Eigentlich Arien mit Klavierbegleitung sind die meisten Verdi Songs, die unter dem Titel La Seduzione mit der spanischen Sängerin Carmen Solís mit Rubén Fernández Aguirre am Piano aufgenommen wurden. Und so ist es vollkommen gerechtfertigt, dass die Sängerin sich nicht um Liedgesang, wie er auf deutschen Podien geschätzt wird, bemüht, sondern wie auf einer großen Bühne in die Vollen geht. Das Rüstzeug dazu hat sie: Obwohl Sopran, hat die Stimme eine so präsente, so leuchtende Mittellage, dass man zunächst der Meinung sein könnte, einen Mezzosopran vor sich zu haben. Die tiefe Lage ist gut angebunden und alle Register sind mit einem Timbre nobler Melancholie begabt, haben den schönen Schmerzenston, der den Verdi-Opernheldinnen so gut ansteht.
Der erste Track ist eine italienische Fassung von Gretchens „Ach, neige du Schmerzensreiche“, hier „Deh, pietoso, oh Addolorata“, in dem niemand Goethes Figur vermuten würde, dazu ist die Stimme zu „fleischig“, zu reif, zu dramatisch geführt, alles in allem in jedem Ton una Margherita italiana.
Wie substanzreich der Sopran ist, kann man auch im Piano der titelgebenden „Seduzione“ wahrnehmen, die gar traurig endet mit einem anonymen Grab ohne Stein oder Schmuck. Das melancholische Timbre bleibt auch im leichtsinnigen „Stornello“ erhalten, vermittelt trotzdem den störrischen Übermut des Stücks. Wie eine Opernarie mit Rezitativ und Cavatine aufgebaut ist „Cupo è il sepolcro“, das nicht cupo klingt, sondern mit einem reichen vokalen Farbenspiel erfreut, ebenso wie das schöne Legato in „È la vita un mar“. Eine etwas deutlichere Diktion wünscht man sich für „Ad una stella“, wo die Stimme willig dem Streben nach reicher Agogik gehorcht, während in „In solitaria stanza“ auffällt, wie gut die Interpretin die Spannung aufbauen und halten kann. Hier wie in anderen Tracks meint man immer wieder Bruchstücke von bekannten Arien zu vernehmen, so hier die der Trovatore-Leonora. Und die generöse Phrasierung, die man sich für die Musik des großen Komponisten wünscht, lässt die Sängerin auch „L’Esule“ angedeihen, wobei man sogar eine Art Cabaletta wahrzunehmen glaubt.
Von ungeheurer Eindringlichkeit ist „Non t’accostar all’urna“, dessen Darbietung mit reicher Stimme einem Hofmannstals „wie schwerer Honig“ nicht aus dem Sinn kommen lässt, und das „ombra mesta“ lässt erschauern. Aber auch Sopranhöhen und eine angenehme Leichtigkeit der Stimmführung lässt die Solís vernehmen, und zwar im „Spazzacamino“, dem „Schornsteinfeger“. Einer Elvira oder Odabella gut anstehen würde „Il tramonto“ mit generösen Bögen und schönem Verklingen. Einen dunklen Schleier legt die Sängerin für die „Notte oscura“ über ihre Stimme, eine raffinierte Piano-Tiefe hat sie für „Il mistero“, ehe schließlich mit dem Brindisi mit strahlender Höhe pure Lebensfreude verbreitet wird. In allen ihren Intentionen erhält sie kompetente Unterstützung vom Pianisten Rubén Fernández Aguirre, und eine CD mit Opernarien sollte baldmöglichst folgen (IBS5192019/ weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja