrid Wanja