Man sollte beides genießen: die Live-Aufführung des Rosenkavaliers in der Berliner Staatsoper wie die Videoaufzeichnung davon, denn wenn die erstere den Zuschauer schier atemlos in der Bewunderung von Formen und Farben des opulenten Bühnenbilds von Xenia Hausner , der phantasievollen Kostüme von Arthur Arbesser zurücklässt, bereichert ihn die letztere durch das Geschick des Video Directors Felix Breisach, die handelnden Personen aus der Überfülle der optischen Reize herauszudestillieren, das Stück zum bitter-süßen Kammerspiel werden zu lassen.
André Heller, selbst noch relativ unerfahren in der Opernregie, hatte sich als Co-Regisseur den auf der DVD unterschlagenen Wolfgang Schilly an die Seite geholt, und gemeinsam gelingt es ihnen durch eine einfühlsame Personenregie, japanisches Schlafgemach, neureiches Stadtpalais mit Klimt samt Entourage und orientalisches Palmenhaus aus dem letzten Jahr der Donaumonarchie zum Hintergrund für menschliche Emotionen, Tragödien wie Komödien werden zu lassen. Ideal wie auch in der Live-Aufführung dank des einfühlsamen Dirigats von Zubin Mehta ist die Ausgewogenheit von Orchester- und Stimmklang, nie werden die Sänger zugedeckt, sie haben alle Zeit, kostbare Stücke wie den Monolog der Marschallin im 1. Akt zu entwickeln, Textverständlichkeit wird nicht der Opulenz des Orchesterklangs zum Opfer gebracht und Regisseurseitelkeit strebt nicht danach, das Vorspiel zum 3. Akt zu „inszenieren“. Bei diesem hat der Zuschauer auch die Gelegenheit, die sympathische, zurückhaltende Art des Dirigierens zu beobachten, zu sehen und zu hören, wie elegante Duftigkeit und üppiger Glanz aus sparsamer Zeichengebung erwachsen.
Fast fünf Stunden dauert die Aufführung ohne Striche, also auch mit dem brutal-selbstverliebten Bericht des Ochs von Lerchenau über seine Art, sich die Mägde seines Guts gefügig zu machen. Da dürfte der Zuschauer hin- und hergerissen sein zwischen Abscheu angesichts der mitleidslosen Brutalität verbunden mit dem Charme, den Günther Groissböck der hier durchaus zwielichtigen Figur zu verleihen versteht, verbunden mit einer so schlank geführten wie bis in die tiefsten Tiefen hinunter höchst präsenten Bassstimme.
Eine nicht nur wegen ihrer phantastischen Kostüme höchst attraktive Marschallin ist Camilla Nylund mit schlankem, kühlem Sopran und unendlich vielen vokalen Facetten wie des feinen Tongespinsts „Rose“ am Schluss des 1. Akts, des akustischen Schleiers über „vorbei“ im 3. Akt. Nicht zu soubrettig ist die hübsche Sophie von Nadine Sierra, eher ein lyrischer Sopran, der den Wandel der Klosterschülerin zur selbstbestimmten jungen Frau glaubwürdig machen kann. So androgyn der Mezzosopran von Michèle Losier klingen kann, wenn sie Männerhosen trägt, so herrlich süffig hört sich ihr Mariandl an, kann sie auch darstellerisch die doppelte Brechung von einer Frau, die einen Mann darstellt, der eine Frau spielt, vermitteln. Roman Trekel ist der neureiche Faninal im Goldanzug und mit kultiviertem Gesang. Anna Samuil ist mit der Leitmetzerin im Charakterfach angekommen. Karl-Michael Ebner und Katharina Kammerloher singen und spielen rollengerecht Valzacchi und Annina, das Intrigantenpaar. Atalla Ayan bemüht sich um Tenorglanz als Italienischer Sänger. Daneben gibt es viele, viele durchweg gut besetzte Rollen, die leider auf der Rückseite der Videokassette ohne Booklet nicht aufgeführt sind und die man doch dankbar für die wunderbare Aufführung lobend erwähnt hätte. Aber vielleicht ist das nur bei dem Besprechungsexemplar so. Festzustellen bleibt, dass man in den letzten Jahrzehnten selten so glücklich aus einem Opernhaus kam oder einen Videorecorder abschaltete wie nach dem Genuss dieser Aufführung (Arthaus 109445). Ingrid Wanja