Schwer tun sich die deutschen Opernbühnen mit Webers Oper Der Freischütz, hat dieses Werk doch einige Prädikate und Vorkommnisse, die fortschrittlichen, modernen Regisseuren ein Gräuel sein müssen, so der Ruf, die Nationaloper der Deutschen zu sein, den deutschen Wald als Handlungsort, einen Geistlichen als Konfliktlöser und deus ex machina, einen Chor von Männern mit Gewehren, auch wenn diese nur zu friedlicher Jagd eingesetzt werden, und der „Wir winden dir den Jungfernkranz“-Chor, weil einst zu populär, darf sowieso nur als Karikatur seiner selbst auf eine deutsche Bühne. Das alles sind so schreckliche Ingredienzien, dass nur eine komplette Demontage und die Verdrehung der Handlung wie der Charaktere als Ausweg bleiben, und der Hauptstadt Berlin war es nach dem Lehnhoff-Freischütz an der Staatsoper, der wiederum einer Berghaus-Produktion gefolgt war, nicht mehr möglich, einen annehmbaren Freischütz auf die Bühne zu bringen. Komische Oper und Staatsoper versuchten sich mit Demontage des Werks an demselben, die Deutsche Oper ließ lieber ganz die Hände davon.
Das Aalto-Theater Essen bringt seit einiger Zeit mit schöner Regelmäßigkeit seine Aufführungen als CDs unter das Publikum, Marschners Hans Heiling, Meyerbeers Le Prophéte, Suks Asrael, auch Mahler-Sinfonien sind bereits auf dem Markt und nun auch der Freischütz aus dem Jahr 2018. Sieht man die Fotos im Booklet, ist man über die Beschränkung auf das Hörerlebnis dankbar, denn in moderner Kleidung und im Heute spielend, werden die Figuren zu Deppen, die in einer Zeit voller Aberglaubens, von einem schrecklichen Krieg gebeutelt und verunsichert, glaubwürdig erscheinen.
Angenehm an der CD ist erst einmal die schöne Ausgewogenheit zwischen Orchester und Sängern, zudem, wenn auch manchmal im Verhältnis zum Gesang zu leise, der gar nicht peinlich-künstlich wirkende gesprochene Dialog, der sich zwanglos und sehr natürlich wirkend in das Ganze einfügt. Durch eine klangvolle Präzision fällt der Chor bereits im „Viktoria“ und dann immer wieder auf (Jens Bingert). Sehr gut schlagen sich insbesondere die Bläser, sich effektvoll steigernd macht das Orchester unter Tomas Netopil einen sehr guten Eindruck. Es hat hörbar die unter der langen Leitung von Stefan Soltesz gewonnene Qualität bewahren können.
Fast sämtliche Rollen sind aus dem Ensemble heraus besetzt. Heiko Trinsinger hat für den Kaspar zwar nicht die ganz abgrundtiefschwarzen Farben, aber sein „Schweig, schweig“ klingt doch böse genug, und zudem ist sein Bariton koloratursicher. Ausgeglichen zwischen viril und sensibel gibt sich der Tenor von Maximilian Schmitt für den Max, ein vorzüglicher deutscher Zwischenfachtenor mit auch unangestrengten dramatischen Ausbrüchen. Etwas spröde klingt der Kilian von Albrecht Kludszuweit, zunächst ein feudaler Wüterich ist der Ottokar von Martijn Cornet, dann aber höchst angenehm, markant vertritt Karel Martin Ludvik als Kuno seinen Standpunt, und als letzte dunkle Stimme verbreitet der Eremit von Tijl Favevts vokale Autorität.
Die beiden Damen sind vokal einander ähnlicher, als es eigentlich wünschenswert ist. So klingt die Agathe von Jessica Muirhead manchmal recht kindlich, als wenn sie ein Ännchen sein wollte, ist das Ännchen von Tamara Banješević ganz und gar nicht soubrettig, nicht neckisch, sondern beherzt, frisch und den Eindruck erweckend, als hätte sie mehr dramatisches Potential, als sie zugeben möchte. Die Agathe erreicht in „Und ob die Wolke“ nicht ganz die ruhige Klarheit, die man erwartet (es ist die falsche Stimme dafür), für die große Arie zuvor hätte man gern noch mehr Wärme und Rundung der Stimme. Alles in allem ist die Einspielung dieser schwierigen Oper eine passable, aber eher eine Essener Momentaufnahme (2 CDs Oehms OC 988)? Ingrid Wanja