Immer wieder Staunen erregt die mutige Spielplanpolitik des Teatro Lirico von Cagliari, die den Zuschauer seit vielen Jahren mit wenig oder noch nie gespielten Opern beglückt, nicht nur italienischen, sondern sogar auch mit einer Euryanthe, die man in Deutschland fast nie zu sehen bekommt. Im Februar 2017 stand Ottorino Respighis La bella dormente nel bosco auf dem Spielplan, ist jetzt bei Naxos als Blu-ray zu haben und ein ungetrübter Seh- und Hörgenuss.
Der Komponist, vor allem für seine sinfonischen Dichtungen wie I pini di Roma oder Le fontane di Roma bekannt, komponierte das Stück für Sänger, Tänzer und Mimen 1922 für das Marionettentheater Teatro dei Piccoli, es wurde aber im Teatro Odescalchi in Rom uraufgeführt, die revidierte Fassung von 1934 hatte im Teatro di Torino ihre erste Aufführung. Das Libretto stammt von Gian Bistolfi, der es nach einem Feenmärchen von Charles Perrault verfasste.
Es handelt sich um eine Dornröschen-Version, um die Rache einer nicht zur Taufe der Prinzessin eingeladenen Fee, deren hartes Urteil von einer gutmeinenden, hier der Fata Azzurra, abgemildert wird. Durch den Kuss des mutig durch das um das Schloss gewachsene Gestrüpp vordringenden Prinzen Aprile wird die nach einem Stich durch eine Spindel in Schlaf gefallene Prinzessin wieder wach, und es wird ein rauschendes Hochzeitsfest gefeiert. Neben dem klassischen, auch der deutschen Version bekannten Personal treten in der Märchenoper noch Personen aus der modernen Welt wie der Mister Dollar auf, der sich der eigentlichen Braut des Prinzen annimmt, und dazu viele singende oder tanzende Tiere.
Giada Abiendi als Bühnenbildnerin und Vera Pierantoni Giua als Kostümbildnerin sind für eine wahrhaft märchenhafte Optik verantwortlich. Auch die phantasievolle Lichtregie von Alessandro Verazzi trägt wesentlich dazu bei, dass der Zuschauer aus dem Staunen nicht herauskommt über die phantasievollen Vogelkostüme für Nachtigall und Kuckuck, die quicklebendige Spindel, das Ballett der Ärzte in venezianischen Kostümen der Pestzeit, den Feenstaub, der sich auf die Bühne niedersenkt, das Wachsen der Hecke, die eher einem Spinnennetz ähnelt. Da schadet es gar nichts, dass die Alte im Turm des Schlosses zwar immer behauptet, sie spinne, in Wahrheit aber strickt. Eigenartig ist bei dem allem nur, dass man im Publikum kein einziges Kind erblickt – aber vielleicht ist die aufgenommene eine Spätvorstellung. Die Regie von Leo Muscato allerdings ist durchaus eine auch kindgerechte.
Erstaunlich ist, dass man für ein so selten aufgeführtes Werk durchaus ansehnliche Sänger gewinnen konnte. Die müssen zum größten Teil gleich zwei oder mehr Partien bewältigen. Nur Il Principe Aprile ist mit dem feinen lyrischen Tenor von Antonio Gandia besetzt, der sonst keine weitere Rolle innehat. La Principessa wird von Angela Nisi mit einem Koloratursopran von jugendlichem Timbre gesungen. Veta Pilipenko verleiht ihren sanften Mezzosopran La Regina, La Vechietta und La Rana, Bariton Vincenzo Taormina kann erst als Re richtig auftrumpfen, nachdem er bereits den Ambasciatore gesungen hat. Als La Fata Azzurra lässt Shoushik Barssoumian über glitzernde Koloraturen staunen, auch wenn es in der Extremhöhe manchmal scharf wird. Enrico Zara nimmt man nicht übel, dass er nicht singen kann, seine Rollen, Mister Dollar und Il Buffone waren wohl eher als solche für einen Sprecher gedacht. Zauberhaft ist Claudia Urru als L’Usignolo und Il Fuso (Spindel), Lara Rotili bewältigt gleichermaßen souverän La Fata Verde, il Gatto, la Duchessa und il Cuculo. Lustig ist es, wenn zum Schlussapplaus die Sänger zwar im Kostüm der letzten, aber dazu noch mit den Requisiten ihrer weiteren Rollen auftreten.
Im von Donato Renzetti geleiteten Orchester hört man viel Strauss, Puccini, aber auch die pini rauschen und die fontane plätschern, und auch die feste Romane werden gefeiert – es bietet eingängige, geistreiche, angenehme Musik. Das ist allerbeste und allerfeinste Unterhaltung (Naxos NBD0106V)! Ingrid Wanja