Geniales aufgefrischt

 

Walter Felsenstein (1901-1975) gründete 1947 die Komische Oper in Berlin und war bis zu seinem Tod ihr Intendant. Seine Bedeutung für die Wiederbelebung der Oper als theatralische Kunstform ist immens: Felsenstein setzte neue Maßstäbe im Bereich der Opernregie und prägte den Begriff des „Musiktheaters“. Zeit seines Schaffens lag sein Fokus auf dem Ensemble – vom künstlerischen Personal bis hin zum Bühnentechniker. Das Œuvre dieses genialen Regisseurs umfasste über 190 Inszenierungen und war den Werken, ihren Schöpfern, dem Ensemble und dem Publikum gleichermaßen verpflichtet. Die konsequente Arbeit Walter Felsensteins an einer musikalisch-szenischen Bildsprache des Opernfilmes ist auch heute noch wegweisend.

Vor allem sein Ritter Blaubart (109437) gehört für mich zu den genialsten Umsetzungen von Oper(ette) auf die Bühne und in den Film (wenngleich Einblicke in die Originalproduktion von 1963 auch die Unterschiede sowohl des zeitlichen wie des konzeptionellen Abstands zeigt). Gerade wieder bei Arthaus als erstaunlich aufgefrischter Bluray-Streifen erschienen belegt eben diese Operette (nun 10 Jahre später verfilmt) den ungemeinen Witz und die Genialität Felsensteins. Sein irrwitziges deutsches Libretto ist mir noch heute eines der Besten seiner Zunft. Sein Sinn für komisch-groteske und bissige Details bleibt mir unerreicht gegen andere Neuschöpfungen. Sicher, die wunderbare Pappe der alten Inszenierung von 1963, ins Defa-Studio 1973 geholt und dort abgefilmt, ist wirklich historisch, und man sieht die Limitierungen der damaligen ökonomischen Bedingungen. Aber auch das hat seinen Reiz: Hier gibt es unverstelltes Entertainment, das allen Spaß macht. Denn in den ganz sicher vom Zahn der Zeit benagten Kostümen und Kulissen tummelt sich eine absolut grandiose Sachar an Darstellern, wie man sie heute nicht mehr finden würde.

Wie oft habe ich – bei obligatem 12.- Mark Zwangsumtausch – Anny Schlemm als dralle und freche Boulotte auf eben dieser Bühne erlebt, und weder stimmlich noch darstellerisch konnte und kann ihr irgendwer das Wasser reichen. Für mich IST sie einfach die Boulotte Offenbachs, eine Idealbesetzung mit Stimme und derbem Charme. Werner Enders als fieser König Bobêche war immer ein toller Charakterdarsteller, dass er auch Stimme hatte, erfuhr man hier, genial auch er. Meine besondere Liebe gilt Ruth Schob-Lipka als busenmächtige Königin der ganz großen Attitüde und der geübten Opernstimme. Und auch Rudolf Asmus als dusseliger Popolani, der die restlichen Frauen Blaubarts im luxuriösen Verließ versteckt und sie von ihrem Schicksal bewahrt ist eine Wucht. Altes Komische-Oper-Eisen vom Feinsten. Und da ist noch der robuste Hanns Nocker in der Titelpartie, die er mit viriler Wirkung und sozusagen offener Hose vorführt, nicht sehr subtil und auch stimmlich grob, aber dafür ein toller Charakter in Felsensteins Reigen. Es ist das ganze Ensemble, das diese immer noch überwältigende Wirkung ausmacht, von Karl-Fritz Vogelmann arrangiert und musikalisch geleitet. Sowas gibts eben einfach nicht mehr, auch nicht bei Barry Kosky. Das Phänomen Felsenstein ist ei n historisches, das nicht wiederholt werden kann.

Die anderen Opern aus dieser Reihe, die zuerst (ebenfalls bei Arthaus) in einer samtroten eleganten Luxusschachtel herauskamen, sind vielleicht nicht so ganz von diesem genialen Charme, aber sie haben ihre Wirkung und belegen, dass gerade im heiteren Genre Felsenstein unerreicht für seine Zeit war. Über die seriösen Opern mag man sich streiten, hier sind mir oft die Sänger nicht gut genug, und die Verfilmungen lassen sie oft zu steril in ihren Effekten erscheinen, zumal manches wirklich sehr historisch wirkt. Dennoch – als Dokumentation eines großen Theatermanns sollten sie in keiner Sammlung fehlen (Das schlaue Füchslein, Fidelio, Othello, Hoffmanns Erzählungen). G. H.

  1. Kevin

    Bemerkenswert ist, dass die erwähnten genialen Details im RITTER BLAUBART alle direkt aus dem Libretto der Offenbach-Autoren stammen. Es ist verblüffend (und wunderbar), dass Felsenstein diese Regiseanweisungen allesamt ernst genommen und umgesetzt hat, während andere sie schlicht übergehen/übersehen. Man fragt sich: warum tun die das? (Oder ersetzen sie mit eigenen zeitaktuellen „Einfällen“, weil man ja Offenbach aktualisieren MUSS, wie’s gern heißt.) Dass man heute solche glorreichen Details eher Felsenstein zuschreibt statt Offenbach bzw. dem Genre Opéra bouffe spricht Bände…. macht aber diese Komische-Oper-Inszenierung nicht minder wertvoll.

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