Alles scheint zu stimmen bei der attraktiven Bluray-Box mit der Aufschrift 100 Jahre Salzburg Festival, auch wenn das nicht der eigentliche Titel der Salzburger Festspiele ist: deutsche, italienische und slawische Oper ist vertreten, der Mitbegründer Richard Strauss sogar gleich mit zweien seiner Werke, die Inszenierungsstile reichen von konventionell bis supermodern, die Musik von Barock mit Händel, der hier einmal mehr als Handel gehandelt wird, bis ins 20.Jahrhundert, was also will man mehr. Dieses: Man hätte sich eine Würdigung gewünscht, die tatsächlich die hundert Jahre der Festivalgeschichte berücksichtigt und nicht nur die letzten 12 Jahre, man hätte sich über Material gefreut, dass nicht durchweg bereits im Fernsehen zu sehen war, und man wäre freudig überrascht gewesen, wenn es als Begleitmaterial nicht nur die alten Booklets, die bereits den DVDs zugeordnet gewesen waren, gegeben hätte. So wird man den Verdacht nicht los, man benutze den feierlichen Anlass des hundertsten Geburtstags des tapferen, auch in diesem Jahr abgespeckt stattgefunden habenden Festivals, um Restbestände noch einmal auf den Markt zu werfen.
Die älteste Aufnahme ist die von Verdis Otello aus dem Jahre 2008 mit Riccardo Muti am Dirigentenpult, ein Garant nicht nur für ein Musizieren voller Italianità, sondern auch bis heute für eine solide Regie ohne modernistische Mätzchen. Beim Simon Boccanegra unter Valery Gergiev vor einem Jahr und damit die jüngste Aufnahme, sah das durch die Inszenierung von Andreas Kriegenburg bereits ganz anders und damit äußerst anfechtbar aus, wie die damals in der Operalounge erschienene Kritik beweist. Stephen Langridge ließ dem Otello zwar mit George Souglides Bühne einen Riesenlaptop und ein ebensolches Smartphone durchgehen, aber es gab auch wunderbare Kostüme und nur wenige skurrile Einfälle wie die Vergewaltigung eines Türkenjungen (wohl von Otello aus dem Meer gerettet) durch drei Puttane und eine zärtlichkeitsbedürftige Donna Bianca, aber insgesamt kaum Schockierendes. Dafür sorgten eher die Sänger mit einem Otello (Aleksandrs Antonenko), dessen zu heller Tenor streckenweise recht ingolato wirkte, einer optisch idealen Desdemona (Marina Poplavskaja), deren Höhen nicht durchweg korrekt waren und einem eher dumpf als düster sich äußernden Jago (Carlos Alvarez). Orchester und Chor allerdings sind pure Pracht.
Es folgte 2009 Händels Oratorium Teodora, für das Christof Loy eine interessante szenische Lösung bereit hatte, mit wenigen Gesten der handelnden Personen dem Zuschauer die Thematik des Stücks klar machte, so wenn der brutale Valens raumgreifend breitbeinig neben der eingeschüchtert die Schenkel aneinanderpressenden Teodora Platz nahm. Christine Schäfer und Bejun Mehta (Didymus) verkörperten puren Barockgesang, Johannes Martin Kränzle imponierend eher ein anderes Fach. Der Salzburger Bachchor und das Freiburger Barockorchester unter Ivor Bolton waren weitere Garanten für Stilsicherheit.
2014 gab es mit Janaceks Die Sache Makropulos in der Regie von Christoph Marthaler eine Produktion, die den Zuschauer gleichermaßen erschauern wie schmunzeln ließ über die beiden Putzfrauen, die das abenteuerliche Geschehen mit ihren Kommentaren begleiteten. Angela Denoke schuf mit der Emilia Marty eines ihres berührendsten Rollenportraits, Anna Viebrock war die dreigeteilte, eindrucksvolle Bühne zu verdanken. Aus dem Jahr 2014 stammen die Aufnahmen von Schuberts Fierrabras und Strauss‘ Rosenkavalier, und niemand hatte geglaubt, dass die Schubertoper einen derartigen Erfolg haben würde. Von Peter Stein als wundersames Rittermärchen mit den zauberhaften Kostümen, leicht stilisierend durch die Farbwahl, von Annamaria Heinreich inszeniert, von Ingo Metzmacher, sonst eher Sachwalter der Moderne, liebevoll musiziert und mit idealen Sängern besetzt, gab die Wahl Festivalleiter Perreira, der sich das Stück gewünscht hatte, recht. Julia Kleiter als Emma, der ganz junge Benjamin Bernheim als Eginhard auf der einen und Dorothea Röschmann und Michael Schade auf der anderen, der heidnischen Seite waren ebenso wie Georg Zeppenfeld als König Karl die Garanten für pures vokales Glück. Und das gab es in diesem Jahr ein weiteres Mal mit Harry Kupfers Inszenierung des Rosenkavalier mit der Traumbesetzung Krassimira Stoyanova, Sophie Koch und Günter Groissböck, inzwischen der Ochs vom Dienst: gemeinsam mit den Stimmen schwelgte das Orchester unter Franz Welser-Möst.
Gleich vier Produktionen stammen aus dem Salzburg des Jahres 2018: eine vergagt-satirische Italiana in Algeri mit Cecilia Bartoli, eine ebenfalls vergagt- aber auch verdüsterte Zauberflöte in der Regie von Lydia Steier, die in der Operalounge bereits besprochene Pique Dame und Salome mit der ohne Schleiertanz und Jochanaan-Kopf doch sensationellen Asmik Grigorian.
Es ist durchaus Sehens- und Hörenswertes in der Box zum Hundertsten- nur die Art und Weise, wie es angepriesen und vermarktet wird, ist ein Ärgernis (C-Major Unitel unterschiedliche Signaturen). Ingrid Wanja (Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)