Welcher Opernliebhaber ist nicht begeistert über das Aufgehen eines neuen Stars am Operntenorhimmel, noch dazu, wenn er so attraktiv ist wie der Mexikaner Héctor Sandoval, dem wie einst Ruggero Raimondi eine Silbersträhne im pechschwarzen Haar glänzt. Zudem ist der Sänger einem größeren Publikum durch eine DVD von den Bregenzer Festspielen bekannt, wo er den Andrea Chénier sang. Jetzt gibt es von ihm eine Recital-CD mit Verdi-Arien unter dem Titel La mia letizia infondere mit einem Booklet, das den völlig überflüssigen Versuch unternimmt, die Opern des mittleren Verdi von dem Verdacht reinzuwaschen, sie seien von minderer Qualität, wo es doch den Leser weit mehr interessieren würde, etwas über den noch nicht so übermäßig bekannten Tenor zu erfahren. Dessen Werdegang wird auf einer halben Seite abgehandelt, und der umfangreiche Verdiartikel erweist sich, betrachtet man die Trackliste, als zusätzlich ärgerlich dadurch, dass die Hälfte der Arien gar nicht vom mittleren Verdi stammt, sondern aus den später überarbeiteten Opern Simon Boccanegra, Don Carlo und Macbeth, die Arie des Riccardo allerdings aus einer frühen Fassung des Ballo in Maschera.
Es beginnt mit der titelgebenden Arie des Oronte aus den Lombardi, Paradestück eher lyrischer Tenöre, deren einer Sandoval nicht ist, denn die Stimme klingt nicht jünglingshaft, sondern sehr viril, in der Mittellage angenehm dunkel, in der Höhe ausgesprochen hart, den Charakter der dargestellten Figur missachtend, zwar auch um eine mezza voce bemüht, aber doch hörbar auf einen allzu protzigen, nicht in die Arie integrierten Schlusston hinarbeitend, bzw. –singend. Für das Auftrittslied des Ernani bemüht sich der Tenor um ein addolcendo, bei dem die Stimme allerdings an Farbe verliert, es fehlen sanfte Übergänge vom Fortissimo zum Piano, und erst beim Übergang zur Cabaletta wird der romantische Held hörbar, bringt viel slancio auf und endet doch wieder mit einem reinen Kraftakt. In der Arie des Carlo gibt es Ansätze zum canto elegiaco, geht die Stimme konform mit dem sehr einfühlsamen Orchester. Dieser Track beweist, dass der Tenor um die Anforderungen des Verdi-Gesangs weiß.
Es folgen die beiden Arien des Jacopo Foscari, in denen sich erneut die Stimme beeindruckender Im Forte zeigt, die Farbpalette in der mezza voce weniger reich ist, die Übergänge von einem Extrem ins andere vernachlässigt werden und „innocenza“ so schneidend und durchdringend mit offener Höhe gesungen wird, dass es keine Steigerung mehr geben könnte. Ein schönes dunkles „Notte“ in der zweiten Arie weicht schnell verismoartiger Grellheit, Teile der Arie werden zur Steigerung des Ausdrucks fast gesprochen. Dem wilden Rezitativ des Gabriele Adorno folgt eine Arie mit schönem Legato, aber auch hier irritiert der oft abrupte Wechsel ohne Übergänge. Am wenigsten bekannt dürfte von den hier berücksichtigten Opern die nach Schillers Räubern sein. Carlos „O mio castel paterno“ dürfte, weniger schneidend gesungen, noch schöner klingen. Teilweise abweichend von der endgültigen ist die hier gesungene Fassung von Riccardos letzter Arie, und man muss billigen, dass Verdi hier änderte, beiden Fassungen aber bekäme ein weniger greller Gesang besser. Auch für Macduff trifft zu, was bereits seine Vorgänger betraf: es wird reichlich offen gesungen, zu wenig einheitlich, ohne die notwendigen Übergänge. Rodolfo aus Luisa Miller singt ein durch seinen Seelenzustand nur partiell gerechtfertigtes auftrumpfendes Rezitativ, eine schön verschattete Arie und ist in der Cabaletta wieder nur laut. So kann man trotz der vorzüglichen Begleitung durch die Philharmonie Baden-Baden unter Pavel Baleff nur partiell glücklich werden mit dieser CD (Gramola 99233). Ingrid Wanja