Kein lieto fine auf Kreta

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Cmajor/UNITEL bringt eine Aufführung von Mozarts Idomeneo vom Februar 2019 aus der Wiener Staatsoper auf Blu-ray Disc heraus (760304). Der dänische Regisseur Kasper Holten gab mit dieser Produktion, einer Mischung aus Münchner und Wiener Fassung, sein Debüt im Haus am Ring. Er wollte das Dramma per musica als die traumatische Erinnerung von Menschen, die einen Krieg erlebt haben und nach einem Neuanfang suchen, inszenieren.

Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper steht Tomás Netopil, der den dramatischen Konflikt des Stückes schon in der Overture mit spannungsgeladenen Akzenten auffächert und auch danach wirkungsvolle Akzente setzt. Holten lässt auf dem Bühnenboden von Mia Stensgaard, der eine Landkarte zeigt, Idomeneo mit seinem kleinen Sohn Idamante in väterlich besorgter Zuneigung erscheinen, umringt von hölzernen Figuren, die Weihnachtsengeln und Spielzeugsoldaten ähneln. Zu Beginn der Handlung hängen Personen gefangen in der Luft, darunter auch Ilia in einem plissierten Gewand, die ihr Rezitativ „Quando avran fine ormai“ in luftiger Höhe singen muss. Auf Geheiß wird sie herunter gelassen, so dass Valentina Nafornitá die erste Arie, “Padre, germani“, auf sicherem Boden absolvieren kann. Sie lässt einen lyrischen Sopran von hoher Kultur, aber auch starkem Engagement hören. In ihrer zweiten Arie, „ Zeffiretti lusinghieri“, demonstriert sie feine Valeurs  und dominiert zudem das Duett mit Idamante im 2. Akt („S’io non moro“), denn Rachel Frenkel besitzt für die Hosenrolle kaum androgynen Klang, tönt recht anonym und in der Tiefe flach. Intensität im Vortrag kann man ihr freilich nicht absprechen, wie es schon die Auftrittsarie „Non ho colpa“ beweist. Auch dem zweiten Solo, „Il padre adorato“, fehlt es nicht an Attacke und Fluss der Koloratur. Das Rondo „Non temer“ singt sie dagegen bemüht, und der sopranige Klang der Stimme wirkt wiederum sehr feminin. Elettra, die dritte weibliche Hauptrolle, wird von Irina Lungu wahrgenommen. In einer grünen, reich ornamentierten Robe (Kostüme: Anja Vang Kragh) wirkt sie matronenhaft, gewinnt ihrer Stimme aber hysterisch flammende Facetten ab und bewältigt auch die anspruchsvollen Koloraturpassagen beachtlich. Mit reicher Lyrik stattet sie die Arie „Idol mio“ aus, während ihr das cavallo di battaglia, die bravouröse Arie „D’Oreste, d’Aiace“, mit dramatischem Aplomb und gestochenen Koloraturkaskaden imponierend gelingt.

Der Chor der Wiener Staatsoper (Einstudierung: Martin Schebesta) singt engagiert, sorgt mit dem Chor „Pietà! Numi, pietà“ vor Idomeneos Auftritt für starke Wirkung. Bernard Richter leiht dem Titelhelden seinen Tenor, dem es vielleicht noch an Reife fehlt für diese Rolle, der aber mit seiner hohen Gesangskultur für sich einnimmt. Den Prüfstein der Partie, die Arie „Fuor del mar“, absolviert er nach einem autoritären Rezitativ („Qual mi conturba i sensi“)  trotz einiger verwischter Koloraturen zuverlässig. Den König begleiten durch Brandwunden und andere Kriegsverletzungen furchtbar entstellte Menschen. In diesen Szenen finden sich die traumatischen Kriegserlebnisse wieder. Im 3. Akt finden die Aktionen vor einer Statue des Idomeneo statt, die am Ende gestürzt wird. Abgesetzt wird auch der König und in den Abgrund verbannt, wo er zusammen mit den Kriegsopfern verbleiben muss – ein starker Kontrast zum jubelnden Schlusschor „Scenda Amor“ und deutliche Abgrenzung zum lieto fine. Das intensive Agieren der Protagonisten verschafft der Aufführung die gebotene Spannung, was das Wiener Publikum am Ende lautstark honoriert. Bernd Hoppe