Wer hätte das gedacht: Man muss nach Rom fahren, um wirklich und gleichermaßen im optischen wie akustischen Bereich hoch befriedigende Tristan und Isolde zu erleben, nicht einen wie in deutschen Landen von Ideologien verschiedenster Art entstellten oder wie südlich der Alpen, wo man Wagner wenig liebt, von einem auf italienischen Belcanto spezialisierten Orchester verunzierten. Daniele Gatti hat das Wunder vollbracht, aus dem Orchester der Römischen Oper ein wirkliches Wagnerorchester zu erschaffen, das den in dieser Hinsicht hoch gerühmten nördlich der Alpen in nichts nachsteht. Zwar fehlt ihm im Vorspiel zum ersten Akt abgesehen vom Schluss noch das Drängende. Zwingende, aber im zweiten Akt ist die Dramaturgie eine strikt auf den Höhepunkt zu arbeitende, im dritten Akt peitscht es Tristan geradezu in den Wahn, nachdem das Vorspiel den Hörer bereits den Atem anhalten ließ. Daniele Gatti, ja auch Bayreuth-erprobt, hat eine sensationelle Arbeit geleistet, und das römische Publikum, oft beim letzten Ton bereits im Aufbruch zur nächsten Metrostation begriffen, dankt es ihm mit so tosendem wie lang anhaltendem Applaus.
Für die Optik der auch in Paris (Champs-Élysées) und Amsterdam zu erlebenden Produktion ist als Regisseur Pierre Audi verantwortlich, der das Verhältnis zwischen den beiden Liebenden als ein spirituelles auffasst, was er dadurch zum Ausdruck bringt, dass sie einander während des gesamten langen Abends kaum einmal berühren. Als minimalistisch könnte man eine Regie bezeichnen, die zwar im ersten Akt noch einige der Mannen Tristans an Deck flanieren lässt, aber ansonsten eher in der Verhinderung von Aktion – so fällt Isolde Tristan in den Arm, als er das Schwert gegen Melot erhebt – als in der Darstellung derselben ihr Heil sucht. Christoph Hetzer hat die dazu passende Bühne gebaut: sich aufeinander zu und voneinander weg bewegende Quader für den ersten, Im Verfall begriffene Schiffsplanken für den zweiten und einen Unterstand für den dritten Akt. Wessen Mumie, ob Tristans Vater, seine Mutter oder wer sonst, auf einem Gestell aufgebahrt ist, bleibt im Dunkeln. Die Kostüme sind zeitlos, lange Trenchcoats sichtlich beliebt.
Wer ist heutzutage der ideale Tristan? Natürlich Andreas Schager, noch jung und ansehnlich genug, um optisch zu überzeugen, und vokal einfach unverwüstlich, textverständlich, dass niemand, zumindest kein Deutschsprachiger, sich darüber beschweren kann, dass es keine Untertitel gibt (für Ausländer natürlich eine Zumutung), unermüdlich riesige Bögen singend, mit wunderschönem Fluss in „so starben wir, um ungetrennt“, und auch im dritten Akt ohne jede Ermüdungserscheinung. Und selbst nach seinem Bühnentod spielt er noch mit, indem er möglichst wenig und ganz flach zu atmen versucht. Eine hübsche, noch junge Isolde ist Rachel Nicholls mit tief berührendem „er sah mir in die Augen“, versonnenem „doch unsere Liebe“, mit weicher, runder, heller Sopranstimme, die nur im Liebestod nicht um einige scharfe Töne herumkommt. Textverständlich, mit warmem Timbre und wundersam zärtlich in den letzten Phrasen stellt sich die Brangäne von Michelle Breedt dar, während der Kurwenal von Brett Polegato markant einen echten Heldentenor hören lässt. Majestätisch, erhaben, gar nicht altersmild, sondern mit heldischem Bass singt John Relyea einen berührenden König Marke. Rainer Trost verleiht seinen frischen Tenor dem jungen Seemann. Wer Tristan genießen will, ohne sich über ein dem Heroin ergebenes (DOB) oder ein dem small talk verpflichtetes Liebespaar (Lindenoper) erbosen zu müssen, wird an dieser Blu-ray aus dem Rom von 2016 seine Freude haben (C-Major 752304 Bluray). Ingrid Wanja