Salieris Beaumarchais-Oper „Tarare“

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Eine der wichtigsten Opern im Umfeld der nahenden französischen Revolution ist Salieris Tarare, die einen veritablen und die aufgeheizte Zeit widerspiegelnden  Königs(selbst)mord auf der Bühne zeigt, der soeben bei dem Label Aparté unter Christophe Rousset mit seinem Ensemble Les Talens Lyriques in einer üppigen Ausgabe herausgekommen ist. Marcus Budwitius bespricht im Folgenden die neue Aufnahme. Und John Rice betont in seinem Aufsatz (aus dem Booklet zur neuen Ausgabe) die anspruchsvolle Zusammenarbeit von Antonio Salieri und Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, dessen Vorstellung vom Primat des durchaus revolutionären Wortes der Komponist seine reiche, sinnenfrohe und unglaublich üppig orchestrierte Musik entgegensetzt. G. H…

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„Tarare“: Der Komponist Antonio Salieri/OBAUnd nun der Aufsatz von John Rice: 

Und nun der Artikel von John Rice: Nachdem Antonio Salieri 1784 mit Les Danaides, seiner ersten Pariser Oper, die Anerkennung des französischen Publikums errungen hatte, trugen ihm die Direktoren der Academie royale de Musique (fortan l’Opera, d. h. die Pariser Oper, Anm. d. Ü.) die Komposition zweier weiterer Opernwerke an: Les Horaces und Tarare. Letzteres, auf ein Libretto von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, enthält vieles, was man mit der tragedie lyrique und der Opéra, deren Heimstatt seit Lully, verbindet, nämlich einen allegori­schen Prolog, fünf Akte, den verstärkten Einsatz von Chor und Ballett sowie eine durchgängige Orchesterbegleitung. Doch Beaumarchais und Salieri bezeichneten Tarare nicht als tragedie lyrique, sondern einfach als opéra, eine Oper. Diese vermischt Tragödie und Komödie, Exotik und Romantik, verbunden mit einer Tendenz zur politischen Allegorie, welche das vorrevolutionäre Pariser Publikum stark ansprach. Mit all diesen „Zutaten“ sowie Beaumarchais‘ Talent, die Werbe­trommel zu rühren, konnte Salieri die begründete Zuversicht hegen, dass ihm mit Tarare ein weiterer musikalischer Volltreffer zur Verfügung stünde.Warten auf Tarare: Für eine Oper aus dem 18. Jahrhundert durchlief Tarare eine ungewöhnlich lange Entstehungszeit. Ein Zensor genehmigte das Libretto bereits im März 1786, vierzehn Monate, bevor die Oper auf die Bühne kam. Kurz vor Ende Juli 1786 kehrte Salieri nach Paris zurück, wobei er der Komposition und Inszenierung von Les Horaces den Vorrang einräumte. Aber Beaumarchais, ein geschickter und unermüdlicher Werber in eigener Sache, sorgte dafür, dass Tarare in Paris bereits in aller Munde war. Ein nur unter dem Namen Hivart bekannter, im Orchester der Pariser Oper wirkender Cellist hatte Salieris Ankunft vermerkt. (Dieser Hivart diente dem russischen Grafen Nikolai Scheremetew als musikalischer Agent und schickte ihm Partituren, Libretti und anderes Material, das mit dem Pariser Musikleben und dem Theater zu tun hatte; seine in Sankt Petersburg aufbewahrten Briefe enthalten etliche wertvolle Informationen über die Oper in Paris in den 1780er Jahren.) Am 6. August 1786 schrieb Hivart an Scheremetew und erwähnte beide Opern, aber sein Interesse galt eindeutig eher Tarare: „Salieri ist gerade mit zwei neuen Opern, nämlich Tarare und Les Horaces, hier einget­roffen. Ersterer liegt ein morgenländisches Thema zugrunde, das von Monsieur de Beaumarchais auf eine ganz neue Weise für dieses Schauspiel behandelt wird. Tarare ist ein Soldat, der mit seinem Verstand und Können die Königswürde im Reich der Türken erlangt; sicherlich muss es viel Bewegung in diesem Stück geben, damit dieser Soldat vom ersten bis zum fünften Akt solch einen Aufstieg erleben kann. Langeweile wird man dieser Oper gewiss nicht zum Vorwurf machen können!“

Nachdem Antonio Salieri 1784 mit Les Danaides, seiner ersten Pariser Oper, die Anerkennung des französischen Publikums errungen hatte, trugen ihm die Direktoren der Academie royale de Musique (fortan l’Opera, d. h. die Pariser Oper, Anm. d. Ü.) die Komposition zweier weiterer Opernwerke an: Les Horaces und Tarare. Letzteres, auf ein Libretto von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, enthält vieles, was man mit der tragedie lyrique und der Opéra, deren Heimstatt seit Lully, verbindet, nämlich einen allegori­schen Prolog, fünf Akte, den verstärkten Einsatz von Chor und Ballett sowie eine durchgängige Orchesterbegleitung. Doch Beaumarchais und Salieri bezeichneten Tarare nicht als tragedie lyrique, sondern einfach als opéra, eine Oper. Diese vermischt Tragödie und Komödie, Exotik und Romantik, verbunden mit einer Tendenz zur politischen Allegorie, welche das vorrevolutionäre Pariser Publikum stark ansprach. Mit all diesen „Zutaten“ sowie Beaumarchais‘ Talent, die Werbe­trommel zu rühren, konnte Salieri die begründete Zuversicht hegen, dass ihm mit Tarare ein weiterer musikalischer Volltreffer zur Verfügung stünde. 

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„Tararae“: Adolphe Nourrit in der Titelrolle 1823/ Wikipedia

Beaumarchais als Opernreformer: Beaumarchais hatte stets einen Hang zu Kontro­versen und nutzte Tarare, um zu den Debatten über das Wesen und den Zweck der Oper beizutragen, die im gesamten 18. Jahrhundert Teil des französischen Geisteslebens waren. In seinem langen, kämpferischen Vorwort zu dem Textbuch, mit dem Titel „Aux abonnes de l’Opera qui voudraient aimer l’opera“ (An die Opernabon­nenten, die die Oper lieben möchten) etablierte er sich als Reformer, der wie so viele vor ihm die Größe und dramatische Kraft der griechischen Tragödie in die Oper einbringen wollte.

Warum, fragte Beaumarchais, spricht die Oper das Publikum nicht so stark an, wie man das erwarten könnte? Denn die Musik, welche sich auf ihre nützliche Funktion als „Verschönerung des Textes“ („d’embellir la parole“) beschränken solle, werde von Komponisten missbraucht: „Es gibt zu viel Musik in der Musik für das Theater, sie ist immer überladen; und um den naiven Ausdruck eines bekannten Mannes, des berühmten Ritters Gluck, zu verwenden, ,unsere Oper stinkt vor Musik‘: puzza di musica.“

Beaumarchais‘ Glaube an den Vorrang des Wortes über die Musik geht auch ohne jegliche Rechtfertigung aus Folgendem hervor: „Erstens das Stück oder die Erfindung der Fabel2, welche das meiste Interesse umfasst und enthält; nächst dieser dann die Schönheit der Worte oder die leichte Art, die Geschichte zu erzählen; dann der Reiz der Musik, der nur ein neuer Ausdruck ist, der dem Reiz der Verse hinzugefügt wird; schließlich die Ausschmückung des Tanzes, dessen Fröhlichkeit und Freundli­chkeit einige kühle Situationen verschönert. In der Reihenfolge des Vergnügens ist dies die Rangordnung, die für all diese Künste vorgesehen ist.“

Bezüglich der Problematik der in Opern aufgegrif­fenen Themen wandte sich Beaumarchais gegen die Verwendung von Geschichte und Mythologie als Quellen für die Handlung von Opern und lehnte damit die meisten der Themen ab, die zuvor von Librettisten ernsthafter, sowohl italie­nischer als auch französischer, Opern behandelt wurden: so „dass sehr verfeinerte Manieren zu methodisch seien, um theatralisch zu wirken. Die mannigfacheren und weniger vertrauten morgenländischen Sitten lassen dem [kreativen] Geist mehr Raum und scheinen mir höchst geeignet zu sein, diesen Zweck zu erfüllen.“

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„Tarare“: Emile Bayard als Calpigi 1876/ Wikipeedia

Beaumarchais und Salieri;: Um seine Ansichten über die Oper in die Tat umzusetzen, war Beaumarchais auf die Mitarbeit von Sängern und Orchester angewiesen, welche er in seiner Vorrede wortgewandt ansprach (…) Nicht alle Komponisten waren so willig wie Salieri, die Anforderungen des Schauspiels, wie sie vom Librettisten dargelegt wurden, über die der Musik zu stellen. Der dankbare Dichter widmete das gedruckte Textbuch dem Kompo­nisten und drückte dabei seine aufrichtige Achtung und Zuneigung aus (aber trachtete wie stets gleichzeitig danach, damit auch auf sich selbst aufmerksam zu machen).

Tarare – Quelle: Beaumarchais entnahm die Handlung zu Tarare der Erzählung „Sadak und Kalasrade“ aus einer Märchensammlung mit dem Titel The Tales of the Genii, die erstmals 1764 in englischer Sprache erschienen war und bald darauf in französischer Übersetzung herauskam (Les Contes des Genies)3. Obwohl auf den Titelseiten der ersten Ausgaben „aus dem persischen Manuskript getreulich übersetzt“ angegeben wurde, stammen The Tales of the Genii in Wirklichkeit von dem Engländer James Ridley, nach dem Vorbild der Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Der Name des Helden, Tarare (gleichbedeutend mit „Unsinn“), stammtaus einem anderen pseudo-orientalischen Märchen des Engländers Anthony Hamilton, L’Histoire de Fleur d’epine, welches erstmals 1730 erschien. (…) Eine dreibändige Übersetzung ins Deutsche durch Johann Joachim Schwabe erschien 1765-1766 bei Weidmann & Reich in Leipzig unter dem Titel Horams, des Sohnes Asmars, anmuthige Unterweisungen in den Erzählungen der Schutzgeister, aus dem persischen Manuscripte getreulich übersetzet.

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Salieris farbige Orchestrierung trägt viel zum Prolog bei. Posaunen leisten bei der Verdeutli­chung des feierlichen Mysteriums der Schöpfung Unterstützung. Salieri sparte die Klarinetten für den Moment auf, in dem menschliche Geister lebendige Gestalt annehmen. Die Neuheit des Klarinettenklangs spiegelt die Worte „Quel charme inconnu nous attire“ wider. Eine einsätzige Ouvertüre im italienischen Stil – Salieri nannte sie „Nouvelle Ouverture d’un genre absolument different de la premiere“ – folgt dem Prolog und kündigt den Beginn des Dramas per se an. (…)

Bevor Tarare die Armee gegen die Christen führen kann, muss er Altarmort unschädlich machen. Zu Beginn des dritten Aktes berichtet Urson in einem großen Rezitativ von Tarares Sieg über seinen Rivalen. In diesem Akt veran­staltet Calpigi ein Fest für Astasie, eine „Fete europeenne“: Festlichfarbenfroh gekleidete Schäfer und Schäferinnen sowie Bauern mit ihren landwirtschaftlichen Werkzeugen führen eine Reihe von Tänzen und Chören auf, die den größten Teil dieses langen Divertissements ausmachen. Calpigi trägt mit einer strophischen Romance, deren 6/8-Takt die folkloristische Wirkung verstärkt, zu den Festlichkeiten bei; in dieser erzählt er seine Lebensgeschichte: „Je suis ne natifde Ferrare“. Salieri nannte die Melodie eine „Barcarolle“ – ein Gondellied. Pizzicati bei den Streichern symbolisieren die Mandoline, auf der sich Calpigi selbst begleitet. Dieser singt die letzte Zeile jeder Strophe in seiner Muttersprache: „Ahi! povero Calpigi!“. Das Divertissement endet chaotisch, als Calpigi mitten in seiner Erzählung Tarare erwähnt. Wütend zieht Atar seinen Dolch hervor und die Menge zerstreut sich. In der Zwischenzeit findet Tarare den Zugang zum Harem und Calpigi verkleidet ihn als stummen Afrikaner.

„Tarare“: Costume design (1823), by Auguste Garneray (1785-1824) for Spinette/ Pinterest

Der vierte Akt beginnt mit einem kunst­vollen dramatischen Rezitativ, in dem Astasie ihre Verzweiflung zum Ausdruck bringt und nach dem Tod verlangt, um ihrem Kummer ein Ende zu setzen. Als sie vernimmt, dass Atar sie zwingen will, einen seiner Sklaven zu heiraten, überredet sie Spinette, die Kleidung mit ihr zu tauschen, um von dieser Schande verschont zu werden. Atars Soldaten nehmen Tarare gefangen, bevor er Astasie finden kann. Calpigi verurteilt wütend den Machtmissbrauch des Königs in der Arie „Vas ! I’abus du pouvoir supreme.“

Der letzte Akt beginnt mit Atar, der sich hämisch überTarares bevorstehende Hinrichtung freut („Fantöme vain! Idole populaire„). Die Sklaven singen einen traurigen „chceur funebre“ in g-Moll, bei dem ein Marsch mit Holz- und Blechbläsern (einschließlich Posaunen), durchgehendem Paukenwirbel und Tremolos bei den tiefen Strei­chern zum Trauereffekt beitragen. Tarare und Astasie sind endlich wieder vereint und fallen einander in die Arme. Ein Trio mit Astasie, Tarare und Atar, „Le trepas nous attend“, wird von um Hilfe rufenden Sklaven unterbrochen. Calpigi trifft dann mit einer zur Verteidigung Tarares bereiten Armee ein, welchem sie Treue schwören. Atar erdolcht sich selbst. Tarare lehnt zunächst die Königswürde ab, aber die Soldaten überreden ihn schließlich, diese doch anzunehmen. Arthenee krönt Tarare, während das Volk mit dem Chor „Quel plaisir de nos cceurs s’empare!“ feiert.„Le succes de Tarare est complet“.

Der Misserfolg von Salieris Oper Les Horaces, die am 2. Dezember 1786 in Versailles uraufgeführt worden war, verstimmte dessen Gönner, Kaiser Joseph II. Er hoffte jedoch nicht vergebens. Als Tarare am 8. Juni 1787 schließlich auf die Bühne der Pariser Oper gelangte, wurde das Werk mit sofortigem, sich wiederholendem Beifall aufgenommen. So geschickt hatte Beaumar­chais im Vorfeld der Premiere Flugschriften und Debatten eingesetzt, dass die Oper ein großes Publikum anzog, ohne aber die Gemüter so weit zu erhitzen, dass die Behörden Veranlassung dazu gehabt hätten, das Theater zu schließen.

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„Tarare“: Der Autor John Rice – John A. Rice, a freelance writer and teacher devoted to the exploration of music in eighteenth- and early nineteenth-century Europe, was born in Ithaca, New York in 1956. After studying music history under Daniel Heartz at the University of California, Berkeley (PhD, 1987) he taught at the University of Washington (1987–88), Colby College (1988–90), the University of Houston (1990–97), and the University of Texas at Austin (1999). More recently he has been a visiting professor at the University of Pittsburgh (2010–11) and the University of Michigan (2012–13). He has received grants from the Alexander-von-Humboldt Stiftung, the National Endowment for the Humanities, and the American Philosophical Society. He has written many articles, reviews of books and musical editions, entries in musical encyclopedias and dictionaries, and six books, one of which, Antonio Salieri and Viennese Opera, received the Kinkeldey Award from the American Musicological Society. He has lectured widely in both the United States and Europe. He has served as president of the Mozart Society of America and of the Southwest Chapter of the AMS and as a director-at-large of the AMS. He is an elected member of the Akademie für Mozart-Forschung in Salzburg/ google biography

Tarare kehrte mitten in der Französischen Revolution auf die Bühne zurück und wurde einer Überarbeitung unterzogen, welche eine neue Szene am Ende der Oper beinhaltete – ein politisch aufgeladenes Divertissement mit dem Titel „Le Couronnement de Tarare“. Beaumarchais nutzte die Gelegenheit, um die Rolle zu betonen (wohl als Übertreibung), die Tarare bei dem Entfachen der Revolution gespielt hatte. In seinem Vorwort zur auf den ersten Jahrestag des Sturms auf die Bastille datierten Libretto-Fassung von 1790 erinnerte er an die revolutionären Opernbesucher der ursprünglichen Version von Tarare: „Oh Bürger! Seid eingedenk derZeit, als Eure besorgten Denker, die gezwungen waren, ihre Ideen zu verschleiern, sich in Allegorien hüllten und mühsam der Revolution das Feld bereiteten. Nach ein paar weiteren Versuchen versenkte ich auf eigene Gefahr in der Erde diesen Keim einer Bürgereiche auf dem verbrannten Boden des Opernhauses. […] Das Werk erhielt seine Vollendung in Le Couronnement de Tarare, im ersten Jahr der Freiheit; wir offerieren es Euch zu deren Jahrestag, am 14. Juli 1790.“

 Aber Beaumarchais hat sich selbst hier zu großen Verdienst zugeschrieben. Die politischen Implikationen von Tarare waren für eine überra­schend breite Palette politischer Regimes [sic!] hinnehmbar. Das Werk überstand die Franzö­sische Revolution, Napoleon Bonaparte sowie die Wiederherstellung der Bourbonenmonarchie. Mit insgesamt 131 Vorstellungen an der Pariser Oper (die letzte fand 1826 statt) kam Tarare der Oper Les Danaides an Popularität und „Ausdauerver­mögen“ gleich.

Salieri hingegen kehrte kurz nach der Urauf­führung von Tarare nach Wien zurück. Er wäre wahrscheinlich weiter zwischen Wien und Paris hin- und hergependelt und hätte Opern für beide Hauptstädte geschrieben, wenn die Französische Revolution es für einen loyalen Untertanen der Habsburger Monarchie nicht unmöglich gemacht hätte, Opern für das bedeutendste französische Opernhaus zu schreiben. Als französische Bürger Marie-Antoinette, die Schwester der Kaiser Joseph und Leopold sowie Salieris wichtigste Pariser Gönnerin, gefangen nahmen und später hinrich­teten, beendeten sie so auch seine kurze Karriere als Komponist französischer Opern. John Rice/Übersetzung: Hilla Maria Heintz

 

Salieris „Tarare“ neu bei Aparté unter Christoph Rousset

Bemerkendwert und spannend. Mit den von der Pariser Oper in Auftrag gegebenen Les Danaïdes feierte Antonio Salieri 1784 einen großen Erfolg und galt als legitimer Gluck-Nachfolger. Rückblickend ist Salieri zwischen Gluck und Mozart stecken geblieben – ein Fortführer, doch kein Visionär. Kaum ein Opernhaus spielt heute Salieris Opern. Obwohl sein Name einen hohen Bekanntheitsgrad hat und andere Größen der Epoche wie bspw. Jommelli, Traetta oder Martin y Soler weit überragt, hat die erneute Blüte der Musiktheaterwerke aus Barock und Rokoko kaum zu einer Wiederbelebung des Italieners geführt. Löbliche Ausnahme waren u.a. in den letzten Jahren Christophe Rousset und sein Ensemble Les Talens Lyriques, die sich den drei Pariser Auftragswerken Salieris widmeten und nach den Danaiden und Les Horaces (1786) nun den 1787 in Paris uraufgeführten Tarare vorlegen, dessen Libretto von Beaumarchais stammt, dem Autor der als Libretto berühmt gewordenen Theaterkomödien Le mariage de Figaro und Le barbier de Séville. 1788 wurde Tarare in Wien aufgeführt, nun in Italienisch und mit neuem Titel: Axur, Re d’Ormus.

Es hatte sich noch mehr geändert, der Übersetzter Lorenzo Daponte baute die Handlung um und veränderte den Prolog, auch um einer Zensur vorzubeugen, denn Tarare hat – wie auch Le Nozze di Figaro – herrschaftskritische Ansätze in Form politischer und sozialer Thesen. Die Oper spielt im Morgenland, es gibt Religionskriege und politische Machtkämpfe, der absolutistische Despot Atar stürzt sich durch Willkür und seine Eifersucht auf den Anführer seiner Leibgarde Tarare ins Verderben. Neuer Herrscher (aus Verdienst, nicht durch Gottesgnade) wird der beliebte, aufrichtige und monogam glückliche Soldat Tarare, der die Sklaverei ablehnt und letztendlich vom Militär zur Machtübernahme gedrängt wird, nachdem Atar dessen Frau Astasie entführen und in seinen Serail bringen ließ. Die Oper endet mit einem bemerkenswerten Aufruf des Chors: „Sterblicher, wer du auch sein magst, Prinz, Priester oder Soldat; Mensch! Deine Größe auf Erden hat nichts mit deinem Stand zu tun, sie beruht ganz auf deinem Charakter“. Manches wirkt inhaltlich und musikalisch vertraut, es gibt eine exotische Tradition in den Opern zwischen Lully und Rossini, von Le Bourgeois gentilhomme bis L‚Italiana in Algeri findet man wiederkehrende arabisch-türkische Motive, bspw. den Serail als Handlungsort bei Rameau (Les Indes galantes, 1735), Mozart (Zaide (1779/80) und die Entführung aus dem Serail (1782)), gute Despoten (bspw. Orosman, Osman, Saladin, Soliman, Selim), fanatische Despoten (bspw. Huascar, Atar, Osmin), Großzügigkeit und Fanatismus, gelegentlich freimaurerische Einflüsse und christliche Ritter. Mozarts Blonde bspw. heißt hier Spinette und ist der komischste Charakter.

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Salieris „Tarare“ in der stilistisch sehr anfechtbaren, aber pionierhaften Aufführung in Schwetzingen 1988 unter Jean-Claude Malgoire/ Arthaus

Tarare war in Paris erfolgreich, bis 1826 gab es dort 131 Vorstellungen. Eine erste Wiederbelebung fand 1988 als Koproduktion der Karlsruher und der Pariser Oper bei den Schwetzinger Festspielen statt, Regisseur Jean-Louis Martinoty historisierte das Geschehen augenzwinkernd, Jean-Claude Malgoire dirigierte das Orchester der Karlsruher Händel-Festspiele (diese Produktion wurde als DVD bei Arthaus  veröffentlicht). 1989 folgte Strasburg mit Gérard Garino und René  Massis unter Fréderic Chaslin in einer wesentlich überzeugenderen  Produktion, dazu idomatischer gesungen natürlich.

Ganz anders wirkt die nun vorliegende Aufnahme als Resultat einer Aufführungstournee, Dirigent Christophe Rousset dramatisiert die Handlung und hält die Oper unter Hochspannung, beim Zuhören ist diese Spannung so greifbar, dass es nur eine Frage der Zeit sein sollte, bis sich ein Opernhaus an die erneute szenische Umsetzung wagen wird. Man hört ein Plädoyer für ein Werk, und das ist das große Verdienst dieser Produktion. Musikalisch wirkt Tarare wie ein Tragédie Lyrique, zu Beginn ein dramatisch erregter Orchestereinstieg, der die Natur und die entfesselten Winde darstellt, gefolgt von einem Prolog (quasi eine Verbeugung vor Lully), in dem die Natur und der Genius des Feuers die Elemente beschwichtigen und schöpferisch tätig werden. Was folgt ist musikalisch kein Meisterwerk – dazu fehlen die zündenden Melodien und die außergewöhnlichen Momente -, aber abwechslungsreich und farbig orchestriert, bspw. mit Posaunen, Klarinetten und Fagotte haben ihre besonderen Momente, es gibt u.a. eine kurze Gebetsszene und einen Trauermarsch, Divertissements in Form von Tänzen und Chören, pastorale Schäfer, exotische Märsche und Anklänge an Mozarts Entführung aus dem Serail (1782) sind hörbar. Die handlungsreiche Oper ist durch Rezitative und kurze arienhafte Abschnitte geprägt, der Text hatte bei Beaumarchais Vorrang vor der Musik – auch deshalb ist die szenische Aufführung naheliegender als das konzertante Anhören.

Für die Sänger gibt es wenige Bravourszenen, Tonhöhe und Rhythmus sind sekundär, gefordert sind primär Deklamation und Ausdruck, und diese Herausforderung meistern alle Beteiligten – alte Bekannte aus der Musikszene des 18. und frühen 19. Jahrhunderts  – bravourös, insbesondere Cyrille Dubois als Titelfigur und Karine Deshayes als dessen entführte Gattin Astasie, JeanSébastien Bou als Tyrann Atar, Judith van Wanroij in der Doppelrolle als Natur und Spinette, Tassis Christoyannis als Genie des Feuers und Hohepriester Arthenée, Enguerrand de Hys als Eunuche Calpigi sowie Les Chantres du Centre Musique baroque de Versailles als Chor (3 CDs, Aparté, AP 208). Marcus Budwitius

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 (Wir bedanken uns außerordentlich bei dem Label Aparté und bei André Soarez von harmonia mundi france/ Pias für die Genehmigung zur  Übernahme des Textes von John Rice aus dem Booklet zur neuen Aufnahme von Salieris Tarare/ Aparté AP 208 3 CD; Foto oben Christophe Rousset/ Booklet/ Les Talens Lyriques.) G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.