Resteverwertung & 2 Neuzugänge: Mit Queen of Baroque ist eine „neue“ CD von Cecilia Bartoli bei DECCA betitelt, deren 17 Nummern eine aufschlussreiche Rückschau (bei 2 Neuaufnahmen) über das Wirken der Sängerin geben (485 1275). Werke von Händel und Steffani überwiegen, aber es finden sich auch Arien von Vinci, Vivaldi, Broschi, Graun und Porpora, welche die exzeptionelle Virtuosität der Interpretin belegen. Fast alle Stücke sind barocke Perlen und Veröffentlichungen mit der Bartoli aus den Jahren 1993 bis 2017 entnommen. Ihr Ruhm als Barocksängerin begann mit der Präsentation des Vivaldi-Albums 1999 bei ihrer Stammfirma DECCA. Es war das erste von mehreren in Folge erscheinenden Recitals mit konkreten Konzepten. Sie waren entweder einem einzelnen Komponisten gewidmet oder verfolgten eine Programmidee. In der Vivaldi-Anthologie findet sich aus Griselda eine Arie des Ottone, aber nicht diese wurde in das neue Album übernommen, sondern eine der Costanza, „Agitata da due venti“. Sie ist ein Höhepunkt in Vivaldis Schaffen und wurde schnell zu einem cavallo di battaglia der Bartoli bei ihren öffentlichen Auftritten. Sie erklingt hier in einem Live-Mitschnitt von 1998 aus dem Teatro Olimpico in Vicenza. Begleitet von den Sonatori de la Gioiosa Marca, singt die Bartoli mit einer derart umwerfenden Bravour, einer so brillanten Leichtigkeit, das es dem Hörer schier den Atem verschlägt.
Von ähnlich virtuosem Anspruch ist die Arie des Arbace, „Son qual nave ch’agitata“ aus Riccardo Broschis Artaserse mit ihren aufgewühlten Streicherfiguren in der Einleitung sowie den rasenden Koloraturläufen und Ausflügen in die Extremhöhe. Sie wurde dem Album Sacrificium von 2009 entnommen, welches die Sängerin den legendären Kastraten und deren Lehrer Nicola Porpora gewidmet hatte. Daraus stammen auch die Arie des Farnaspe „Ov’è il mio bene“ aus Carl Heinrich Grauns Adriano in Siria mit ihrer ergreifenden emotionalen Intensität und die Arie des Arminio, „Parto, ti lascio“ aus Porporas Germanico in Germania. Letztere ist mit den schier endlosen Phrasen und irrwitzigen Intervallsprüngen ein Musterbeispiel für die horrend schwierigen Kompositionen der Zeit – nicht verwunderlich, dass sie von dem legendären Kastraten Caffarelli kreiert wurde. Mit ihren tollkühnen Koloraturpassagen ist auch das Solo des Angelo, „Disserratevi, o porte d’averno“, aus Händels Oratorio per la Ressurrezione di Nostro Signor Gesù Cristo ein Prüfstein für die Beherrschung des virtuosen Zierwerks und Bartoli erweist sich hier erneut als Meisterin ihres Fachs. Es wurde dem Album Opera proibita von 2005 entnommen, in welchem die Sängerin sich jenen Werken widmete, die in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts in Rom entstanden, weil die Oper verboten war. Daraus stammen auch die Arien der Santa Eugenia „Vanne penita a piangere“ aus Caldaras Il trionfo dell’Innnocenza und die des Ismaele, „Caldo sangue“, aus Alessandro Scarlattis Il Sedecia, re di Gerusalemme. Prominent begleitet wird sie bi diesen Titeln von den Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski.
In der Neuveröffentlichung finden sich noch weitere sakrale Kompositionen, so das „Stabat Mater dolorosa“ aus Pergolesis populärem Werk. Es ist eine sehr frühe Aufnahme der Bartoli von 1991 mit der Sinfonietta de Montréal unter Charles Dutoit mit June Anderson als Partnerin. Die Ausschnitte aus Agiostino Steffanis Stabat Mater mit Franco Fagioli, Daniel Behle und Julian Prégardian mit den Barocchisti unter Diego Fasolis stammen dagegen von 2013. Mit diesem Ensemble nahm die Sängerin 2011/12 das Album Mission auf, in welchem sie verborgene und wieder entdeckte Schätze des Komponisten Agostino Steffani vorstellte. Aus der Anthologie wurden die Duette Anfione/Niobe „Mio ardore“ aus Niobe, regina di Tebe sowie Enea/Lavinia „Combatton quest’alma“ aus I trionfi del fato ausgewählt. In beiden ist Philippe Jaroussky Bartolis Partner. Ihr sinnlicher Mezzo mischt sich perfekt mit der keuschen Stimme des Counters. Im zweiten Duett scheinen sich die Sänger übermütig jauchzend fast gegenseitig zu übertreffen.
Populäre Titel von Händel runden das Programm ab. Die Arie der Almirena „Lascia ch’io pianga“ aus Rinaldo zählt zu Bartolis Favoriten. Die hier zu hörende Einspielung aus der Gesamtaufnahme unter Christopher Hogwood von 1999 betört mit der zärtlichen Stimmgebung und dem innigen Ausdruck. Die Arie des Titelhelden „Ombra mai fu“ aus Serse stammt aus der Sacrificium-CD und berührt durch die so schlichte wie emotionsstarke Gestaltung. Almirenas „Bel piacere“ aus Rinaldo setzt den heiteren Schlusspunkt.
Nur zwei Nummern sind Neuaufnahmen (und gleichzeitig Weltpremieren). Sie stehen am Beginn der Platte und sorgen für einen spannenden Auftakt. Die Arie der Enea, „E l’honor stella tiranna“, aus Steffanis I trionfi del fato ist von deutlich erregtem Charakter, was dem dramatischen Ausdruckvermögen der Sängerin ideal entspricht. Aus Leonardo Vincis Alessandro nell’Indie erklingt die Arie der Erissena, „Chi vive amante“, welche der Interpretin Gelegenheit bietet, eine reiche Farbskala einzusetzen, in der auch greinende und jammernde Töne Platz haben.
Für alle Barockliebhaber und jene, die nicht unbedingt jede Bartoli-CD in ihrer Sammlung haben, bietet Queen of Baroque einen passenden Einstieg oder willkommene Bereicherung. Bernd Hoppe