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Für Polen mag es ein denkwürdiges Ereignis sein, die ursprüngliche, die Vilnius-Fassung von Moniuszkos Meisterwerk Halka aus dem Jahre 1848, der konkurrenzlosen polnischen Nationaloper, zu erleben, der Mittel- oder West-, gar Südeuropäer dürfte recht unbeeindruckt davon bleiben. Zwar gab es nach dem Zweiten Weltkrieg geradezu eine Schwemme von Halka-Aufführungen in den „sozialistischen Bruderländern“, begünstigt auch durch die sozialkritische Handlung, inzwischen ist Halka zwischen Frankfurt Oder und Lissabon eine eher selten anzutreffende Oper. Wer aber die gängige spätere Warschauer Fassung von 1858 kennt, dem wird auffallen, wie viel kürzer (allein anstelle der vier nur zwei Akte), straffer und die Handlung konsequent vorantreibender die Urfassung ist, dass Folkloristisches, gar Tänze der Landbevölkerung, oder die Bravourarie des Tenors und sonstige lyrische Momente fehlen, und der Verfasser des sehr informationsreichen Booklets meint, es würden einfach alle den Polen so teuren Hits aus dem Werk nicht anzutreffen sein. Diese trugen natürlich dazu bei, dass die traurige Geschichte vom verführten Bauernmädchen, das von seinem adligen Liebhaber verlassen wird und den Tod in den Fluten sucht, nachdem sein Kind bereits verhungert ist, an tragischer Konsequenz durch visuelle und akustische Opulenz etwas verlor, während die stringente Urfassung im Revolutionsjahr 1848 von besonderer Brisanz war, das Stück auch nur in privatem Kreis im Hause Müller, der Schwiegereltern des Komponisten, konzertant aufgeführt werden konnte. Erst 1854 fand die erste szenische Aufführung der zweiaktigen Fassung im Wilnaer Theater statt. Dem polnischen Publikum, das seine opulente Warschauer Fassung liebt, wird man die karge Vilnius Version kaum schmackhaft machen können, aber der unvoreingenommene Neuhörer könnte durchaus Geschmack finden an der ohne Schnörkel und musikalischen Putz auskommenden tragischen Geschichte in ihr angemessener Vertonung, dazu noch mit einem vorzüglichen Orchester, der Capella Cracoviensis unter Jan Tomasz Adamus, auf historischen Instrumenten.
Diese beginnen rasant und feurig, unterstreichen den harten, frischen Charakter der Urfassung voll musikalischen Elans und finden zu fast kammermusikalischem Klang in der Begleitung der Solisten. Ein Glücksfall ist auch die Halka von Natalia Rubiś, die einen klaren, reinen Sopran mit feinem Vibrato für die Titelpartie einsetzen kann. Der Sopran zeigt manchmal Anklänge an eine Naturstimme, klingt im 2. Akt wie entrückt und voller Melancholie, ehe in der Schlussszene Schärfe als Gestaltungsmittel eingesetzt , Wahnsinn hörbar gemacht wird. Auch der zweite Sopran, Michalina Bienkiewicz, mit dem sich die standesgemäße Braut des ungetreuen Liebhabers, Zofia, zu Wort meldet, besticht durch filigrane Zartheit, feine Koloraturen und Wärme. Recht dumpf und verhangen und im Duett weniger präsent als der Sopran zeigt sich der Bariton von Sebastian Szumski, der den Adelsspross Janusz singt. Den treuen Jontek, der Halka nicht vom Selbstmord zurückhalten kann, gibt Przemyslaw Borys mit dunkel getöntem, recht metallisch klingendem Tenor. Angemessen füllen die beiden Bässe PrzemysƗaw Józef BaƗka und Marek Opaska die Väterrollen aus. Der Chor weiß Mitleid und erzwungenen Jubel gleich ausdrucksstark zu Gehör zu bringen. Zum Nachdenken regt die Frage an, warum Halka, die nicht wie ledige Mütter der damaligen Zeit aus der Gesellschaft verstoßen, sondern von ihr bemitleidet wird, keinen Ausweg als den des Freitods sieht. Da dürfte eine der vermuteten Quellen für das Libretto, in dem Halka von Visionen heimgesucht wird, von vornherein als gefährdet erscheint, sich manifestieren (2CD DHM 19439900842). Ingrid Wanja