Von der Kunst der scheinbaren Leichtigkeit

 

Nur absoluten Fans wird die große Elisabeth Schwarzkopf auch als Operettensängerin in Erinnerung sein, gilt sie doch als die Liedersängerin ihrer Generation und darüber hinaus als Mozart- und Strauss-Interpretin par excellence. Aber die herrlichsten und verführerischsten Operetteneinspielungen, komplett und einzeln-arig, sind unter den frühen Aufnahmen der Sängerin zu finden, namentlich unter Otto Ackermann in den Fünfzigern in London mit einem vom Ehemann Legge handverlesenen Ensemble. Dazu kam die die Fledermaus unter Herbert von Karajan 1955. Neben der wunderbaren und hochsuggestiven Einzel-Arien-Operetten-LP/CD mit solchen Perlen wie Giuditta, Der Vogelhändler, Die Dubarry, Casanova u. a. (von 1959, alle Columbia) sind es die Gesamtaufnahmen der Fünfziger, Der Zigeunerbaron, Die Lustige Witwe (I)Das Land des Lächeln, Die Fledermaus  sowie Eine Nacht in Venedig (ach dies köstliche „Frutti di mare..“), auf denen das ganze Talent des unerreicht Scheinbaren sichtbar wird (Die Lustige Witwe von 1963 unter Lovro von Matacic ist da schon recht reif und nicht mehr so spielerisch, man nimmt mehr an der harten Arbeit teil).

Das DELBARRE Abendkleid von Elisabeth Schwarzkopf: Abend- oder Ballkleid aus gelber Moiré-Seide, ca. 1897. Londoner Label: (Frau) „Delbarre, Elizabeth Street, 73. Eaton Square“, ca. 1897; getragen von Elisabeth Schwarzkopf, abgebildet in „The Woman in Fashion“, 1949 von Doris Langley-Levy Moore,  bei Batsford; 1St Edition edition (1949);  LXXI und LXXII, Seite 132 / in Antique Gown/ s. auch  Amazon; Joseph A. Admire schreibt: The hook for this long-out-of-print book is that the vintage fashions, mainly from the 19th century, are modelled by the British celebrities of the day. Thus, you get luminaries such as Vivien Leigh and a young Vanessa Redgrave dressed in the height of Regency, Victorian, Edwardian and flapper costumery. Numerous high-quality full-page photos in B&W (photographed by Felix Fonteyn, husband of Margot Fonteyn, who also appears as one of the models). Every outfit is accompanied by a page-length discussion. Highly recommended as a fashion and classic-film collectible!

Kunst ist Können und nicht Realität – die Schwarzkopf macht uns glauben, sie sei diejenige selbst, deren Arien und Couplets sie singt. In diesem Moment ist sie die fremde Rolle, die mit ihr als reale Person herzlich wenig zu tun hat. Sie verfügt über das Geheimnis, uns eine lebendige Gestalt vorzustellen, die in diesem Moment der Präsentation (und die war ganz sicher keine spontane, sondern hart erarbeitete) uns völlig überzeugt und gefangen nimmt. Sicher, mancher würde andere vorziehen – ich z. B. Sena Jurinac als Saffi, die erdiger und „realer“ scheint. Und der Schwarzkopf wird immer wieder ihre „Manier“ vorgeworfen, eine gewisse „Zickigkeit“ – was blanker Unsinn ist, denn die künstlerischen Ausdrucksmittel eben dieser Sängerin führen zu eben diesem, für mich wie für viele, überzeugenden Ergebnis. Das gilt auch für andere operettennahen Rollen wie ihre hochpersönliche Arabella und selbst für die recht späte und nur durch die Absage von Maria Callas zustande gekommene Giulietta (Les Contes d’Hoffmann  von 1965 unter Cluytens), die noch einmal (und auch da für mich unerreicht) von ihrer großen Kunst der scheinbaren Sinnlichkeit profitiert.

Nachstehend haben wir – apropos Offenbach und sein Jubiläumsjahr 2019 (gewiss ein etwas angestrengtes á propos) – ein Gespräch „ausgegraben“, das Schwarzkopf-Kenner Thomas Voigt mit ihr zum Thema Operette geführt hat und das im März 1995 in der Opernwelt erschien. Es gibt noch einmal die immense Einsicht dieser großen Sängerin in ihre Kunst wider. Danke Thomas für den Text!

 

Elisabeth Schwarzkopf: die Operetten-LP bei Columbia

Frau Schwarzkopf, Sie haben einmal gesagt: Eine Operette gut aufzuführen, ist beinahe noch schwieriger als eine Mozart-Oper. Was macht denn das Leichte so schwer? Operette verlangt viel mehr Improvisation. Das heißt, dem Zuhörer soll alles improvisiert erscheinen, aber es darf natürlich niemals improvisiert sein. Und dazu braucht man vor allem einen erstklassigen Dirigenten, der dem Sänger Freiheiten läßt, der diese Rubato-Kunst, dieses „give-and-take“ beherrscht. Einer, der das fabelhaft gekonnt hat, war Otto Ackermann, mit dem wir den Großteil unserer Operetten-Aufnahmen gemacht haben. Wir Sänger durften uns Freiheiten herausnehmen, mußten aber immer im Rahmen bleiben. Und das ist halt die große Kunst: genau zu wissen, wie weit die Freiheit gehen darf.

 

Diese Aufnahmen, die ihr Mann Walter Legge in den 50er und 60er Jahren produziert hat, gelten nach wie vor als Maßstab. Es sind überaus feinsinnige, kunstvolle Interpretationen – vielleicht sogar Verfeinerungen der Stücke. Nein, nein, diese Qualität steckt schon in den Stücken; es steht alles da, man muß es nur herauslesen. Und selbstverständlich haben wir Operette mit derselben Sorgfalt – auch mit derselben Technik – gesungen, mit der wir Mozart und Strauss gesungen haben. Jedenfalls haben wir uns bemüht, unsere Partien mit der größtmöglichen vokalen Eleganz abzuliefern. Das können Sie auch in den sogenannten Buffopartien hören, die sonst oft in den Sprechgesang abrutschen. Das hat bei uns der Erich Kunz gesungen, und er hatte nun wirklich eine bildschöne, sinnliche Stimme.

 

Also könnte jeder gute Mozartsänger auch mit Erfolg Operette singen? Oder braucht man nicht doch „das gewisse Etwas“? Natürlich muss der Witz, die Ironie und all das, was zwischen den Noten steht, dauernd anklingen. Das war ja bei den Aufnahmen unser Bestreben: An Ausdruck hörbar zu machen, was man sonst eher nur im Gesicht und in der Gestik sehen würde – so dass man die Figuren vor Augen hat, wenn man sie nur hört. Eine klangliche Dramaturgie vor dem Mikrophon, das war das ZieI. Und das heißt nicht, dass da etwa eine Stimme zurechtfrisiert wurde. Mein Mann wollte immer, dass jede Stimme so klingt, wie sie live in einem Haus mit sehr guter Akustik gehört wird. Und da können Sie zum Beispiel auf den Aufnahmen hören, dass meine Stimme gar nicht riesig war.

 

Elisabeth Schwarzkopf: LP-Ausgabe des „Land des Lächelns“/ Columbia

Hätten Sie die Rosalinde oder die Lisa in Lehárs Land des Lächelns denn auch live singen können – und wollen? Die Rosalinde hätte ich schon gerne auf der Bühne gesungen, mit einem Dirigenten, der die Möglichkeiten meiner Stimme hätte einschätzen und das Orchester durchsichtig machen können. Da kommt es eben darauf an, daß der Dirigent weiß, bei welchen Stellen und in welcher Lage der Sänger Gefahr läuft, vom Orchester zugedeckt zu werden.

 

Braucht man für die Lisa nicht fast schon eine Tosca-Stimme? Nicht ganz. Man kann sie schon mit einer schlanken, biegsamen Stimme singen. Viele große Operetten-Sängerinnen haben ja in der Oper das Repertoire von der Susanna bis zur Gräfin gesungen haben. Nehmen Sie zum Beispiel Esther Rethy, die eine wundervolle Sophie im Rosenkavalier war und die später dann das große Operetten-Fach gesungen hat.

 

Lehárs erste Lisa war Vera Schwarz, die unter anderem eine Lady Macbeth singen konnte. Und sie konnte auch Mozart singen. Aber das ist eine große Ausnahme. Und ich glaube, dass es nicht so sehr auf die Größe der Stimme ankommt wie auf den Umfang. Denken Sie zum Beispiel an den Csárdás der Rosalinde. Da gibt es wohl kaum eine Sängerin, die sich nicht davor fürchtet – weil man außer der Höhe auch eine grundsolide Mittellage und eine klingende Tiefe braucht.

 

Elisabeth Schwarzkopf: „Eine Nacht in Venedig“/ Columbia-LP

Haben Sie überhaupt jemals Operetten auf der Bühne gesungen? Nur in meinen Anfängerjahren in Berlin. Da war zum Beispiel die Arsena im Zigeunerbaron, wo ich als Einlage den Frühlingsstimmenwalzer singen durfte. Und ich glaube, ich habe auch einmal die Adele gesungen.

 

Spaß ist für Sie ein Reizwort. Aber gehört nicht die Freude, die Lust am Singen bei der Operette einfach dazu? Nein, die Freude kommt immer erst hinterher, wenn es einem gelungen ist, dem Stück gerecht zu werden. Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben mit Freude gesungen, und das in Così fan tutte unter Josef Krips in Chicago. Selbstverständlich müssen Sie die Freude, die Lust, das Lachen und das Lächeln in die Stimme legen können – aber das ist etwas ganz anderes. Die Lust am Singen ist eher den Italienern, den Spaniern und den Slawen gegeben – aber nicht uns Nordeuropäern. Und das kommt sicher von der Sprache her.

 

Ihre Operetten-Aufnahmen haben im Ausdruck. vor allem eines: Ironische Distanz. Diesen etwas süffisanten, raffinierten, ironischen Ton, den man für die Operette unbedingt mitbringen muß, hatte ich auf Platten von Fritzi Massary und Yvette Guilbert gehört.

 

Elisabeth Schwarzkopf: auf mehreren Schellacks der Querschnitt vom „Wiener Blut“ mit Rupert Glawitsch und den Kräften des Deutschen Opernhauses Berlin unter Walter Lutze bei Telefunken

Die aber in Stimme und Ausdruck. ganz anders waren: chansonhaft, fast kabarettistisch. Natürlich haben Sänger dieser Generation ihre Stimme anders eingesetzt, als wir sie dann später eingesetzt haben, aber sie hatten eine grundlegende Stimmschulung. Was ja auch notwendig war, denn sie haften ja täglich auf der Bühne zu singen – und ohne Mikrophone, wohlgemerkt. Und natürlich auch ohne klammheimliche Verstärkung seitens der Tontechnik, wie es heute in manchen Opernhäusern fast schon an der Tagesordnung ist – ein Betrug am Publikum, für den ich keine Worte finde. Das ist ein Verlust an Integrität, wie er schlimmer nicht sein kann.

 

Was sind, außer der Improvisationskunst, für Sie die Kriterien für eine gute Operetten-Aufführung?  Ein Schlüsselbegriff ist sicher „Geschmack“ – leider ein Wort, das aus dem heutigen Sprachgebrauch fast verschwunden ist. Dazu könnte man einiges sagen. Doch auf Regisseure und Inszenierungen will ich in diesem Zusammenhang lieber nicht zu sprechen kommen. Wenn Sie Glück haben, werden Sie für eine Operetten-Produktion schon noch einen großen Dirigenten und auch geeignete Sänger finden; aber in erster Linie brauchen Sie einen großen Regisseur, der das Können hat – und eben Geschmack. Wie zum Beispiel Giorgio Strehler. Von dieser Qualität müßten Operetten-Inszenierungen sein.

 

Elisabeth Schwarzkopf: die späte „Lustige Witwe“ von 1963 bei EMI, vom Coverfoto oben ein Ausschnitt

Nun läßt sich nicht immer alles so dezent und diskret zeigen. Nehmen Sie den zweiten Akt der Fledermaus: Müßte da nicht ein Regisseur etwas deutlicher werden, indem er zeigt, was da mit den braven Bürgern passiert? Ach, so viel passiert auf dem Ball ja gar nicht. Natürlich ist da die große Verbrüderung am Schluß – aber da spricht eben die Musik die Hauptsprache, und in der Musik ist wirklich nichts Obszönes drin.

 

Und. was ist mit Zweideutigkeiten wie in Fritzi Massarys Aufnahme von „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“? Da besteht der Reiz gerade in der Andeutung. Und das ist für mich fast das Hauptkriterium für eine gute Operetten-Aufführung: Andeuten – und nicht mit dem Holzhammer arbeiten. Da kann ich nur mit Hofmannsthal sagen: „Und in dem wie, da liegt der ganze Unterschied.“

 

(aus: Opernwelt, März 1995; mit sehr freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion Opernwelt)

  1. marius peter

    Da kann ich mich Herrn Clarke nur anschliessen:

    Ein sehr guter einleitender Artikel und ein fantastisches Interview mit einer grossartigen Sängerin. Wenn ich ab und an mit Freunden oder Interessierten auf die Schwarzkopf zu sprechen kommen, gibt man sich oft unisono und augenverdrehend ablehnend gegenüber ihren auch hier erwähnten sogenannten Manierismen, dem in diesem Artikel ganz nach meinem Empfinden wohltuend und zu Recht widersprochen wird.

    Ihre Operetten-Aufnahmen (neben jenen der Hilde Güden, Sena Jurinac, etc…) gehören in der Tat zum Besten, was man in diesem Genre auf dem Tonträger-Markt finden kann. Und glücklicherweise sind sie auch aufnahmetechnisch für heutige Ohren noch top!

    Freundliche Grüsse,

    Marius Peter

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  2. Kevin Clarke

    Danke für dieses wunderbare Interview. Der Hinweis auf die Bedeutung des Dirigenten, der den Sänger_innen die Freiräume schafft, die für Operette nötig sind und der die Rubato-Kultur des Genres versteht, ist nach wie vor wichtig. (Man sieht das heute an der Komischen Oper mit Adam Benzwi, der das mit seinen Solisten schafft, während andere allzuoft einfach keinerlei Spielraum lassen für Musik und Text.) Großartig finde ich auch den Hinweis auf die Massary und Guilbert: Wenn Elisabeth Schwarzkopf von ihnen lernen konnte – mit solch überwältigenden Resultaten – dann könnte eine junge heutige Sängergeneration-im-Operettenfach das auch mal probieren. Anstelle von Erlebnissen wie Anna Netrebko als Csardasfürstin. (Von ihrer Giuditta will ich gar nicht erst anfangen…. das komplette Operettenalbum kommt bestimmt noch irgendwann. Lady Macbeth in Lehar-Land.)

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