Simon Wallfisch ist nicht nur Sänger. Er ist zudem Cellist. Für Brahms dürfte das kein Nachteil sein. Der hat für das Cello komponiert. Die dunklen schattigen Töne, die dieses Instrument hervorzubringen im Stande ist, meint man aus vielen Werken herauszuhören. Auch aus den Liedern. Der 1982 in London geborene Bariton hat jetzt eine CD mit siebenundzwanzig Titeln vorgelegt: Songs of Loss and Betrayal. Erschienen ist sie bei Resonus (RES10258). Begleitet wird er von Edward Rushton, der sich auch als Opernkomponist einen Namen gemacht hat. Aufmerksamkeit und Anerkennung verdient die CD allein durch die Programmauswahl. Wallfisch pickt sich nichts heraus aus dem reichen Liedschaffen von Brahms. Er geht stringent vor und hat vier in sich geschlossene Gruppen, wie sie vom Komponisten geschaffen, zusammengestellt und bezeichnet wurden, eingespielt. Im Einzelnen sind das Lieder und Gesänge, Op. 32; Lieder und Gesänge von G. F. Daumer, Op. 57; Fünf Lieder, Op. 105 und Fünf Lieder Op. 94. Daumer, der im Titel einer Gruppe ausdrücklich genannt ist, dürfte als Erzieher des rätselhaften Findlings Kaspar Hauser mehr in Erinnerung geblieben sein denn als Lyriker. Er war einer der bevorzugten Textdichter des Komponisten. Um die fünfzig Lieder gehen auf ihn zurück, darunter die „Liebeslieder“ und die „Neuen Liebeslieder“, in denen nur das Finale einem Gedicht von Goethe folgt.
Auf der neuen CD tauchen auch die Dichter Friedrich Rückert, August von Platen, Emanuel Geibel und Detlev von Liliencron auf. Mit der „Sapphische Ode“ und den Liedern „Wie Melodien zieht es mir“, „Immer leiser wird mein Schlummer“ oder „Wie bist du, meine Königin“ sind Meisterwerke im Angebot, die jedem auf Anhieb in den Sinn kommen, wenn nur der Name Brahms fällt. Sie gelingen Wallfisch ganz vorzüglich, was vielleicht auch darauf zurückzuführen ist, dass sie dem Sänger wie in die Kehle geschrieben scheinen. Sein Bariton klingt erdig und gelegentlich etwas herb und rau. Während die Mittellage in sich geschlossen dahin fließt, fällt die Höhe mitunter etwas knapp aus. Der Sänger ist noch jung genug, um weiter daran zu arbeiten.
In jüngster Vergangenheit hatte Simon Wallfisch, der auch in Leipzig und Berlin studiert hat, durch eine persönliche Entscheidung Aufsehen erregt. Aus Sorge um die Auswirkungen des Brexit in seinem Heimatland hatte er zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Wenn er weiterhin in ganz Europa auftreten wolle, dann könnte der britische Pass dafür schon bald nicht mehr reichen, äußerte er in einem Interview für „Focus Online“. Regelmäßig begleitete er bei Reisen seine 1925 geborene Großmutter Anita Lasker-Wallfisch, die selbst Cellistin ist und als eine der letzten bekannten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz gilt. Vor neuem Antisemitismus hatte sie 2018 in einer bewegenden Rede im Deutschen Bundestag gewarnt (Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei https://www.note1-music.com/shop/.). Rüdiger Winter