Mitreißend

 

Nicht gerade mit einem reichen Liedschaffen bringt man den Namen Sergey Prokofiev in Verbindung und doch hat jetzt die russische Mezzosopranistin Margarita Gritskova eine interessante CD mit Songs und Romanzen des Komponisten, der lange in Frankreich lebte, aber 1936 freiwillig in die Sowjetunion zurückkehrte, aufgenommen. Diese seine seltsame Entscheidung erklärt auch die bunte Vielfalt, die die 16 Tracks auszeichnet, die teilweise vom französischen Impressionismus, teilweise von den Anforderungen, die das stalinistische Russland an seine Künstler stellte, geprägt, in jeder Hinsicht jedoch hoch interessant sind.

Natürlich dürfte es eine solche CD auf dem westeuropäischen Markt nicht leicht haben, hätte Naxos nicht vorgesorgt und ein hilfreiches Booklet mit einer kompetenten Einführung in das Liedprogramm und mit Übersetzungen oder zumindest Inhaltsangaben der Musikstücke es dem Hörer ermöglicht, sich an der CD nicht nur zu erfreuen, sondern die einzelnen Lieder auch zu verstehen.

Es beginnt mit einem fast schon kleinen Operneinakter, dem ältesten, aus dem Jahr 1914 stammenden Stück, der Geschichte vom hässlichen Entlein, das sich zum  stolzen Schwan entwickelt, und es ist erstaunlich, dass der Hörer, obwohl der Text nicht übersetzt wurde, die Geschichte nachvollziehen kann, so deutlich kann die Sängerin Gefühlszustände, Handlungsabläufe nachvollziehbar machen, weiß sie Groteskes wie Gefühlvolles zu vermitteln mit einer angenehm timbrierten Stimme perfekt angebundener Höhe, die die Mezzofarbe zu bewahren weiß.

Es folgen drei der Five Poems aus dem Jahr 1915, dessen erstes, Das graue Kleidchen, eine klare Rollenverteilung zwischen dem Erzähler und der Titelfigur, der Verkörperung von Leid und Tod, hörbar macht, wobei fasziniert, wie die Stimme des Mädchens gerade, weil sie zart und verhalten bleibt, besonders geheimnisvoll klingt. Vertraue mir  ist ähnlich unheimlich, der in feinem Schwebezustand gehaltene Mezzo weiß die zu nichts Gutem führende Verführung, in der bereits das „Blätter fallen“ erahnbar ist, perfekt und damit nachvollziehbar zu verdeutlichen. Auch Der Zauberer, und hier verstärkt die wie tröpfelnd klingende Begleitung der einfühlsamen Maria Prinz diesen Eindruck, klingt die Stimme im „ so sang man es in alten Liedern“ wie sich verlierend an die unheimliche Atmosphäre.

Es folgen fünf Lieder auf Gedichte von Anna Akhmatova, und hier kann sich in Echte Zärtlichkeit das schöne Timbre voll entfalten, kann die Sängerin aber auch zugleich beweisen, wie farbig ein gut gestütztes Piano sein kann, während in  Erinnerung an die Sonne auch das Verlöschen sich in Schönheit vollziehen kann. Grüß dich  lässt erst in den letzten Worten  das Grässliche der Geistererscheinung hörbar werden, in Der grauäugige König lässt die Sängerin den Hörer darüber staunen, wie sie eigentlich eintönig Traurigem immer wieder neue vokale Nuancen abgewinnen kann.

In Denk an mich! Mit dem Text von Konstantin Balmont entwickelt die Stimme und mit ihr das Piano aus dem quasi akustischen Nichts Hochdramatisches bis hin zum Schrei „Denk an mich“, und auch Stöhnt ein graues Täubchen eignet sich nicht zum Ausstellen einer schönen Stimme, sondern verlangt nach der Fähigkeit zum Nuancieren, zur Charakterisierung, zum feinen sich Steigern im scheinbar Eintönigen, was Sängerin und Pianistin sich hörbar nicht nur vorgenommen, sondern auch verwirklicht haben.

Angeblich der Text eines russischen Volkslieds soll Anjutka sein, in dem dieselbe zu fleißigem Lernen aufgefordert wird, da ja im neuen Russland der Tüchtige sogar dank der Oktoberrevolution bis ins Präsidentenamt aufsteigen kann. Man vermeint in der Begleitung des Klaviers zu hören, dass sich der Komponist über sein eigenes Werk lustig macht, aber das ist vielleicht auch überinterpretiert. Das Plappermaul hingegen hält in virtuosem Temporeichtum, was es im Titel verspricht.

Plakativer als die anderen Tracks ist auch Das Totenfeld, für das die Sängerin die ihre den Charakter einer Naturstimme annehmen lässt.  In munterem Plauderton zart hingetupfte Töne hat sie für Im Morgenrot, einen verführerisch-herausfordernden Ton nimmt sie schließlich für Katarina an und führt nicht nur dieses Lied, sondern die gesamte CD zu einem mitreißenden Abschluss (Naxos 8.574030). Ingrid Wanja