Buchstabengerechte Werktreue ist nicht die Zielsetzung von Christof Loys Inszenierungen und doch atmen sie oft im völlig werkfremden Ambiente den Geist von Musik und Libretto, so auch die Rusalka aus dem Madrider Teatro Real, in der es weder Mondlicht noch geheimnisvolle Gewässer gibt, sondern als Bühne von Johannes Leiacker den Eingangsbereich eines Theaters, in das inzwischen erstarrte Lava eingedrungen ist, an deren Kasse die Ježibaba sitzt und dessen Direktor der Wassermann sein könnte. Eine Ballettaufführung scheint die letzte Vorführung in diesem Haus gewesen zu sein, Tänzerinnen im entsprechenden Schuhwerk tummeln sich noch im verlassenen Gebäude, nur Rusalka kann sich nicht dazu gesellen, weil sie einen verletzten Fuß hat. In die Irre geführt allerdings wird der Zuschauer, wenn er in dem auf Krücken herum humpelnden Prinzen eine weitere Inszenierungsidee vermutet, denn die sind einem Unfall des Tenors Eric Cutler zu verdanken. Rusalka aber tauscht gesunde Beine gegen die Fähigkeit zu sprechen ein, und nach diesem Zauberakt zeigt die Sängerin Asmik Grigorian beeindruckende Fähigkeiten im Spitzentanz, der auch im zweiten Akt von der Hochzeitsgesellschaft praktiziert wird, allerdings nicht in kühl klassischem Stil, sondern als wilde Sexorgie, die die zarte Wassernymphe verstört. Verfremdet erscheinen die Figuren aus der realen Welt wie Jäger und Förster, realitätsnah die aus der Märchenwelt wie Wassermann und Hexe. Damit scheint die Oper, was ihr Personal betrifft, auf den Kopf gestellt zu sein, aber es bleibt die Spannung zwischen beiden Ambienti erhalten. Die Natur ist bis auf ein totes Reh im letzten Akt ausgespart.
Höchstkarätig sind die Frauenrollen besetzt. Asmik Grigorian erfüllt schon einmal alle Anforderungen, was die optische Attraktivität betrifft, eine schöne, schlanke, überaus ausdrucksvolle Rusalka, die auch die andauernde Großaufnahme ihres Gesichts gut verträgt. Der kühle, keusch klingende Sopran ist von schönem Ebenmaß, die dramatischen Ausbrüche erscheinen fein kontrolliert, die Piani gut gestützt, deliziös klingt das berühmte Lied an den Mond, und am Ende fließen sogar echte Tränen um den toten Prinzen. Was der Stimme an Frische fehlen mag, das gleicht Karita Dalayman als Hexe Ježibaba durch Intensität optischer wie vokaler Natur aus, trotz der modernen Gewandung, im dritten Akt sogar mit Pelz, was nun wieder gar nicht modern ist, vermag sie sich mit Geheimnisvollem zu umgeben. Karita Mattila, einst selbst eine gute Rusalka, ist die Fremde Fürstin und hat sich die tief liegende Partie vollkommen zu eigen gemacht. Natürlich mit zwei Krücken darstellerisch sehr gehemmt ist der Prinz von Eric Cutler, der Probleme in der Höhe hat und insgesamt wegen seines anonymen Timbres mit den Damen nicht mithalten kann. Ganz anders der Wassermann von Maxim Kuzmin-Karavaev, dessen sonore, weich und zärtlich klingende Stimme eine Wohltat ist. Charaktervoll klingt der Förster von Manel Esteve, einen schönen lyrischen Bariton hat der Jäger von Sebastià Peris, frisch klingt der Küchenjunge von Juliette Mars. Wunderschön sind die drei Nymphen Julietta Aleksanyan, Rachel Kelly und Alyona Abramova und singen dazu noch quellfrisch und kristallklar. Dieses Trio ist dazu angetan, weniger glamouröse Debütantinnen zu entmutigen. Ivor Bolton am Dirigentenpult wird sowohl dem naturnahen Märchenzauber der Musik wie der Dekadenz der Optik mit einfühlsamem Dirigat gerecht (C Major 2 DVD 759508). Ingrid Wanja