Das letzte Mal, dass ich Mirella Freni persönlich erlebt habe, war nicht bei einem ihrer Auftritte auf einer Bühne, sondern Mitte der Achtziger bei einem Gala Diner zu Ehren von Raina Kabaivanska nach einer Aufführung von Cileas Adriana Lecouvreur in Modena, wo plötzlich neben der glamourösen Figur der bulgarischen Diva beglückwünschend eine schlichte Erscheinung auftauchte, quasi una vicina, die so unauffällig, wie sie erschienen war, auch wieder verschwand. Aber immerhin war damit dem Gerücht, zwei weltberühmte Diven in einer Stadt könnten einander nicht ausstehen, der Boden entzogen. Auf der Bühne war mein letztes Mal mit Mirella Freni in Wien in der Strehler-Inszenierung von Simone Boccanegra gewesen, in der sie die Amelia sang, ihr Bühnengroßvater war Nicola Ghiaurov, ihr zweiter Ehemann. Sie hat dann noch lange gesungen, bis zum Jahre 2005 und zunehmend auch das russische Repertoire als Tatjana mit Ghiaurov oft als Gremin. Nach ihrem Abschied von der Bühne war Mirella Freni als Gesangspädagogin tätig.
Angefangen hat die Karriere der am 27. Februar 1935 Geborenen bereits mit zehn Jahren, als sie bei einem Concorso der RAI „Un bel di vedremo“ sang, nach einem Gesangsstudium debütierte sie als Zwanzigjährige in Modena als Micaela, 1962 war ihr erster Scala-Auftritt mit der Nanetta. Butterfly war sie später auch unter Karajan, aber Legende ist ihre Mimi an der Scala 1963 und in den Jahren darauf, auch unter dem Dirigenten, der ein besonderes Faible für sie hatte. Das Ideal eines lyrischen Soprans passte auch optisch in die Partie der Grisette so wie in die der Susanna, denn in der Frühzeit ihrer Karriere sang die Modeneserin und Milchschwester von Luciano Pavarotti auch dieses Fach, später dann auch Verdi und Verismo, so Adriana und Fedora, und auf alle ihre Figuren traf zu, was der Bürgermeister von Modena, Gian Carlo Muzzarelli, in seinem Nachruf schrieb: „Ci ha lasciato una voce splendida“, nachdem er davon gehört hatte, dass Mirella Freni nach langer Krankheit in ihrem Haus am Nachmittag des 9. Februar 2020 verstorben ist. Ingrid Wanja
Ingrid Wanja