Auf Verständnis stoßen dürfte der Mitteleuropäer des 21. Jahrhunderts, wenn er nach gut zwei Stunden des Anhörens von Mario-Lanza-Aufnahmen nach der ersten Strophe von Silent Night (Stille Nacht) entnervt dem Konzert ein Ende bereitet und sich fragt, ob wohl der heutige Amerikaner diese Aufnahmen noch goutieren kann. Als The Best of Everything hat Sony Aufnahmen des italo-amerikanischen Tenors noch einmal auf den Markt gebracht, teilweise sogar mit Ansagen und hörbar in sehr unterschiedlichen Aufnahmesituationen entstanden. Bei Mario Lanza scheiden sich seit jeher die Geister, das Booklet verkündet dem Leser, der Sänger habe nur deswegen eine glänzende Karriere als Opernsänger verfehlt, weil die Angebote von Film und Rundfunk so zahlreich gewesen seien, dass er einfach keine Zeit für eine Theaterkarriere mehr aufbringen konnte. Musikkritiker sehen den Grund in den technischen und anderen Problemen, die Lanza nie zu lösen imstande war, so dass seine Bühnenkarriere sich auf zweimal Pinkerton beschränkte, eigentlich ja auch nur ein Einakter, wenn man das Fiorito asil nicht als vollwertigen dritten bzw. für den Tenor zweiten Akt ansehen will.
Bunt gemischt sind auf den beiden CDs Opernarien von tenore brillante bis tenore eroico, von Musicalszenen und von Songs jeder Art, und es wird nicht ausgelassen, was einen Effekt auf die Tränendrüse verspricht, sogar Schuberts besonders stark entstelltes Ave Maria muss daran glauben. Besonders häufig wird The Student Prince in zweierlei Version, nämlich von Romberg (1924) und Brodzky (1954) bemüht, basierend auf dem in Deutschland längst vergessenen Alt-Heidelberg, in den USA zu ungeheurer Popularität gelangend. Vielen der Tracks ist ein an Kitsch nicht mehr zu überbietender Chor zugordnet, und auch das Orchester kann meistens seinen Ursprung aus einem Salonorchester nicht verleugnen, so dass die Opernarien arg verfremdet erklingen (RCA Victor).
Zu diesen gehören aus Rigoletto das Auftrittslied des Duca und natürlich „La donna è mobile“, ersteres lässt ein gutes Italienisch hören, könnte federnder gesungen werden und wird durch eine grässliche Lache entwertet, letzteres klingt nicht brillant genug, so dass es trotz sicheren Spitzentons nicht restlos überzeugen kann. Von Verdi gibt es noch ein Celeste Aida mit feinen Intervallsprüngen, aber ohne Spur von morendo und im Mittelteil urplötzlich in Sprechgesang verfallend. Puccini ist mit Rodolfo, Cavaradossi und Kalaf vertreten, und alle drei Herren klingen seltsam weichgespült, während man beim Canio den Eindruck hat, es gehe dem Sänger vor allem um das Ausstellen der Stimme, das Erwecken von Staunen darüber, welche Endlosfermaten er zu bieten hat. In Flotows M’appari, tutt‘ amor aus Martha kann man die Schönheit des Timbres genießen, grässlich amerikanisiert und das nicht nur durch die Sprache ist Rimsky-Korsakovs hier als Song of India auftretende Arie, der süßlich säuselnde Chor im Hintergrund würde den Komponisten im Grabe routieren lassen. Und auch Bizets Blumenarie wird durch das Orchester verkitscht, der Schluchzer im „Je t’aime“ passt dazu.
Spanisch/Lateinamerikanisches spielt mit Granada und Bésame mucho eine geringere, Italienisches mit Tosti oder Tagliaferri kaum eine, Amerikanisches die überragende Rolle, so dass Be My Love gleich zweimal angeboten wird. Je nachdem, was man unter Everything versteht, kann man die beiden CDs als nette Hommage an den Sänger oder als pure Anmaßung verstehen (Sony 88985382642). Ingrid Wanja