Songs for Lena von bei Naxos (8.579093). Albert? Die Antwort ist gleich im ersten Satz des Textes im Booklet zu lesen. Er war ein Enkel von Felix Mendelssohn Bartholdy, ein Großneffe von Fanny Hensel und ein Urenkel von Moses Mendelssohn. Mehr prominente Verwandtschaft ist kaum vorstellbar. Die CD wirbt völlig zu Recht mit dem Hinweis auf World Premiere Recordings. Albrecht Mendelssohn Bartholdy wurde 1874 in Karlsruhe geboren, studierte Rechtswissenschaften in Leipzig, Heidelberg und München. Sein Fachgebiet war Völkerrecht. 1900 habilitierte er sich. Er lehrte an mehreren Universitäten, wurde auch politisch aktiv und nahm 1919 an der Pariser Friedenkonferenz teil, die mit dem Versailler Vertrag endete, der Deutschland und seinen Verbündeten als Verursachern des Weltkrieges hohe Reparationslasten auferlegte. Albrecht Mendelssohn Bartholdy setzte sich für die Revision des Vertrages ein.
Als Jude wurde er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten kalt gestellt. 1934 emigrierte er nach England, wo er in Oxford am Balliol College lehrte und 1936 an Krebs starb. Obwohl er von Anfang an eine starke Neigung zur Musik spürte, Begabung mitbrachte Geigen- und Klavierunterricht nahm und durch familiäre Beziehungen mit Brahms, Reger, Joachim und Clara Schumann zusammentraf, wurde daraus nicht die zentrale Tätigkeit seines Lebens. Dieser Traum blieb unerfüllt. Das akademische Wirkens als Professor in Würzburg (1905-1919) und danach in Hamburg (1920-1934), sei auch durch seine enge Beziehung zu Magdalene „Lena“ Schoch geprägt worden, vermerkt die Pianisten der Neuerscheinung, Eva Mengelkoch, die auch den sehr informativen Booklet-Text verfasst hat. Sie stammt aus Rheinland-Pfalz, zog 1991 zog sie in die Vereinigten Staaten, um an der Indiana University zu studieren. Seit 1999 ist Mengelkoch Professorin für Klavier und Kammermusik an der Towson University in Baltimore; neben ihrer Lehrtätigkeit wirkt sie als künstlerische Leiterin der Cylburn-Chamber-Music-Series und ist Mitglied des Cylburn-Trios mit dem Geiger Ken Goldstein und der Cellist Ilya Finkelshteyn.
Lena Schoch war „eine hochintelligente, mehrsprachige und attraktive Studentin“, die nach dem Studienabschluss zur unverzichtbaren Kollegin und Vertrauen Mendelssohns wurde. „Albrecht, der sich während seiner langjährigen Freundschaft mit Ethel Smyth als Förderer der Frauenbewegung bewiesen hatte, ermöglichte nun Lea Schoch eine juristische und akademische Karriere, die seinerzeit nur dem männlichen Teil der Bevölkerung vorbehalten war“, so die Autorin. Sie habe ihren Förderer gewiss auch musikalische inspiriert. Weiter ist zu erfahren, dass Lena trotz der Schwierigkeiten, die auch ihr die neuen Machthaber in Deutschland bereiteten, zur Beerdigung von Albrecht nach Oxford reiste. Sie kündigte schließlich ihre Stelle in Hamburg und wanderte in die USA aus – im Gepäck Mappen mit Liebensliedern, die Albrecht ihr gewidmet hatte und die sie bis zu ihrem Tod unter Verschluss hielt. Diesen Nachlass hat Naxos nun gehoben.
Die Lieder sind ein Zyklus aus zwölf Titeln. Allein vier gehen auf Friedrich Rückert zurück, der schon deshalb unvergessen blieb, weil sich so viele Komponisten bei ihm bedienten. Zwei Lieder folgen Texten des deutschen Dichters und Malers Max Dauthendey (1867-1918), dessen Bücher und Bilder, sich wieder zunehmender Aufmerksamkeit erfreuen. Dass auch Goethe unter den vertonten Dichtern ist, versteht sich von selbst. Neben den Lena-Liedern gibt es weitere sechzehn Kompositionen. Darunter ist eine Sammlung von acht Liedern aus Des Knaben Wunderhorn. Musikalisch wandelt Mendelssohn auf traditionellen spätromantischen Pfaden. Seine Erfindungen sind einprägsam, mitunter gar einschmeichelnd. Er mutet seinem Publikum nichts zu. Kein Lied, das nicht von einer klaren melodischen Linie getragen würde. Die Sopranistin Julianne Baird und der Bariton Ryan de Ryke, dem der Löwenanteil des Programms zufällt, sind für ihre ungewöhnliche Aufgabe genau richtig. Immerhin haben sich eine sehr verspätete Uraufführung im Studio zu bewerkstelligen. Nur das Deutsch beider Amerikaner könnte noch etwas besser sein (Abbildung oben: Postkarte 1920 von Hänel). Rüdiger Winter