Belcanto mit Corona-Masken

 

Ausnahmsweise nicht aus Bergamo, sondern aus Florenz stammt die Aufnahme von Donizettis Linda di Chamounix, und zwar aus diesem Jahr mitten in einer Corona-Welle, sodass nicht nur Dirigent und Orchester, mit Ausnahme natürlich der Bläser, Masken tragen, sogar der Chor, der wohl deswegen oft nur wie aus einem Scherenschnitt stammend am Horizont erscheint. Immerhin wirkt das Ganze nicht allzu verstörend, da im Orchester die Masken in Schwarz gehalten sind und fast wie ein modisches Accessoire passend zum gleichfarbigen Frack erscheinen.

Neben Stilisiertem findet sich in der Inszenierung von Cesare Lievi auch Naturalistisches, so ein Häufchen Sand, dass man schön durch die Finger rieseln lassen kann. Zu Ersterem allerdings ist die Bühne von Luigi Perego zu zählen, der im zweiten Akt den Aufenthaltsort Linas in Paris nur andeutet, im ersten und letzten Akt den Schreibtisch des Präfekten unweit des Riesentisches der Dorfgemeinschaft platziert. An ersterem sitzt fast durchgehend Il prefetto, so dass man auch annehmen könnte, die Regie habe hier den Komponisten, der die Aufführung seines Werks beobachtet, in die Produktion eingefügt. Neben einer fast durchweg stimmigen Personenregie finden sich auch peinliche Ungeschicklichkeiten, so hätte ein Diwan im zweiten Akt verhindert, dass  das junge Paar beim Verführungsversuch des Visconte ungeschickt auf dem Fußboden herumrobbt. Alles in allem aber ist das eine weder im guten noch im schlechten Sinn aufregende Inszenierung, und die Kostüme von ebenfalls Luigi Perego sind sehenswert.

Sehr ansehnlich ist die Sängerbesetzung, von der sicherlich dem Prefetto die Krone gebührt. Michele Pertusi scheint auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn angekommen zu sein, sein geschmeidiger Bass weist Eigenschaften eines basso profondo auf, ohne die für den Belcanto unverzichtbaren Qualitäten eines basso cantante verloren zu haben. So nimmt es nicht wunder, dass eine absolute Rarität, das Duett zweier Bässe, denn auch der Vater Lindas, Antonio, ist ein solcher, zum sängerischen Höhepunkt der Oper wird. Vittorio Prato heißt der zweite Vertreter des tiefen Fachs, ein auf „alt“ geschminkter  Sänger mit gut konturierter, junger, gesunder Stimme. Die Oper ist ein melodramma semiserio, d.h. ist gibt zwar tragische Verwicklungen, ja, Linda wird sogar zeitweise wie auch andere Damen des Belcanto, wahnsinnig, aber es gibt ein happy end. Kennzeichnend für die Gattung ist auch das Vorhandensein komischer Figuren, hier des Marchese di Boisfleury, des Möchtegernverführers, der seiner musikalischen Ausstattung nach dem Don Pasquale oder Liebestrank entsprungen sein könnte.  Dem Sänger wird also viel vokale Geläufigkeit abgefordert, und Fabio Capitanucci geizt damit nicht, so in seiner großen Arie „È un giglio di puro candore“.

Entspricht eine Sängerin in unseren Zeiten nicht dem landläufigen, an Models orientierten Schönheitsideal, dann kann man sicher sein, dass sie eine besonders schöne Stimme hat. Das trifft auch auf Teresa Iervolino zu, die den sympathischen Pierotto darstellt und ihn mit einem Mezzosopran wie kostbarer Samt, warm und rund und farbig bis hinaus zum Spitzenton ausstattet. Wunderschön melancholisch klingt „Cari luoghi“, und reizvoll ist das Duett mit Linda. Diese wird von Jessica Pratt gesungen, und ihr weicher, geschmeidiger Sopran dominiert schön die Ensembles, klingt wie fein hingetupft in „Oh luce“, zeigt sich souverän in den Intervallsprüngen und wahnsinnsumflort im „Carlo, Carlo“. Dieser ist  mit Francesco Demuro leider eine Schwachstelle der Produktion, nicht nur wegen der sehr unvorteilhaften Frisur, sondern wegen des manchmal recht weinerlich klingenden Tenors, zwar höhensicher und mit manch schönem diminuendo aufwartend, aber insgesamt doch nicht das Ideal eines tenore di grazia.

Michele Gamba dirigiert das Orchestra del Maggio ( aber im Gennaio) Musicale Fiorentino und erweist sich als zuverlässiger Begleiter der Solisten.

Dem Label Dynamic aus Genua ist es zu verdanken, dass man ansprechende Produktionen wie diese im rauen Opernnorden genießen kann. (Dynamic 57911). Ingrid Wanja  (Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.) 

  1. Peter

    Eben wollte ich zum gleichen Thema meine Enttäuschung kundtun.
    Aber Herr Gänsthaler ist mir zuvorgekommen und hat meiner Meinung nach das Wesentliche wunderbar geschildert.
    Ich dachte bzw. hoffte zunächst noch, dass es sich bei der Zeitangabe die Ouvertüre betreffend um einen Druckfehler handelt; leider nicht.
    Für mich absolut unverständlich, nur einen Stümmel der beeindruckenden Sinfonia zu spielen, zumal man es von Dynamic und seinen Wiedergaben kritischer Editionen gewohnt ist, wirklich ungekürzte Aufnahmen zu bekommen. In Bergamo wäre dies wohl nicht passiert.
    Für mich ist das Weglassen der Ouvertüre ein starker Wermutstropfen dieser an sich erfreulichen Einspielung und selbst mit wirtschaftlichen Argumenten nicht zu begründen; denn es hätte ja nur noch knappe 7 Minuten gebraucht, um die Produktion zu vervollständigen.
    Wirklich ärgerlich!

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  2. Alfred Gänsthaler

    Frau Ingrid Wanja hat für „Operalounge“ über die Neuerscheinung eines Mitschnittes von Donizettis Linda di Chamounix aus Florenz von Anfang 2021 einen ausgezeichneten Beitrag geschrieben, den ich mit Interesse gelesen habe. Die Aufführung dieser wunderschönen Oper war damals weltweit über Stream zu sehen. Was ich in Frau Wanjas Beitrag aber vermisst habe ist ein Hinweis darauf, dass in Florenz die wunderschöne, symphonische Ouvertüre nicht gespielt wurde. Immerhin ist diese Ouvertüre in der Uraufführung der Oper 1842 in Wien erklungen, auch alle mir bekannten Gesamtaufnahmen bieten dieses einprägsame, etwa acht Minuten dauernde Musikstück.

    Nach der Aufführung in Florenz habe ich mit dem Intendanten, Alexander Pereira, Kontakt aufgenommen. Dieser begründete in einem Mail das Fehlen der Ouvertüre mit der in Florenz gespielten Fassung.

    Laut Angaben der Veranstalter verwendete Florenz eine „edizione critica“ von Gabriele Dotto und Casa Ricordi srl in Zusammenarbeit mit der Comune sowie der Fondazione Donizetti Bergamo. In dieser Fassung ist die Ouvertüre allerdings sehr wohl dabei.

    Mir ist schon klar, dass eine „edizione critica“ im Regelfall alle für dieses Werk komponierte Musik beinhaltet und die Auswahl dem Veranstalter überlassen bleibt. Als Begründung für das Weglassen jedoch eine Fassung heranzuziehen, welche das fehlende Musikstück sehr wohl enthält, erscheint zumindest kurios.
    Auf meinen diesbezüglichen Hinweis hat Florenz aber – wie zu erwarten war – nicht mehr reagiert.

    Ich finde derartige Striche einfach schade, so werden geniale Musikstücke der Willkür ausgesetzt. Schade auch, dass die Musikkritik dies oft kommentarlos zur Kenntnis nimmt.

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