Die bösen Worte berühmter Musiker über ihre Kollegen füllen ganze Bände, aber man stellt fest, dass die ätzenden Sprüche oft den Opfern gar nicht geschadet haben – Lobesworte wirkten aber umgekehrt auch nicht immer. Ein gutes Beispiel dafür liefert das brillante Pariser Ambiente der 1830er Jahre, wo sich die größten Virtuosen der Zeit wahre Schlachten am Klavier lieferten –und mit ihrer spitzen Zunge, denn sie hatten ja ein pekuniäres Interesse daran, die Konkurrenten schlecht zu machen. Als sich Frédéric Chopin 1831 in der französischen Metropole niederließ, schwärmte er für einen Pianisten und Komponisten deutscher Abstammung, Friederich (Frédéric) Kalkbrenner (1785 – 1849), den er in einem berühmten Brief über alle damals ihm bekannte Klaviervirtuosen stellte, einschließlich Franz Liszt: gegenüber Kalkbrenner seien alle anderen Nullitäten. Chopin nahm dem älteren Kollegen, der für seine Eitelkeit berüchtigt war, auch nicht übel, dass er verkündete, bei ihm könne Chopin zu einem Pianisten werden. Die Widmung seines ersten Klavierkonzertes an Kalkbrenner nahm er jedenfalls nicht zurück. Das half alles nicht. Obwohl Kalkbrenner zu Lebzeiten nicht nur als Hauptvertreter des eleganten französischen Klavierstils galt, sondern auch als bedeutender Komponist angesehen wurde, sind seine Werke aus den Konzertprogrammen verschwunden, und lediglich einige CD-Produktionen wie jene der Klavierkonzerte mit Howard Shelley für Hyperion haben seinen Namen lebendig gehalten (der emsige Shelley verfehlt jedoch bedauerlicherweise den erforderlichen jeu lié, soutenu, harmonieux d’une égalité parfaite, den man an Kalkbrenners Vortragsstil rühmte, völlig). Wie ambitioniert Kalkbrenner war, daran erinnert eine neue CD, welche ein erstaunliches Werk ausgräbt. Wie Maud Caillat in dem sehr lesenswerten Booklet darstellt, hat Kalkbrenner in den 1830er Jahren parallel zu Franz Liszt Beethovens Symphonien für Klavier allein transkribiert und mit Widmung an Louis Philippe gedruckt, inklusive der Neunten, mit der sich andere Bearbeiter sehr schwer taten. Beethovens Freund Hummel, der in jener Zeit ebenfalls für Paris die Symphonien für Klavier, Flöte, Geigen und Cello bearbeitete (und zwar wunderschön, auch wenn Liszt darüber lästerte), ließ die Neunte aus, und Liszt schuf seine Klavierfassung erst Jahrzehnte später. Man wundert sich, dass Kalkbrenner, der in gewissen Kreisen als oberflächlicher Salonpianist verschrien war und somit als Antipode Beethovens erscheinen konnte, sich dieses opus maximum vornahm und dadurch in die Reihe der Paris Bewunderer von Beethoven einreihte. Spielte vielleicht die Erinnerung an seine Wiener Jahre (1803-1806) dabei eine Rolle, während derer er sicherlich Beethoven getroffen hatte? Das Ergebnis seiner Bemühungen ist durchaus ansehnlich, obgleich der sarkastische Liszt auch diese in den Boden stampfte („der Ritter Kalkbrenner soll sich lieber um seine blonde oder rote Perücke kümmern“). Man kann Caillat zustimmen, wenn sie schreibt, dass die Transkription „mehr darauf zielt, ein Orchesterwerk auf das Klavier zu übertragen als ihren musikalischen Gehalt aufzudecken“. Die Bearbeitung klingt an Stellen tatsächlich etwas dünn, und trotz des anerkennenswerten Engagements der japanischen Pianistin Etsuki Hirose hätte man sich eine phantasiereichere, vielleicht sogar eine frivolere Interpretation gewünscht, so im arg schläfrig geratenen dritten Satz. Und man hätte auch gerne einen Pleyel der Zeit und nicht wie hier einen modernen Flügel gehört.
Das Finale stellt Beethoven-Fans auf eine besonders harte Probe. Der getrennt vom Rest veröffentlichte Satz behält die Vokalpartien, der Text erklingt allerdings in einer französischen Übersetzung von Crevel de Charlemagne (1807-1882), einem Vielschreiber, der manches aus dem Deutschen und Italienischen übersetzte (so Webers Freischütz). Hier kommen die joie et ses divins transports der Ode nicht gut zur Geltung. Wie man das auch dreht: das klingt falsch, zum einen, weil es sich um eine freie Nachdichtung handelt, die stellenweise Schiller gänzlich aus den Augen verliert, zum anderen jedoch, weil der schwärmerische Text irgendwie unmusikalisch wirkt. Dabei kann man den guten Solisten, dem ehrlich bemühten Chor, der Pianistin und dem Dirigenten, die in einem Live-Konzert aufgenommen wurden, keinen Vorwurf machen. Vielleicht hätte Kalkbrenner doch die Finger davon lassen sollen? Seine Transkription ist jedenfalls ein interessantes und daher hörenswertes Dokument der frühen Beethoven-Rezeption im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Michele C. Ferrari
Beethoven / Kalkbrenner, Symphonie Nr. 9 op. 125 für Soli, Chor und Klavier. Etsuko Hirose (Klavier), Cécile Achille (Sopran), Cornelia Oncioiu (Alt), Samy Camps (Tenor), Thimoté Varon (Bass), Philharmonischer Chor von Ekaterinburg, Andrei Petrenko, CD mirare MIR 534 (2020).