Sergei Rachmaninow, bekannt als Pianist und Schöpfer bedeutender Klavierwerke, hatte sich nach seiner Emigration 1917 in die Schweiz und später in die USA nicht mehr an wortbetonten Kompositionen versucht, wohl ein Zeichen für den tiefgehenden Verlust seiner Heimat. Seine vier Opern sind sämtlich vor der Emigration entstanden; es sind dies neben der Fragment gebliebenen Monna Vanna (1907 nach Maurice Maeterlinck) Aleko (1892 nach Puschkins Zigeuner), Der geizige Ritter (1905 nach Puschkins gleichnamiger Kleinen Tragödie) und Francesca da Rimini (1906 aus Dante Alighieris Göttlicher Komödie).
Rachmaninows Erstling Aleko spielt im Zigeuner-Milieu, wo der Titelheld und Semfira mit dem gemeinsamen Kind leben. Als sich Semfira in einen jungen Zigeuner verliebt, tötet der eifersüchtige Aleko beide. Wider Erwarten üben die Zigeuner keine Rache, sondern verstoßen ihn aus ihrer Mitte.
Der geizige Ritter ist eine fast wortgetreue Vertonung von Puschkins „kleiner Komödie“ aus dem Mittelalter: Ein besitzgieriger Ritter hält entgegen den Standespflichten seinen Sohn Albert so arm, dass dieser fast den Einflüsterungen eines jüdischen Geldverleihers nachgibt, den Vater zu töten. Als dieser seinen Sohn des Diebstahls beschuldigt und der Herzog als Landesherr zwischen beiden vermitteln will, trifft den Alten der tödliche Schlag.
Im Zentrum von Francesca da Rimini steht eine tragische Liebesgeschichte: Heerführer Lanceotto Malatesta, der eine Liebesbeziehung zwischen seiner Frau Francesca und seinem Bruder Paolo vermutet, stellt beiden eine Falle. Beim Vorlesen der Geschichte vom Ritter Lancelot und der schönen Ginevra, der Gemahlin des Königs Artus, erkennen sich Paolo und Francesca im Schicksal beider wieder und gestehen einander ihre Liebe; Malatesta hat sie belauscht und tötet sie.
Die drei Kurzopern wurden unter dem Titel Troika zusammengefasst und 2015 während der Renovierung des Théâtre de la Monnaie am Brüsseler Theatre National produziert; ein Mitschnitt vom Juli 2015 ist bei BelAir erschienen. Für die Inszenierung der äußerst selten gespielten Opern hatte man die Dänin Kirsten Dehlholm verpflichtet, die auch als Performance- und Medienkünstlerin bekannt ist. Das Orchester ist vorn auf dem Podium postiert, die Sängerinnen und Sänger dahinter auf einer großen, nach hinten aufsteigenden Treppe, die durch Bäume mit Herbstlaub und meist abstrakt-farbigen Videos „bebildert“ wurde (Maja Ziska/Magnus Pind Bjerre). Während in Aleko und Francesca da Rimini das Orchester zu sehen ist, erscheint es im Geizigen Ritter nur schemenhaft hinter einem Vorhang Leinwand, vor der die Sänger ihren Part nur selten Emotionen zeigend ins Publikum singen. Solisten und Choristen sind in allen Opern abenteuerlich bunt, teilweise übermäßig unförmig gekleidet, offenbar um in nichts die Personen zu kennzeichnen, die sie darstellen (Manon Kündig). Die Personenführung ist mit unverständlichen Gesten derart stilisiert á la Robert Wilson, dass man die tragische Dramatik der Stücke nur ahnen kann. Manche mögen das – ich kann mich damit nicht anfreunden. Ein großer Nachteil ist auch, dass so von der Musik, die man ja bei so selten gespielten Werken eigentlich kennenlernen will, allzu viel ablenkt, denn sichtbar gibt es keine Handlung, und die Videos illustrieren im Grunde nur. Also, entweder man führt solch unbekannte Stücke konzertant auf, oder versucht sich an der szenischen Gestaltung – aber bitte nicht so ein Misch-Masch!
Bleibt die Musik – wenigstens die findet eine niveauvolle Wiedergabe: Mikhail Tatarnikov, Chefdirigent am St. Petersburger Mikhailovsky-Theater, hat ein gutes Gespür für die vorwärtsdrängende, romantisierende Musik mit zahlreichen folkloristischen Anklängen in Aleko, aber auch für das Parlando im „geizigen Ritter“ und die Leitmotivik in Francesca da Rimini. Das in allen Gruppen ausgezeichnete Orchestre symphonique de la Monnai folgt seinem temperamentvollen, aber stets präzisen Dirigat und leistet damit eine ansprechende Ausdeutung der unterschiedlichen Werke. Dazu trägt auch der Chor des Theaters (Einstudierung: Martino Faggiani) durch ausgewogene Klangpracht bei. Die sängerische Besetzung zeigt ebenfalls recht hohes Niveau: Als Zemfira und Francesca gefällt Anna Nechaeva, die beide Partien mit hoher Tessitura glänzend und blitzsauber ausfüllt und die Ensembles überstrahlt. Den jeweiligen Liebhaber, den jungen Zigeuner und Paolo, präsentiert ausgesprochen stimmschön Sergej Semishkur. Mit dunklem, weich geführtem Bassbariton gefällt Kostas Smoriginas als Aleko. Den Alten im Geizigen Ritter gibt Sergei Leiferkus mit der ganzen Ausdrucksstärke seiner immer noch tragfähigen Stimme. Der prägnante Bariton von Dimitris Tiliakos passt bestens zur Rolle des eifersüchtigen Malatesta in Francesca da Rimini. In weiteren kleineren Partien überzeugen mit markantem Tenor Dmitry Golovnin als Albert und Dante, die Mezzosopranistin Yaroslava Kozina als Zigeunerin, Alexander Kravets als jüdischer Geldverleiher, der Bassist Alexander Vassiliev als alter Zigeuner, Diener (im Geizigen Ritter) und als Vergils Schatten sowie mit weichem Bariton Ilya Silchukov als Herzog.
Insgesamt ist die Aufnahme trotz aller szenischer Vorbehalte eine gute Gelegenheit, sich den unbekannten, äußerst selten aufgeführten Kurzopern Rachmaninows zu nähern (BelAir BAC133, 2 DVD). Gerhard Eckels