Verfluchtes Pack

 

„Ständig saufen, fressen, Karten kloppen. Ja, das können sie, während wir schuften.“ Mit der Klage der Köchin Bejlja gibt Ulrike Patows deutsche Übersetzung den Ton der Palastrevolution im Haus der reichen Madame vor. Wir da unten, die da oben. Schon Nestroy hatte in seiner Lokalposse Zu ebener Erde und erster Stock arme Schlucker und Millionär während der Vorbereitung zu einem Ball einander gegenübergestellt. Scholem Alejchems jiddischer Einakter Mazel Tov! von 1889, der Eingang in die Spielpläne jiddischer Theater in Moskau und Warschau fand, konzentriert sich auf die Dienstbotenperspektive, die Mieczyslaw Weinberg in seinem gleichnamigen, auf Deutsch mit Wir gratulieren! übersetzten Kurz-Zweiakter genüsslich und mit viel jiddischen Musikeinsprengseln und Klezmerklängen ausmalt. Im Gegensatz zu seinen bekanntesten Opern, der posthum uraufgeführten Die Passagierin und dem erst 2013 in Mannheim komplett gegebene Idiot, gelangte die 1975 entstandene Kammeroper Wir gratulieren! noch zu Lebzeiten Weinbergs 1983 an der Moskauer Kammeroper zur Uraufführung. Großzügig auf zwei CDs verteilt präsentiert Oehms Classics jetzt den 80minütigen Zweiakter als Mitschnitt der deutschen Erstaufführung in Henry Kochs Fassung für Kammerensemble aus dem Berliner Konzerthaus von 2012 (2 CDs OC 990).

Bejlja (die Altistin Olivia Saragosa) also klagt über die verflossenen Jahre und darüber, dass sie keinen Mann hat. Der Tonfall nobler Prosodie und die ausgepicht instrumental geschickte und kunstvolle Umkleidung sind bekannt. Dann erscheinen der arme Buchhändler Reb Alter (der Tenor Jeff Martin), anschließend treffen Chaim, der Diener aus dem Nachbarhaus (der Bariton Robert Elibay-Hartog), und Fradl, das von ihm angebetete Dienstmädchen der Madame (die Sopranistin Anna Gütter), ein. Die Verteilung der Paare ist klar: während die Madame das Personal an die Verlobung ihrer Tochter erinnert, inszenieren die Dienstboten ihre Doppelhochzeit, „Ob wir arm sind oder reich, Ehr‘ gebühret allen gleich!“ Die im liedhaften Konversationston und locker geflochtenen Parlando gehaltenen Gespräche um Essen und Wein, Reichtum und Literatur sind ein wenig betulich und im ersten Akt weitschweifend, dabei völlig undramatisch, und werden nur durch Weinbergs pointierte und immer wieder überraschende Instrumentation und die Walzer-, Polka- und Hüpftanzmosaike aufgefangen. Die Partitur hat er Schostakowitsch gewidmet. Den zugespitzten Witz und die grotesken Dimensionen seines Lehrers erreicht er, beispielsweise mit dem Zitat von Chatschaturjans Säbeltanz, erst im zweiten Akt, der mit dem pfiffigen Vaudeville „Geld regiert nicht mehr die Welt“ endet. Vladimir Stoupel und die Kammerakademie Potsdam halten das seiner Zeit musikalisch hinterherhinkende Stück in einem dursichtigen Schwebeton, der hohe Textdeutlichkeit sichert, und stellen die Soloinstrumente, die Flöte der Ouvertüre, das Reb Alter zugeordnete Fagott oder ein Violinsolo, vorteilhaft aus. Das Ensemble ist ausreichend gut aufgestellt, voran Jeff Martin, der mit trefflicher Diktion und geschliffenem Tenor im Grabgesang auf Scholem Alejchem oder dem Bänkelgesang „Zu Hause waren wir zehn Jungen“ ins Zentrum der Aufführung rückt; nur Katia Guedes besitzt als Madame nicht genügend Format, um durch deftige Ausfälle, „Die Pest über dich!“ oder „Verfluchtes Pack! Elende! Alles Unglück über euch!“, die Wendung der Handlung glaubhaft zu machen.  Rolf Fath.