Gelungenes Plattendebüt

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Die Mezzosopranistin Alice Lackner habe ich vor neun Jahren in einer Meisterklasse von Brigitte Fassbaender in Bayreuth, wo ich in beratender Funktion für die Junge Musiker Stiftung tätig war, mit Liedern von Brahms und Wolf zum ersten Mal gehört. Damals war sie 21 und seit vier Jahren in der Ausbildung. In meinem Bericht für Manfred Jung, den künstlerischen Leiter der Stiftung, habe ich seinerzeit notiert: „In allen Fällen ist mir neben einer gewissen Musikalität ein persönlicher, von Herzen kommender Ton positiv aufgefallen. Das läßt für ihre weitere Entwicklung hoffen.“

In der Zwischenzeit hat Alice Lackner nicht nur ihr Gesangsstudium erfolgreich abgeschlossen, sondern auch ein Studium der Soziologie absolviert und ist neben ihren sängerischen Auftritten auch wissenschaftlich für das ZOis (Zentrum für Osteuropa und internationale Studien) in Berlin tätig. Einige ihrer musikalischen Aktivitäten (in Rheinsberg und mit dem von ihr gegründeten Trio meZZZovoce) habe ich in den letzten Jahren auf youtube mit Interesse verfolgt. Trotzdem war ich jetzt von ihrem Debüt-Album bei GENUIN classics sehr positiv überrascht. Es ist schon vom Programm her originell und profitiert zusätzlich von der glücklichen Wahl ihrer Klavierbegleiterin Imke Lichtwark, die mir vorher kein Begriff war.

Das Album Ernsthaft?!, das den Untertitel „Witz und Wahn in Liedern von Zemlinsky, Schönberg und Daigger“ trägt, stellt das Berliner Kabarett „Überbrettl“ ins Zentrum. Es wurde von Ernst von Wolzogen (übrigens dem Librettisten von Richard Strauss’ Feuersnot) 1901 gegründet und war das erste literarische Kabarett, dem im frühen 20. Jahrhundert weitere folgten. Den Begriff hat Otto Julius Bierbaum geprägt, der in seinem Roman Stilpe mit Blick auf Nietzsche ankündigte: „Wir werden den Übermenschen auf dem Brettl gebären!“ Neben Bierbaum waren Autoren wie v. Liliencron, Dehmel, Schnitzler, Wedekind und Morgenstern für das neue Etablissement tätig. Oscar Straus war der musikalische Leiter des Theaters. Bei einem Gastspiel im Wiener Carltheater noch im Gründungsjahr zeigte sich der dortige musikalische Leiter Alexander von Zemlinsky derart begeistert von dem Unternehmen, dass er die beiden Brettl-Lieder In der Sonnengasse und Herr Bombardil schrieb. Sein Schüler und Freund Arnold Schönberg tat es ihm mit acht weiteren Liedern gleich und wurde von Wolzogen für Berlin als Kapellmeister unter Vertrag genommen.

Die beiden Zemlinsky-Lieder und vier von Schönbergs Beiträgen zum Brettl-Genre (darunter ein Langsamer Walzer auf einen Text von Emanuel Schikaneder) sind in dem Recital von Alice Lackner und Imke Lichtwark zu hören und sie haben, obwohl sie ja sehr ihrer Zeit verhaftet sind,  im pointierten Vortrag der beiden Künstlerinnen auch nach über hundert Jahren keinen Staub angesetzt. Eine Brücke zur Gegenwart schlägt Sven Daigger (* 1984), der hier mit Windgespräch (2013, auf einen Text von Christian Morgenstern) und dem vierteiligen Vereinsamt (2020/21, Text: Friedrich Nietzsche) vertreten ist sowie – gleichsam als „Hinausschmeißer“ – dem witzigen Arno-Holz-Song Abfertigung. Die beiden letztgenannten Titel wurden hier erstmals eingespielt. Daigger arbeitet mit musikalischen Zitaten (Brahms, Schubert) und verdoppelt die Gesangsstimme mit elektronischen Zuspielungen. Die Sängerin kann hier die Möglichkeiten ihres hellen lyrischen Mezzos und ihre Ausdrucksfähigkeit voll ausreizen.

Ganz ernsthaft, ohne jedes Fragezeichen, beginnt das Programm mit Zemlinskys Sechs Gesängen nach Gedichten von Maurice Maeterlinck op. 13, in den Jahren 1910-13 erst in einer Klavierfassung komponiert und später auch in eine Orchesterversion gebracht. Symbolistische Dichtungen, die teils offen, teils verklausuliert um das Thema Tod kreisen. Auch wenn die Übersetzung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski gelegentlich sehr frei mit dem Original umgeht, wird der Geist der Dichtung in Zemlinskys sehr dichter und harmonisch abwechslungsreicher Vertonung lebendig und Sängerin wie Pianistin treffen die Dämmerlicht-Stimmungen mit ihrem intimen Vortrag bewundernswert gut.

Diese Intimität erreichen sie auch in der Wiedergabe von Schönbergs Vier Liedern op. 2, die der junge Komponist 1899 in einem gemeinsamen Sommerurlaub mit Zemlinsky im niederösterreichen Payerbach begann und in den folgenden Monaten vollendete. Drei Gedichte aus Richard Dehmels erotischem Zyklus Weib und Welt und ein Text von Johannes Schlaf (Waldsonne) trafen wohl den damaligen Gefühlszustand Schönbergs, der noch ganz auf den Spuren der Spätromantik wandelte, und sich gerade in Zemlinskys Schwester Mathilde verliebt hatte, die später seine Frau wurde. Alice Lackner findet für diese Lieder den richtigen Ton zwischen Emphase und sachlicher Gelassenheit und Imke Lichtwark, eine sensible Poetin am Klavier, webt Klanggirlanden voller Zärtlichkeit.

Das Booklet dieses empfehlenswerten Debüt-Albums enthält die Liedtexte, sachkundige und gut geschriebene Werkeinführungen der Sängerin und ein aufschlussreiches Gespräch mit dem Komponisten Sven Daigger (GENUIN classics GEN 21758). Ekkehard Pluta